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Prozess wegen Todesdrohungen

Über rechte Polizeichats auf die Spur der NSU-2.0-Drohmails

Vor dem Landgericht Frankfurt am Main muss sich ab kommender Woche der Mann verantworten, der die Todesdrohungen an prominente Frauen allein verfasst haben soll. Die Opfer können das nicht glauben. Auch der Angeklagte bestreitet die Vorwürfe.

Von Donnerstag, 10.02.2022, 20:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 10.02.2022, 17:44 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die anonym versendeten Faxe und Mails waren nur mit „NSU 2.0“ gezeichnet und enthielten Todesdrohungen und rechtsextremistische Schmähungen vor allem gegen prominente Frauen aus Politik und Kultur. Die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız erhielt im August 2018 als erste ein solches Schreiben mit Anspielung auf die rechtsextremistische Terrorzelle NSU, das auch ihre öffentlich gar nicht zugängliche Adresse und Drohungen gegen ihre namentlich genannte kleine Tochter enthielt.

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Trotz immensen Fahndungsdrucks der Polizei folgen Hunderte weiterer Drohbriefe von „NSU 2.0“ an Adressaten im gesamten Bundesgebiet. Von dem Täter fehlt jede Spur. Nachdem die Abfrage von persönlichen Daten Başay-Yıldız‘ in einem Frankfurter Polizeirevier bekannt wird, fördert eine Durchleuchtung der hessischen Polizei mehrere Chatgruppen zutage, in denen Polizisten rechtsextremistische Äußerungen und Bilder ausgetauscht haben. Eine Verbindung zu den Drohschreiben findet sich aber nicht.

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Alleintäter?

Erst im Mai 2021 wird in Berlin ein arbeitsloser IT-Techniker als mutmaßlicher Verfasser der Drohungen gefasst. Am kommenden Mittwoch (16. Februar) beginnt vor dem Landgericht Frankfurt am Main der Prozess gegen den 53-Jährigen. Die Taten, hinter denen lange ein ganzes Netzwerk von Rechtsextremisten mit Kontakten in die Polizei hinein vermutet wurde, soll er allein begangen haben.

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Die Abfrage von Daten seiner Opfer in Polizeirevieren hat sich der Mann nach Überzeugung der Ermittler erschlichen, indem er sich als Behördenmitarbeiter ausgab. Aktive Unterstützer aus der Polizei soll er nicht gehabt haben. Viele seiner Opfer können das nicht glauben. Die bekanntesten davon sind neben Başay-Yıldız die heutige Linken-Vorsitzende Janine Wissler und die Berliner Kabarettistin Idil Baydar. Auch die heutige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) soll zu den Empfängerinnen der Drohschreiben gehört haben.

Angeklagter bestreitet NSU-2.0-Mails

Auf die Spur kamen die Fahnder dem Mann, weil sein Sprachduktus in rechtsextremistischen Chatgruppen auffiel und dem in den Drohmails verwendeten Stil stark ähnelte. An seinen Klarnamen gelangten die Sicherheitsbehörden schließlich in einem Schachforum, wo der gleiche Duktus festgestellt worden war. Der seit Jahren erwerbslose Verdächtige war wegen Körperverletzung vorbestraft und ist nach Angaben der Staatsanwaltschaft schon einmal wegen Amtsanmaßung rechtskräftig verurteilt worden, weil er sich fälschlich als Kriminalbeamter ausgegeben hatte. Im Schriftwechsel mit einer Behörde habe er zudem beschrieben, wie man missbräuchlich an persönliche Daten gelangen könne und zugegeben, das auch selbst schon getan zu haben.

Bei der Festnahme in seiner Berliner Wohnung im vergangenen Jahr war der Rechner des Mannes eingeschaltet, was Polizei und Justiz die Ermittlungsarbeit erleichterte. Sichergestellt wurden eine Vielzahl elektronischer und schriftlicher Datenträger, aber auch kinderpornografisches Bild- und Videomaterial. Der jetzt in Frankfurt Angeklagte bestreitet, Urheber der NSU-2.0-Schreiben zu sein. In der Anklageschrift wird ihm eine breite Palette von Straftaten vorgeworfen, unter anderem Beleidigung in 67 Fällen, versuchte Nötigung, Bedrohung, Verbreiten von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, öffentliche Aufforderung zu Straftaten, Volksverhetzung, Besitz kinder- und jugendpornografischer Schriften sowie ein Verstoß gegen das Waffengesetz.

Drastische Beleidigungen

Die im Absender verschleierten Faxe und Mails soll er regelmäßig mit „Heil Hitler“ unterzeichnet und sich selbst „SS-Obersturmbannführer“ genannt haben. Die Schreiben von „NSU 2.0“ enthielten vielfach drastische Beleidigungen wie „Volksschädling“ und „Abfallprodukt“ sowie rassistische Beschimpfungen gegen Menschen türkischer Abstammung wie Anwältin Başay-Yıldız, die im Münchner NSU-Prozess für Angehörige eines Mordopfers die Nebenklage vertrat.

Für das Gerichtsverfahren gegen den Angeklagten aus Berlin sind in Frankfurt zunächst 14 Verhandlungstage bis 28. April und danach weitere an jedem Donnerstag vorgesehen. (epd/mig) Leitartikel Panorama

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