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Gespräch mit Hila Amit

„Wir wollten keinen weißen deutschen Mann, der uns die Situation in Nahost erklärt“

Auf dem Berliner „Middle East Union Festival“ diskutierten von Donnerstag bis Sonntag über 40 Künstlerinnen, Wissenschaftler, Autorinnen und Aktivisten Möglichkeiten des friedlichen, kooperativen und progressiven Zusammenlebens im Nahen Osten. Ein Gespräch mit der Festival-Kuratorin Hila Amit über politische Utopien, die arabisch-jüdische Kulturhauptstadt Berlin und was wir von Queers für einen Frieden in Nahost lernen können.

Von Mittwoch, 18.08.2021, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 17.08.2021, 12:03 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

Fabian Goldmann: Auf ihrem Festival dreht sich alles um eine „Middle East Union“. Was soll das eigentlich sein?

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Hila Amit: Genau das ist die Frage. Wir wissen es auch nicht. Deshalb wollen wir diese andere Welt gemeinsam imaginären. Wir leben hier in Berlin aber unsere Freunde und Familien sind in Israel, in Ägypten, im Libanon… Sie können sich nicht treffen und zusammen sein, weil sie von Grenzen getrennt werden. Wir wollen darüber nachdenken, wie es wäre, diese Grenzen einzureißen.

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Klingt recht utopisch.

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Hila Amit ist eine in Berlin lebende israelische Schriftstellerin. Gemeinsam mit dem jüdisch-arabischen Dichter Mati Shemoelof und der der palästinensischen Umweltaktivistin Alaa Obeid hat sie das „Das Middle East Union-Festival“ kuratiert, das vom 12. bis 15. August in Berlin statt. Fast alle der rund ein Dutzend Veranstaltungen wurden aufgezeichnet und können auch noch nachträglich auf Youtube abgerufen werden. [https://middle-east-union.de/de/]

Ja, das ist es. Andererseits: Diese Situation gab es schon einmal in Nahost. Früher konntest du mit dem Zug von Jaffa nach Damaskus fahren. Wir wollen natürlich nicht genau diese Zeit zurückhaben, aber eben diese Idee: Die Idee offener Grenzen. Die Idee, dass alle Leute einander treffen können. Wie wäre es, wenn ein Festival wie unseres irgendwann in Amman stattfinden könnte und Menschen aus Israel, Palästina, Libanon und Iran einfach dazu kommen könnten. Aber das ist heute nicht möglich.

So wie wir uns hier Palästinenser, Israelis und Iraner vorstellen, wollen die weder gemeinsam ein Festival in Amman besuchen, noch in einer „Middle East Union“ zusammenleben.

„Diese Vorstellung, dass Juden und Araber Gegensätze sind, ist in Europa entstanden. Aber es sind die Regierungen, die für die Konflikte sorgen, nicht die Menschen.“

Ja, diese Vorstellung ist das Problem. Dabei gibt es viele Juden arabischer Herkunft. Mein Co-Kurator Mati und ich sind Juden, die aus arabischen Ländern kommen. Mein Vater ist aus Syrien, meine Mutter ist aus Iran. Matis Mutter ist aus Iran, sein Vater aus dem Irak. 50 Prozent der Juden aus Israel stammen aus arabischen Ländern. Viele sprechen kein Arabisch mehr aber dennoch haben wir immer noch das Gefühl, auch ein bisschen Arabisch zu sein. Als ich nach Deutschland gekommen bin und kein Deutsch konnte, habe ich vor allem Araber getroffen. Schließlich sprach ich Arabisch. Ich konnte mit ihnen sehr viel einfacher ein Gespräch führen als mit Deutschen: Wir essen dasselbe Essen, hören dieselbe Musik. Diese Vorstellung, dass Juden und Araber Gegensätze sind, ist in Europa entstanden. Aber es sind die Regierungen, die für die Konflikte sorgen, nicht die Menschen. Unter anderen Regierungen könnten die Menschen in Israel und Palästina perfekt miteinander leben. Schließlich gibt es so viel mehr als Politik, was uns verbindet. Es ist nicht schwer zusammen zu sein.

Auf Ihrer Website fragen Sie: „Kann und darf man aus dem heutigen Berlin einen in Frieden und Gleichheit geeinten Nahen Osten imaginieren?“ Gegenfrage: Warum sollte man? Wäre das Nachdenken über Frieden in Nahost in Jerusalem oder Amman nicht wirkungsvoller?

Wir sind nun mal hier. Wir sind viele Leute, die aus ganz vielen Gründen nach Berlin gekommen sind und wir haben uns gefragt: Was können wir hier tun, um unsere Heimat zu verändern? Für uns ist klar: Wir sind in Berlin und wir gehen auch so bald nicht mehr zurück. Wenn wir Einfluss auf die Situation im Nahen Osten nehmen wollen, müssen wir hier unsere Fragen stellen. Berlin ist Teil der Europäischen Union. Wir fragen deshalb: Was können wir davon für eine mögliche Nahost-Union mitnehmen? Können wir so etwas wie eine Europäische Union in unserer Heimat gründen?

Die meisten Teilnehmer des Festivals sind arabische und jüdische Wahlberliner. Was macht Berlin für Sie und viele andere Menschen aus Nahost so attraktiv?

„Es gibt hier auch nicht den großen Druck, Deutsch zu sein. In Frankreich musst du sofort Französisch sein. Viele Leute fühlen sich in Neukölln und in Kreuzberg ein bisschen wie im Nahen Osten.“

Gute Frage und schwierige Frage, auch weil Berlin für jeden etwas anderes bedeutet. Für mich als queere Person war es immer ein Wunsch, hier zu leben. In Berlin gibt es viel mehr Offenheit und Vielfalt. Es sind aber auch praktische Sachen: Ich habe vorher in Tel Aviv und in London gelebt und verglichen damit sind die Mieten hier sehr günstig. Viele schätzen auch die Möglichkeit, hier Arabisch sprechen zu können. Als ich nach Neukölln kam, habe ich überhaupt kein Deutsch gesprochen und mein Essen immer nur auf Arabisch bestellt. Es gibt hier auch nicht den großen Druck, Deutsch zu sein. In Frankreich musst du sofort Französisch sein. Das ist hier nicht so. Viele Leute fühlen sich in Neukölln und in Kreuzberg ein bisschen wie im Nahen Osten. Man ist nicht gleich völlig in Europa, sondern nur zum Teil. Der Staat fördert hier außerdem auch viel Kunst und Kultur. Uns auch. Das ist in vielen Ländern des Nahen Ostens anders. In Israel gibt es keine Festivals wie unseres.

Viele Menschen, die sich hierzulande mit der Situation in Israel und Palästina beschäftigen, klagen aber auch darüber, dass es immer schwerer werde, sich öffentlich zu äußern. Infolge der BDS-Resolution des Bundestages wurden in letzter Zeit selbst Veranstaltungen linker Israelis und jüdischer Kulturschaffender abgesagt. Hatten Sie irgendwelche Probleme?

Nein, zum Glück nicht. Vielleicht weil wir nicht nur über den israelisch-palästinensischen Konflikt sprechen und auch keine Veranstaltung zu BDS im Programm haben. Hätten wir dazu ein Panel gemacht, wäre es vielleicht zu Problemen gekommen. Aber trotzdem ist es mir wichtig, noch etwas dazu zu sagen.

Bitte.

„Hier in Deutschland ist es schwieriger als in Nahost über einige Themen zu sprechen. Es gibt wirklich keine Redefreiheit. Auch in Israel ist es schwierig, manche Dinge zu thematisieren. Aber es gibt keine formalen Regeln wie durch die Bundestagsentscheidung.“

Hier in Deutschland ist es schwieriger als in Nahost über einige Themen zu sprechen. Es gibt wirklich keine Redefreiheit. Auch in Israel ist es schwierig, manche Dinge zu thematisieren. Aber es gibt keine formalen Regeln wie durch die Bundestagsentscheidung. Das Leute nicht mehr ihre freie Meinung sagen können, ist auch schlecht für die Demokratie. Mir geht es dabei nicht um BDS, sondern darum, dass wir in einer Demokratie leben, in der ich frei meine Meinung sagen will. Stattdessen dürfen wir nicht einmal mehr über das Thema sprechen, ohne schwerwiegende berufliche Konsequenzen fürchten zu müssen. Der Grund, warum wir uns entschieden haben, das Thema nicht auf dem Festival zu diskutieren, ist aber ein anderer. Wir wollten wirklich etwas Utopisches imaginieren. Sobald in Deutschland das Thema auf Israel/Palästina kommt, geht es nur noch um BDS. Dabei gibt es noch so viele andere interessante Sachen: die Klimasituation, die Situation von Queers…

Sie haben ihre Dissertationen zu Queers geschrieben, die Israel verlassen haben. Auch ein Panel auf dem Festival beschäftigte sich mit dem Thema. Woran bestehen queere Potenziale für eine „Middle East Union“?

Ich habe immer wieder festgestellt, dass queere Perspektiven sehr bereichernd sein können. Nehmen wir einfach das normale Leben: Viele sind der Meinung, du musst heiraten, Kinder bekommen, in einer Wohnung leben. Queers zeigen uns, dass es viel mehr Möglichkeiten gibt: Manche können oder wollen keine Kinder haben, manche leben nicht als Paare, sondern als Gemeinschaft mit sieben Leuten. Auf dieselbe Weise können wir auch unseren stereotypen Blick auf den Nahen Osten reflektieren. Bisher sieht der häufig so aus: Hier ist Israel, dort ist Palästina. Dazwischen gibt es Grenzen und ständig Krieg. In Wahrheit gibt es aber viel mehr.

Was es auf Ihrem Festival auch viel gab, war Musik. Wie kann Kunst und Kultur zu einem friedlichen und gerechten Nahen Osten beitragen?

Kunst spielt immer eine große Rolle, nicht nur im Nahen Osten, sondern in jedem Konflikt. Nehmen wir Literatur: Ich bin eine Autorin und schreibe Texte an ein israelisches Publikum auf Hebräisch. Meine Charaktere sind aber palästinensisch und manchmal schreibe ich auch auf Arabisch. Damit gebe ich dem israelischen Publikum die Möglichkeit, Palästinenser kennen zu lernen. Durch Literatur kannst du an andere Orte reisen und die Welt durch die Augen anderer Personen sehen. Musik und Film geben uns die Möglichkeit, andere Gefühle zu spüren, andere Leben zu leben. Außerdem kann man einander durch Kunst sehr viel einfacher begegnen als auf politischer Ebene.

Was es auf Ihrem Festival hingegen nicht gab, waren die typischen deutschen Nahost-Experten, die sonst häufig auf den Podien sitzen. War das Absicht?

„Gerade für ein deutsches Publikum ist es wichtig zu hören und zu sehen, dass es andere Möglichkeiten gibt über die Region nachzudenken, als dass Juden und Araber immer gegeneinander sind. „

Ja, das war eine Entscheidung. Wir wollten keinen weißen deutschen Mann, der uns den Nahen Osten erklärt und auch nicht die typisch europäischen Perspektiven. Das war wirklich wichtig für uns. Selbst der Name „Nahost“ kommt ja aus Europa. Leute, die aus dem Nahen Osten kommen, bezeichnen ihre Heimat nicht als „Naher Osten“.

Können Deutsche ohne biographischen Bezug zur Region aus ihrem Festival dennoch etwas mitnehmen?

Ja, sehr viel. Gerade für ein deutsches Publikum ist es wichtig zu hören und zu sehen, dass es andere Möglichkeiten gibt über die Region nachzudenken, als dass Juden und Araber immer gegeneinander sind. Die Gespräche und Panels sind alle super interessant, mit super interessanten Themen und super interessant Leuten aus dem ganzen Nahen Osten. Hinzu kommt: Die Musik ist perfekt.

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  1. urbuerger sagt:

    Solange die politischen Diskrepanzen zwischen den Israeli und den Palästinensern nicht gelöst wurden, in dem man sich gegenseitig anerkennt, wird sich nichts ändern!

    Wenn man sich das Verhältnis Israel – Ich betrachtet, ist sogar ziemlich. Sicher, dass die Wünsche der Festivalveranstalter nicht zur Regel werden können!
    Die Iraner sind durch ihre verblendete Religionsauffassung fest davon überzeugt, die Israelis von der Landkarte auszulöschen und die Juden zu töten, wie soll es da zu einer Situation kommen, dass es eine Reisefreiheit geben wird?

    Bei diesem Festval sind so viele Fragen, die nicht angesprochen werden, weshalb es dort die Grenzen gibt!
    Im Nahen Osten, so nenne ich diesen Bereich, weil er geographisch so am besten zu bezeichnen ist, wird durch so viele Konflikte innerhalb der Staaten oder bei den Staaten untereinander geschurt, dass es ein Wunschtraum bleiben Düfte, dass sich Menschen, wie die auf dem Festival Grenzlos trefenkônnten!

    Man schaue sich Syrien an, wo Assad massiv gegen jeden, der auch nur daran denkt, ein wenig mehr Freiheiten einzuführen, sofort getötet wird!
    Ähnlich sieht es in den verschiedensten Staaten dort im Nahen Osten aus!

    Auch wenn es sicher nicht gewünscht wird dass ich erwähne, dass eines der Hauptprobleme sehr wohl die Auffassung der Religion, des Islam in erster Linie, verhindert, dass es eine Religionsübergreifende Vereinigung von Menschen, die das wollen gewünscht wird, es wird von der Politik massiv dagegen gearbeitet!
    In meine Augen ist die Religion, egal welche sie nehmen, der Treiber für die ymenschlichen Probleme, vor allem in den Islamisch geführten Gebieten, siehe Die Emirate, die Königshäuser in Saudi Arabien usw.!!!

  2. Andrea Varese sagt:

    Ist Ihnen denn wirklich keine passendere Überschrift als diese ablehnende Floskel eingefallen?
    Äußerst dürftig.

  3. Ute Plass sagt:

    Wunderbare Idee das: „Middle East Union Festival“
    Die Frage: „Kann und darf man aus dem heutigen Berlin einen in Frieden und Gleichheit geeinten Nahen Osten imaginieren?“ ist unbedingt mit
    einem Ja zu beantworten.

    Was allerdings die Betonung auf „….keinen weißen deutschen Mann, der uns die Situation in Nahost erklärt“ betrifft, verstehe ich nicht ganz, was jetzt gemeint ist?
    Die Nationalität?
    Die Hautfarbe?
    Wäre denn ein schwarzer deutscher Mann ‚geeignet‘?
    Oder ein weißer palästinensischer, israelischer, iranischer ….Mann?
    Vielleicht kann Hila Amit dazu noch was sagen?