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Afghanische Ortskräfte

Innenministerium verweigerte Bürokratie-Abbau über Monate

Ein umständliches und langwieriges bürokratisches Verfahren hat verhindert, dass afghanische Ortskräfte rechtzeitig aus dem Land gebracht wurden. Jetzt kontrollieren die Taliban Afghanistan. Viele Finger zeigen auf Innenminister Seehofer.

Freitag, 20.08.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 20.08.2021, 7:55 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Wegen umständlicher bürokratischer Verfahren sind Tausende afghanische Ortskräfte deutscher Organisationen nicht rechtzeitig an ein Visum für Deutschland gekommen. Nach Informationen des „Evangelischen Pressedienstes“ gingen im Zeitraum von Anfang Juli bis Mitte August mehr als 9.000 Gefahrenanzeigen von Afghaninnen und Afghanen bei den zuständigen Stellen ein. Nach Abzug von Duplikaten waren es knapp 4.200.

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Doch bis zum vergangenen Montag, also einen Tag nach der Machtübernahme der Taliban, hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) der vorliegenden Statistik zufolge nur in 237 Fällen eine Berechtigung zur Visa-Ausstellung erteilt. In 329 weiteren Fällen wurde dies wiederum abgelehnt. Über die übrigen Gefahrenanzeigen waren zu dem Zeitpunkt noch nicht entschieden worden. Erst wenn die Berechtigungen erteilt waren, konnte mit der Abnahme der Fingerabdrücke der eigentliche Visa-Prozess eingeleitet werden.

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Vergebliches Warten auf ein Visa-Prozess

Die meisten Fälle (rund 1.750) betrafen Ortskräfte der Bundeswehr, knapp 300 Fälle die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Anträge von lokalen Beschäftigten deutscher Entwicklungsorganisationen und Stiftungen gingen wiederum zum überwiegenden Teil erst ab Anfang August ein. Viele Entwicklungsorganisationen waren davon ausgegangen, auch nach dem internationalen Truppenabzug in Afghanistan arbeiten zu können.

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Die große Koalition hatte sich im Juni darauf verständigt, afghanischen Ortskräften, die ab 2013 ein Visum für Deutschland anstrebten, dieses zu bewilligen. Zuvor galt, dass ein Visum spätestens zwei Jahre nach der Tätigkeit für die Bundeswehr vor Ort gestellt werden musste – und für diese Gruppe wurden bis Ende Juni rund 2.400 Visa ausgegeben. Die neu hinzugekommene Gruppe musste wiederum zum großen Teil vergeblich auf eine Berechtigung für den Visa-Prozess warten.

Flüge gestrichen wegen bürokratischen Hindernissen

Nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ hat die Bundesregierung noch eine weitere Möglichkeit verstreichen lassen, frühzeitig afghanische Helfer der Bundeswehr aus dem Land zu bringen. So hatte das Verteidigungsministerium bereits für den 25. Juni, vier Tage vor dem Ende des Bundeswehreinsatzes in dem Land, zwei Charterflugzeuge bei zwei spanischen Airlines organisiert. Damit sollten in einer „einmaligen“ Aktion 60 Ortskräfte und ihre Angehörigen – maximal 300 Personen – von Masar-i-Scharif, wo die Bundeswehr ihren letzten Stützpunkt hatte, nach Deutschland gebracht werden.

Doch die Flüge kamen wegen bürokratischer Hindernisse nicht zustande. Das Verteidigungsministerium bestätigte der Zeitung den Vorgang. „Zu dem geplanten Durchführungszeitpunkt konnten die Voraussetzungen wie Pass und Visa für die sichere Abfertigung der möglichen Passagiere vor Ort nicht mehr erfüllt werden“, sagte ein Sprecher dem Blatt. Dabei sei es vor allem darum gegangen, die Ortskräfte und ihre Angehörigen zweifelsfrei zu identifizieren und vor der Ausreise zu prüfen, ob sie berechtigt seien, nach Deutschland gebracht zu werden.

Innenministerium verweigerte Vereinfachungen

Das Innenministerium hatte sich laut Bericht über Wochen und Monate geweigert, das Verfahren für Ortskräfte zu vereinfachen. Seehofer wies die Kritik zurück. An seinem Ministerium sei kein Verfahren gescheitert, sagte er am Donnerstag in Berlin. Für die Visa-Erteilung sei der Innenminister nicht zuständig, fügte er hinzu, ohne das Auswärtige Amt zu nennen. Er wolle nicht ausweichen und mit dem Finger nicht auf andere zeigen, fügte Seehofer hinzu. Seinen Angaben nach war bereits Mitte Juni in der Bundesregierung sowie mit den Bundesländern politisch geklärt, dass afghanische Ortskräfte nach dem Truppenabzug aus Afghanistan nach Deutschland geholt werden. Allerdings hat der Minister erst vergangene Woche, als sich die Sicherheitslage dramatisch verschlechtert hatte, ermöglicht, dass Ortskräfte auch ohne fertige Papiere nach Deutschland kommen konnten.

Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler (SPD), kritisierte das Innenministerium. Der Düsseldorfer „Rheinischen Post“ sagte sie, es wäre wünschenswert gewesen, wenn das Ministerium „schon früher unbürokratischere Visumsverfahren zur Einreise ermöglicht hätte, als klar war, dass wir mit diesen Verfahren, die Menschen nicht schnell genug aus dem Land bekommen“. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Johannes Vogel sagte der Zeitung: „Ich bin fassungslos, dass das Leben und das Schicksal der Menschen, die sich für unsere Bundeswehr und Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt haben, nun vom Willen der Taliban abhängt, weil versäumt wurde, den Abzug rechtzeitig zu planen.“ (epd/mig) Leitartikel Politik

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