Gutachten
290 Berliner Straßennamen haben antisemitische Bezüge
Treitschkestraße, Pacelliallee, Otto-Dibelius-Straße. Einem neuen Gutachten zufolge weisen diese und hunderte weitere Straßennamen in Berlin antisemitische Bezüge auf. Antisemitismusbeauftragter Salzborn fordert kritische Prüfung.
Dienstag, 14.12.2021, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 13.12.2021, 15:50 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Laut einer neuen wissenschaftlichen Studie gibt es in Berlin 290 Straßen- und Platznamen mit antisemitischen Bezügen. Der Studienautor Felix Sassmannshausen aus Leipzig empfahl daher am Montag in Berlin eine gesellschaftliche Debatte und in einer Vielzahl der Fälle auch eine Umbenennung. Dazu gehörten bereits diskutierte Straßennamen wie die Treitschkestraße in Berlin-Steglitz und die Pacelliallee in Berlin-Dahlem, aber auch alle Martin-Luther-Straßen, die Otto-Dibelius-Straße in Charlottenburg oder der Pastor-Niemöller-Platz in Pankow.
In anderen Fällen wie der Thomas-Mann-Straße oder dem Adenauerplatz plädierte der Gutachter für weitere Forschungen und eine digitale Kontextualisierung. Bei Adenauer heißt es, es gebe Hinweise auf antisemitische Ressentiments im Denken des ersten deutschen Bundeskanzlers, er habe sich in seiner Regierung mit vielen ehemaligen NS-Funktionären umgeben und den Antisemitismus in der Gesellschaft bagatellisiert.
Für sein Gutachten im Auftrag des Berliner Antisemitismusbeauftragten Samuel Salzborn hat der Wissenschaftler zwischen Mai und Oktober alle Berliner Straßennamen überprüft. Die Fülle der Bezüge habe ihn dabei selbst erstaunt, sagte Sassmannshausen. Dabei weise der Antisemitismus „unterschiedliche Intensitäten“ auf.
Beauftragter fordert kritische Prüfung
Dies hänge wesentlich mit der Frage zusammen, wie gut der namensgebende Sachverhalt oder die namensgebende Person mit Blick auf antisemitische Bezüge in der Wissenschaft und in der politischen Debatte aufgearbeitet seien. „So ist etwa der Antisemitismus bei Richard Wagner oder der Antijudaismus bei Martin Luther breit diskutiert worden und unzweifelhaft. Der etwaige Antisemitismus eines Pierre de Coubertin oder die frühantisemitischen Ressentiments einzelner Mitglieder der Deutschen Tischgesellschaft sind hingegen bislang wenig in den Blick genommen worden“, heißt es in dem Gutachten, das dem MiGAZIN vorliegt.
Salzborn sagte, „wir wollten eine systematische Grundlage für eine wichtige gesellschaftliche Diskussion schaffen“. Straßennamen seien eine hohe Form der Ehrung. Berlin sei gut beraten, diese Ehrung immer wieder kritisch zu prüfen. (epd/mig) Aktuell Panorama
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