Alles Müller, oder was?
Der neue Bundestag hat auch Abgeordnete namens Saleh, Nasr und Gambir
Der neue Bundestag ist weiblicher und hat mehr Abgeordnete mit Wurzeln im Ausland – mit vielen interessanten Lebensläufen und Werdegängen. Besonders stark vertreten ist aber weiterhin der Nachname Müller.
Von Mey Dudin Donnerstag, 30.09.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 29.09.2021, 17:27 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Allein aus Dresden kommen zwei junge Abgeordnete mit Wurzeln auf der arabischen Halbinsel: die Sozialdemokratin Rasha Nasr und der Grüne Taher Kassem Saleh. Nasr ist 1992 geboren. Ihre Eltern sind aus Syrien in die DDR eingewandert. Ihre Politik erklärt die Sächsin gerne anhand von selbst gebackenen Cupcakes. Saleh wurde als Kurde im Nordirak geboren. Er ist Bauingenieur und hat zuletzt noch einen Flakbunker in Hamburg zum Kreativtreffpunkt mit Dachgarten umgebaut.
Der 20. Bundestag ist vielfältiger, als es der bisherige war. Der Anteil der Frauen ist mit etwa 35 Prozent zwar niedrig. Aber immerhin ist die Tendenz steigend. Denn in der endenden Legislaturperiode waren es gerade einmal 31 Prozent. Mit Tessa Ganserer und Nyke Slawik (beide Grüne) haben auch zwei Transfrauen Mandate errungen.
Der Anteil der Parlamentarierinnen und Parlamentarier mit mindestens einem Elternteil, der nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde, wächst ebenfalls. Vor vier Jahren hatten laut einer Recherche des Mediendienstes Integration etwa acht Prozent der Abgeordneten eine internationale Geschichte. Jetzt sind es mit mindestens 83 Sitzen schon 11,3 Prozent. Unter den Wahlberechtigten in Deutschland beträgt der Anteil der Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund etwa zwölf Prozent. Der Anteil aller Menschen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung ist mit 26 Prozent mehr als doppelt so hoch.
Eingewandert und hochgekämpft
Apropos internationale Geschichte: Eine regelrecht historische Figur war der Großvater der 33-jährigen SPD-Abgeordneten Isabel Cademartori. Als Wirtschaftsminister von Präsident Salvador Allende wurde er nach Augusto Pinochets Militärputsch in Chile 1973 inhaftiert. Später musste er das Land verlassen. Isabel Cademartori wurde in Brandenburg geboren, verbrachte aber ihre Kindheit in Chile und wuchs zweisprachig mit Deutsch und Spanisch auf.
Der Frankfurter Sozialdemokrat Armand Zorn und Neu-Parlamentarier lebte noch bis zur siebten Klasse in Kamerun. Er konnte überhaupt kein Deutsch, als er im Jahr 2000 nach Halle zog, und kämpfte sich hoch. Auch der bayerische FDP-Politiker Muhanad Al-Halak kam im Jahr 2000 erst mit elf Jahren aus dem Irak nach Deutschland.
Sichtbare und unsichtbare Migrationshintergründe
Schahina Gambir wurde im afghanischen Kabul geboren, wuchs aber in Niedersachsen auf. Die Grünen-Politikerin beschloss, die große politische Bühne zu betreten, nachdem vor eineinhalb Jahren in Hanau ein 43-jähriger Rechtsextremist Menschen erschossen hat, die ihm nicht deutsch genug aussahen. Neu für die Grünen im Bundestag ist auch die prominente deutsch-syrische Religionspädagogin Lamya Kaddor. Sie ist eine der bisher acht Abgeordneten, die im Bundestagssteckbrief als ihre Religion den Islam angeben.
Einigen Abgeordneten merkt man die ausländischen Vorfahren weder am Namen, noch an Haarfarbe oder Hautfarbe an. So wanderte die Mutter von Gitta Connemann (CDU) einst aus den Niederlanden ein. Sozialdemokrat Niels Annen hat belgische Wurzeln. Der AfD-Politiker Markus Frohnmaier wurde als Kleinkind von einer deutschen Familie aus einem rumänischen Kinderheim adoptiert.
Von Kindern türkischer Gastarbeiter haben heute mehr als ein Dutzend ein Bundestagsmandat. Einige sind schon sehr lange dabei – die Linken-Politikerin Sevim Dağdelen zum Beispiel schon seit 16 Jahren. Pionier war Cem Özdemir: Er kam als erster Bundestagsabgeordnete türkischer Herkunft im Oktober 1994 nach Bonn, wo das Parlament damals tagte. Weil er so oft gefragt wurde, bezeichnet er sich augenzwinkernd als „anatolischer Schwabe».
13 Mal Müller
Noch nicht ganz geklappt hat es – selbst nach all dieser Zeit – mit der richtigen Aussprache seines Namens. Das „C“ in Cem und das „Z“ in Özdemir werden selbst von Kollegen im Plenum oft noch viel zu hart betont. Andere haben Glück: Dem neu in den Bundestag eingezogenen „Gastarbeiter“-Kind Hakan Demir (SPD) dürften diese Probleme erspart bleiben.
Übrigens ist im neuen Parlament gleich 13 Mal Deutschlands häufigster Nachname, Müller, zu finden. Hier dürfte es bei der Aussprache keine Probleme geben. Leitartikel Politik
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