Nebenan
Wahlnachlese 2021
Die Wahl ist vorbei und die Union will wieder „konservativer“ werden - gemeint ist: „fremdenfeindlicher“ werden. Sie schielt auf die 10 Prozent der AfD - und lässt 30 Prozent liegen.
Von Sven Bensmann Dienstag, 05.10.2021, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 04.10.2021, 12:47 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die Bundestagswahl ist gelaufen und das große Geschacher in vollem Gange, natürlich wird auch längst wieder über die Fortsetzung der „großen“ Koalition verhandelt, die so klein ist, wie nie zuvor.
Und ganz ehrlich gesagt: Es macht nicht so wirklich Spaß, der Desintegration der CDU/CSU in diesen Tagen zuzuschauen. Denn einerseits ist eben noch längst nicht ausgeschlossen, dass die so desolate Union dennoch in den kommenden Jahren wieder an der Regierung beteiligt sein wird – einem Lindner kann man einfach nicht vertrauen, das werden auch die Erstwähler noch herausfinden – andererseits regen sich aktuell wieder genau die Reflexe, die sich schon in den letzten 7 Jahren nach jeder Wahl regten: der Ruf aus der Union, mit Blick auf die AfD wieder „konservativer“ zu werden. Daher soll es heute genau darum gehen.
Sowohl die vorgetragene Ursache dieses Rufs (Stimmen für die AfD) als auch die gegebene Analyse („konservativer“ werden) bedienen nämlich immer die gleichen Affekte; „konservativ“, das ist für die Union immer noch und vor allem „weiß“. „Konservativer werden“ bedeutet für diese „Konservativen“ stets mittel- oder unmittelbar: fremdenfeindlicher werden. Anschlussfähig in modernen Groß- und Universitätsstädten ist die Union damit längst nicht mehr, gleichzeitig werden die Grünen aber auch beim Landvolk mehr und mehr anschlussfähig, selbst wenn sich die Ewiggestrigen darunter zunehmend Richtung AfD und Waffen-SS orientieren – ein Weg, der früher oder später sicher unter die 20 Prozent führen wird: Die Union muss eine modernere Erzählung finden, keine rückwärtsgewandtere.
Dabei könnte die Union sogar über Jahrzehnte hinaus unschlagbar sein. Sie müsste sich letztlich nur nachhaltig von einer Handvoll Lebenslügen befreien und eine inklusive Erzählung von Deutschland erfinden, die für Millionen deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund funktionierte. Sie dürfte „deutsche Leitkultur“ dazu nicht mehr als „Ausländer raus!“ und „Grenzen bis zur letzten Patrone verteidigen!“ interpretieren, sondern müsste sie als jene freiheitlich-liberale Grundordnung neu erfinden, von der sie gern faselt, wenn sie verschleiern will, dass Demokratie möglichst marktkonform sein soll. Sie müsste sich von dieser subliminalen Erzählung der deutschen Herrenrasse, die nur wenige in der Union noch so offen aussprechen, die ihr aber aus allen Poren dringt, verabschieden, die als Einstiegsdroge Menschen für die AfD funktioniert.
Gerade die Gruppen, gegen die die Union am persistentesten ihre Ressentiments schürt, sind schließlich eigentlich auch stark konservativ geprägte Milieus, die, wenn sie sie nicht ständig düpierte, ein weitgehend konstantes Wählerreservoir für die Partei stellen könnte.
Dass die Union sich im Wahn von rund 10 Prozent Stimmenanteil der AfD auf jene rund 10 Prozent Wähler fokussiert, die in Wahlumfragen erklären, Migration sei für sie das bestimmende Thema bei der Wahl, und sich nicht etwa um den Anteil von gut 30 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund an der wahlberechtigten Bevölkerung, die das Statistische Bundesamt ausweist (von denen nicht einmal 5 Prozent im Osten leben), bemüht, ist selbst für mich als weißen Cis-Mann nicht ganz einfach verdaulich: Einerseits erhöht es natürlich das Wählerpotenzial für progressivere Parteien, andererseits nährt es aber genau die Ressentiments, die die Einstiegsdroge für den expliziten Fremdenhass der AfD darstellen, der Freunde, Kollegen und Mitbürger bedroht. Oder, in Anlehnung an die Worte der Drogenbeauftragten Daniela Ludwig (CDU): Die Union ist kein Broccoli. Meinung
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