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Neue Abteilung bei Frontex

Deutscher Polizeidirektor wird EU-Abschiebechef

Seit 2016 erhielt die EU-Grenzagentur beträchtlich mehr Macht. Für die derzeit errichtete bewaffnete Grenztruppe, ein Abschiebungszentrum und eine Vorratsdatenspeicherung, ist nun jeweils ein neuer Leitungsposten verantwortlich.

Von Dienstag, 08.02.2022, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 08.02.2022, 20:06 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Mit zwei neuen Verordnungen haben der Rat der Europäischen Union und das Parlament die Grenzagentur Frontex mit neuen Fähigkeiten und Kompetenzen ausgestattet. Seit 2016 darf Frontex Fahrzeuge, Flugzeuge und Drohnen anschaffen und nach Zustimmung eines Gaststaates über deren dortigen Einsatz entscheiden. Die Verordnung von 2019 bestimmt den Aufbau einer „Ständigen Reserve“ mit 10.000 Beamt:innen, die direkt dem Hauptquartier in Warschau unterstehen. Frontex kann außerdem die alleinige Vorbereitung und Durchführung von Abschiebeflügen übernehmen. Zudem verantwortet die „Ständige Reserve“ die Einrichtung und den Betrieb einer riesigen, neuen Datenbank für persönliche Reiseinformationen.

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Für die drei neuen Bereiche erhielt Frontex eine neue Kommandostruktur. Erstmals stehen dem Exekutivdirektor Fabrice Leggeri drei Vizedirektor:innen zur Seite. Die Stellen wurden vor einem Jahr ausgeschrieben und im Oktober besetzt. Zusammen mit ihrem Vorgesetzten haben sie die alleinige Gestaltungsmacht über alle Einsätze. Die Frontex-Verordnung garantiert, dass keine andere Stelle gegenüber der Leitung der Grenzagentur weisungsbefugt ist.

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Operationen in Drittstaaten

Nach ihrer Einarbeitungszeit werden die Frontex-Vizedirektor:innen nun immer sichtbarer. Für die „Ständige Reserve“ ist die aus Lettland stammende Aija Kalnaja zuständig. Als eine ihrer ersten Amtshandlungen hatte sie auf dem „Ministerforum EU-Westbalkan“ im Dezember die Frontex-Einsätze in den westlichen Balkanstaaten vorgestellt. Seit 2019 operiert die Agentur mit uniformierten und bewaffneten Personal auch in Drittstaaten, zuerst in Albanien, anschließend in Montenegro und Serbien. Ähnliche Einsätze könnten bald in Senegal und Mauretanien stattfinden.

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Kalnaja stieß 2018 zu Frontex und war dort als Direktorin der Abteilung „Kapazitätsaufbau“ am Aufwuchs der Agentur maßgeblich beteiligt. Im Rahmen ihrer Polizeilaufbahn leitete sie das lettische Kontaktbüro für das Schengener Informationssystem und wurde anschließend als Polizeiattaché für Großbritannien ernannt. Danach übernahm sie das Referat für „Operationen“ bei der EU-Agentur für die Aus- und Fortbildung im Bereich der Strafverfolgung (CEPOL).

Neben der „Ständigen Reserve“ bleibt Kalnaja bei Frontex weiterhin für den Kapazitätsaufbau zuständig. Hierzu gehört die Beschaffung und Koordinierung der technischen Ausrüstung sowie „innovativen Lösungen“ für die Grenztruppe.

Erster Einsatz des „Europäischen Rückkehrzentrums“

Den Posten des neuen Abschiebechefs bei Frontex erhielt der deutsche Bundespolizist Lars Gerdes. Frontex errichtet ein „Europäisches Rückkehrzentrum“ dessen Leitung Gerdes übernimmt. Es bietet den Mitgliedstaaten ein „komplettes Dienstleistungsangebot“ für Abschiebungen an, kümmert sich um deren Vorbereitung und Durchführung und erledigt auch alle erforderlichen Maßnahmen „nach der Rückkehr“. Die hierfür aufgestellten „Begleit- und Unterstützungsbeamte für Abschiebungen“ gehören zur „Ständigen Reserve“.

Gerdes leitete zuvor für mehrere Jahre die Ausbildungsmission der Bundespolizei in Afghanistan. Bei Frontex war der Polizeidirektor zudem stellvertretendes deutsches Mitglied im Verwaltungsrat. Das Gremium trifft Entscheidungen für die strategische Entwicklung von Frontex, jeder EU-Mitgliedstaat entsendet dafür zwei stimmberechtigte Mitglieder nach Warschau.

Mehrere „Rückkehr“-Datenbanken

In einer ersten, vollständig von der Agentur initiierten und organisierten „Rückführungsaktion“ schoben die „Rückkehrteams“ von Frontex vor einer Woche 40 albanische Staatsangehörige nach Tirana ab. Das von Frontex gecharterte Flugzeug startete in Madrid, bei einer Zwischenlandung in Rom wurden weitere Personen an Bord gebracht. Über die EU-Delegation in Albanien und den dort stationierten Verbindungsbeamt:innen hat Frontex die erforderlichen Dokumente und Genehmigungen für die Massenabschiebung beschafft.

Für Abschiebungen und „freiwillige“ Rückkehrmaßnahmen betreibt Frontex ein „Rückkehr-Fallbearbeitungssystem“ (RECAMAS), das aus nationalen und einem Zentralsystem besteht. Operative, statistische und strategische Informationen prozessiert Frontex in einer zentralen „Integrierten Rückkehrmanagement-Anwendung“ (IRMA). Personendaten der Betroffenen werden in einer „Frontex-Rückführungsanwendung“ (FAR) gespeichert, darunter auch die Art des Reisedokuments, eine „Bewertung des Sicherheitsrisikos“, wie gesund die Person ist oder ob die Rückkehr freiwillig oder „erzwungen“ erfolgt. Auch Fluggastdatensätze (PNR) der Betroffenen und Begleiter:innen (etwa Familienmitglieder) werden in FAR aufbewahrt. 30 Tage nach Beendigung des Vorgangs müssen alle Daten gelöscht werden.

IT-Zentralsystem mit „Risikoindikatoren“

Uku Särekanno aus Estland wurde zum dritten stellvertretenden Direktor für „Informationsmanagement und -verfahren“ ernannt. Als Mitglied des Verwaltungsrats des estnischen Innenministeriums beriet er die Polizei unter anderem zu IT-Großsystemen. 2018 wurde er zum stellvertretenden Direktor für Cybersicherheit bei der estnischen Behörde für Informationssysteme ernannt. Zuletzt war er bei der Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen (eu-LISA), die ebenfalls in Estland ihren Sitz hat, für die Einführung neuer Datenbanken zuständig.

Eu-LISA betreibt unter anderem das neue Europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS). Alle visumfrei in die EU Reisenden müssen vor ihrem Grenzübertritt persönliche Daten über ein Formular hinterlegen. Anschließend werden die Angaben mit anderen europäischen Polizeidatenbanken abgeglichen. Das ETIAS erteilt dann entweder die Freigabe oder eine anfechtbare Einreiseverweigerung. Frontex verwaltet mit rund 250 Beamt:innen die Zentralstelle des ETIAS, ein Teil von ihnen ist bereits rekrutiert. Sie sind für die Verarbeitung der Personendaten zuständig. Ergibt sich dabei ein „Treffer“, wird der Vorfall manuell bearbeitet und zur Prüfung an die nationalen ETIAS-Stellen in den Mitgliedstaaten weitergeleitet. Die Grenzagentur entwickelt außerdem „Risikoindikatoren“, um auffällige Personen oder Reisen in den Datensätzen leichter zu entdecken.

Den Betrieb der Zentraleinheit bei Frontex müssen die Antragssteller:innen finanzieren; für jede ETIAS-Genehmigung bzw. -ablehnung werden Gebühren in Höhe von sieben Euro fällig. Das System soll nächstes Jahr in Betrieb gehen und betrifft nach derzeitigem Stand rund 1,4 Milliarden Menschen aus über 60 Ländern. (mig)

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