Widerstand
Thematisierung von Kolonialismus braucht Mut
Der Alltagsrassismus in Deutschland kann nur überwunden werden, wenn die koloniale Geschichte aufgearbeitet wird. Dazu braucht es Mut. Denn die Widerstände sind immens.
Von Prof. Dr. Isabelle Ihring Mittwoch, 08.12.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 17.12.2021, 10:13 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
Momentan scheinen Diskussionen um Kolonialismus, Sklaverei und die bis heute anhaltenden Nachwirkungen dieser gewaltvollen Ereignisse, Konjunktur zu haben. Jüngst äußerte sich sogar Bundespräsident Walter Steinmeier bei der Eröffnungsfeier der Ausstellungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst in Berlin zu den „blinden Flecken“, die im Hinblick auf koloniale Geschichte in Deutschland bestehen. „Wenn es um die Kolonialzeit geht, haben wir sonst so geschichtsbewussten Deutschen allzu viele Leerstellen“. In dieser Rede sagte er außerdem, dass der Alltagsrassismus in Deutschland in seiner ganzen Tiefe nur zu verstehen und zu überwinden sei, wenn die koloniale Geschichte aufgearbeitet würde. Auch die Vielzahl an kritischen Stimmen zur Eröffnung des Humboldt Forums in Berlin verdeutlichen, dass Kolonialismus und Raubkunst nicht länger ignoriert werden können.
Die Schwarze Feministin und Autorin Chimamanda Ngozi Adichie wurde zur Eröffnungsfeier des Humboldt Forums eingeladen, eine Rede zu halten, in der sie betonte, dass es Mut brauche, um die Folgen des Kolonialismus zu benennen und sich machtvollen, einseitigen Erzählungen ehemaliger Kolonialmächte entgegenzustellen. Es brauche Mut, offen darüber zu reden und denjenigen zuzuhören, die bisher nicht gehört wurden, um die einseitigen Geschichten durch andere Perspektiven zu komplettieren.
Doch die Widerstände sind immens und haben sich vor einigen Monaten bspw. über zwei Ethnologie-Studierenden der Uni Freiburg entladen. Im Rahmen ihres Studiums hatten sie die Aufgabe sich in Form eines Forschungsprojekts mit „Kolonialismus in Freiburg“ zu beschäftigen. Sie haben sich als Gegenstand ihres Forschungsprojekts mit kolonial-rassistischen Fahrgeschäften und Figuren im Europapark beschäftigt, worüber auch in einer lokalen Zeitung berichtet wurde – die Folge waren eine Flut von Hasskommentaren und rassistischen Äußerungen, die sie sowohl unter dem Artikel als auch privat erreichten und die auch nach Monaten nicht enden wollen.
„Die Tatsache, dass es Kolonialismus gegeben hat, wird wohl niemand leugnen, doch die immer lauter werdenden Forderungen sich mit diesem bislang gänzlich ignorierten Kapitel der Geschichte zu beschäftigen, Schuld anzuerkennen, Verantwortung dafür zu übernehmen, den Nachkommen zuzuhören und sich endlich vom Narrativ weißer Überlegenheit zu verabschieden, sorgt für Widerstände.“
Doch was löst diese Widerstände aus? Die Tatsache, dass es Kolonialismus gegeben hat, wird wohl niemand leugnen, doch die immer lauter werdenden Forderungen sich mit diesem bislang gänzlich ignorierten Kapitel der Geschichte zu beschäftigen, Schuld anzuerkennen, Verantwortung dafür zu übernehmen, den Nachkommen zuzuhören und sich endlich vom Narrativ weißer Überlegenheit zu verabschieden, sorgt für Widerstände.
Kolonialismus und seine Folgen
Das offizielle Ende des Kolonialismus, der Sklaverei und Apartheid hat weder mit sich gebracht, dass die Ressourcen ehemals kolonisierter Länder nicht länger ausgebeutet werden, noch für ein gleichberechtigtes Verhältnis zwischen kolonisierten und kolonisierenden Ländern gesorgt. Heutige neokoloniale Handelsstrukturen bahnen sich zwar andere Wege, aber die Ausbeutung der Ressourcen des ‚Globalen Südens‘ schreibt sich fort. Imperialistischen Staaten gelingt es bis heute, globale Machtverhältnisse zu lenken und im Sinne einer ‚westlichen‘ Vorherrschaft zu beeinflussen.
Auch wenn es heute nicht mehr zwingend Länder, oder sogenannte Mutterländer sind, sondern politische Führungen, beispielsweise Regierungen, die Einfluss nehmen können auf politische, verwaltungstechnische und ökonomische Prozesse in anderen Ländern, um für ihren Staat machtpolitische Vorteile daraus zu ziehen. Es ist kein Zufall, dass dies primär Staaten sind, die ehemals Kolonialmächte waren und damals schon die Welt unter sich aufteilten, willkürlich Grenzen zogen und Menschen gewaltvoll unterwarfen – im Gegenteil: Mit der Kolonisierung wurden die Grundpfeiler für heutige globale Herrschaftsverhältnisse gelegt. Wenn Bundespräsident Walter Steinmeier also davon spricht, dass Alltagsrassismus in seiner ganzen Tiefe nur zu begreifen sei, wenn die koloniale Geschichte aufgearbeitet würde, liegt er aus meiner Sicht genau richtig. Warum?
„Mit der Kolonisierung untrennbar verknüpft ist die Ermordung, Unterwerfung, Versklavung nicht-weißer Menschen – unfassbare Gewalt, für die es wiederum eine Rechtfertigung brauchte und die mit der Entmenschlichung der dort lebenden Menschen gefunden wurde.“
Mit der Kolonisierung untrennbar verknüpft ist die Ermordung, Unterwerfung, Versklavung nicht-weißer Menschen – unfassbare Gewalt, für die es wiederum eine Rechtfertigung brauchte und die mit der Entmenschlichung der dort lebenden Menschen gefunden wurde. Die machtvolle Konstruktion von menschlichen ‚Rassen‘ und die damit eng verbundene zunehmende Bedeutung von Hautfarben, diente weißen europäischen Kolonisator:innen zur Konstruktion ‚der Anderen‘ und deren Abwertung. Nicht-weiße Menschen wurden in der Hierarchie vermeintlicher ‚Rassen‘ zu unterlegenen, während weiße zur ‚Herrenrasse‘ stilisiert wurden und im Laufe der Zeit erlernt haben „im Anderen das Tier zu sehen und sich darin übt ihn als Tier zu behandeln“1.
Obwohl es selbstverständlich nicht möglich ist, anhand von Farbnuancen der Haut der Menschen eindeutig voneinander abzugrenzen und einzuordnen, hat sich diese Idee machtvoll und folgenschwer durchgesetzt und wurde im Zuge der Verwissenschaftlichung von ‚Wissen‘ von Philosophen, Medizinern, Biologen, Ethnologen usw. auf eine vermeintlich ‚objektive‘ Basis gestellt und in Form von Rassentheorien und –lehre verbreitet. Weißsein wurde in diesem Prozess zur Norm und in der Hierarchisierung von Hautfarben auf oberste Stufe gestellt, während nicht-weiße Menschen zu ‚Barbaren‘, ‚Seelenlosen‘, Menschen geringeren Wertes und zu ‚naiv-kindliche‘ Wesen wurden. Weißen kam und kommt somit automatisch die Aufgabe und zu, nicht-weiße ‚erziehen‘ und ‚zivilisieren‘ zu müssen – die Bürde des weißen Mannes.
„Zurück bleibt bis heute, die Imagination ‚des armen unmündigen Afrikaners‘ – Eine Vorstellung, die sich zum Beispiel in der Argumentation widerspiegelt, dass afrikanische Raubkunst nicht zurückgegeben werden könne, da die Heimatländer nicht imstande seien, diese zu erhalten.“
Zurück bleibt bis heute, die Imagination ‚des armen unmündigen Afrikaners‘ – Eine Vorstellung, die sich zum Beispiel in der Argumentation widerspiegelt, dass afrikanische Raubkunst nicht zurückgegeben werden könne, da die Heimatländer nicht imstande seien, diese zu erhalten. Ebenfalls bleibt die Konstruktion ehemaliger Kolonialländer als weiß bestehen, was zur Folge hat, dass weiterhin anhand von Nuancen der Haut über Zugehörigkeit, vielmehr über Nicht-Zugehörigkeit bestimmt wird, was einmal mehr verdeutlicht mit welcher Selbstverständlichkeit Weißsein als Norm vorausgesetzt wird – und wie wenig ‚Integration‘ mit denjenigen zu tun hat, die sich angeblich ‚integrieren‘ müssen. Wenn Steinmeier also sagt, dass Alltagsrassismus in seiner Tiefe nicht zu verstehen sei, ohne sich mit kolonialer Geschichte zu beschäftigen, wird dies an diesen Stellen deutlich.
Kolonialismus im Europapark
Nun finden sich in manchen Fahrgeschäften des Europaparks kolonial-rassistische Darstellungen von nicht-weißen Menschen, was die beiden Ethnologie-Studierenden dazu veranlasste, sich mit diesen zu beschäftigen. Auch die Verantwortlichen im Europapark zeigten sich interessiert und offen, das Projekt zu unterstützen. Die beiden Studierenden drehten dafür ein Video von den Figuren, die ‚Afrika‘ und Asien darstellen sollen und interviewten Besucher:innen, was sie von den Darstellungen hielten. Die unterschiedlichen Stimmen und Aussagen wurden dann in den Film hineingeschnitten.
Das Projekt zielte darauf ab, Menschen zur Reflexion anzuregen – sowohl Besucher:innen des Parks als auch Verantwortliche. Doch kurz vor Ende des Projekts verweigerte der Europapark den Studierenden die Bildrechte, weshalb sie den Film nicht wie geplant im Rahmen der Ausstellung „Kolonialismus in Freiburg. Gestern? Heute!“ geplant vom städtischen Museum zeigen konnten. Sie wandten sich an die Presse, da sie wollten, dass das Thema mediale Aufmerksamkeit erfährt, diese berichtete, was zu bereits genannten Abwehrreaktionen und Hasskommentaren führte.
Info: Dieser Beitrag ist eine Kooperation von MiGAZIN mit dem Netzwerk Rassismuskritische Migrationspädagogik Baden-Württemberg, das unter dem Dach von adis e.V. Antidiskriminierung – Empowerment -Praxisentwicklung organsiert ist. Das Netzwerk versteht sich als Forum von Menschen aus den Feldern Soziale Arbeit, Schule, Bildung/Weiterbildung, Hochschule sowie angrenzenden Professionen, die sich fachlich und (fach-)politisch in den Feldern Soziale Arbeit, Schule, Weiterbildung – und auch darüber hinaus – einmischen und dort Rassismus selbststärkend, reflexiv-kritisch und wenn nötig auch skandalisierend zum Thema machen. Das Netzwerk informiert Interessierte in regelmäßigen Abständen von circa zwei Monaten per E-Mail-Newsletter über aktuelle Entwicklungen, Veranstaltungen und Publikationen im Feld der Migrationspädagogik. In dem aktuellen Newsletter ist dieser Text erschienen.
Diese Reaktionen zeigen, wie tief verankert kolonial-rassistische Vorstellungen in den Köpfen vieler Menschen in Deutschland sind. Durch Reproduktionen dieser Bilder, beispielsweise durch Fahrgeschäfte in einem Freizeitpark, die ‚Afrika‘ als Land darstellen, in dem alle Menschen mit Lendenschurz in Lehmhütten wohnen und das Beste am Kontinent die großen Tiere und das Abenteuer ist, setzt sich die eurozentrisch-rassistische Konstruktion Afrikas im Gegensatz zum weiß konstruierten Europa fort. Wird diese Konstruktion Afrikas und anderen ehemals kolonisierten Teilen der Welt kritisiert, bedeutet dies unmittelbar Kritik an ungleichen Machtverhältnissen und an damit einhergehender weißer Vorherrschaft. Dies bringt Unverständnis und Widerstand mit sich, da die Kritik mit der Forderung verknüpft ist, weiße Vorherrschaft und damit verbundene Privilegien aufzugeben. Die Betrachtung globaler Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse kann aber nicht losgelöst von weißer Vorherrschaft und kolonialen Kontinuitäten betrachtet werden, nicht unabhängig von imperialistischen Staaten, die bis heute die Macht und das Monopol innehaben, die Welt zu ihrem Vorteil zu lenken.
Dies zeigt auch, wie tiefgreifend Veränderungen sein müssen, um reale Gleichheit für alle herzustellen. Es verdeutlicht, dass es eines radikalen Wandels bedarf, um Natur und Mensch vor diesen Ausbeutungsverhältnissen zu schützen. Für diejenigen, die in Teilen der Welt leben, die von Ausbeutung und Vorherrschaft profitieren, bedeutet es Verlust von Macht- und Herrschaft sowie ökonomischen Privilegien. Die Vorstellung eines gleichberechtigten Umgangs mit allen Menschen und der dafür notwendigen ehrlichen Solidarität könnte langfristig aber auch als großer, lebenswichtiger Gewinn angesehen werden, von dem künftige Generationen und der Planet profitieren würden.
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