Pascal Kober im Gespräch
Opferbeauftragter zu Hanau: Staat muss offene Fragen beantworten
Pascal Kober (FDP) ist neuer Beauftragter der Bundesregierung für die Anliegen der Opfer von Terroranschlägen. Im Gespräch verrät er, wie er das Amt angeht, welche Erfahrungen er als Militärpfarrer mitbringt und an welchen Stellen er Sensibilität bei Behörden vermisst.
Von Corinna Buschow Mittwoch, 16.02.2022, 18:50 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 16.02.2022, 17:34 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Herr Kober, seit dem 12. Januar sind Sie neuer Beauftragter der Bundesregierung für die Opfer von terroristischen Anschlägen. Wie beginnt man solch ein Amt?
Pascal Kober: Ich hatte die Anfrage nicht erwartet, habe aber nach einer nur kurzen Bedenkzeit zugesagt. Die Mitarbeiterinnen in der Geschäftsstelle haben mich dann schnell auf den aktuellen Stand gebracht. Das hieß an erster Stelle, sich mit dem Einsatzkonzept zu beschäftigen, das greift, wenn es zu einem Anschlag kommt. Ich muss vom ersten Tag an reaktionsfähig sein. Zuständig bin ich, sobald ein Anschlag einen terroristischen oder extremistischen Hintergrund hat.
Was war nach der Bedenkzeit der Grund, Ja zu sagen?
Es gab mehrere Gründe, etwa meine jahrelange Beschäftigung als Bundestagsabgeordneter mit sozialpolitischen Fragen, in den letzten Jahren auch zur Reform der Opferentschädigung. Ausschlaggebend war aber meine berufliche Biografie. Ich habe bereits viel mit Trauernden gearbeitet, sodass ich hoffe, auch die Betroffenen von terroristischen und extremistischen Anschlägen unterstützen zu können.
Sie sind evangelischer Pfarrer und waren längere Zeit in der Militärseelsorge tätig, dabei zweimal in Mali. Hilft das für das neue Amt?
Ich kenne aus der Militärseelsorge den Umgang mit Trauernden und traumatisierten Personen. Ich habe einen Sprengstoffanschlag auf ein benachbartes Lager einer anderen Nation erlebt und erlebt, wie es ist, wenn beim Zähneputzen plötzlich eine nahe Detonation alles erschüttert und die Verletzlichkeit des Lebens persönlich nahekommt. Wir sind es gewohnt, in unserer Gesellschaft Probleme zu lösen, Gebrochenes zu reparieren oder zumindest zu kitten. Opfer von Traumata müssen dagegen oft ein Leben lang damit umgehen, dass etwas gebrochen bleibt. Das sind Fragen, die auch mich als Christ sehr bewegen.
Am 19. Februar jährt sich der rassistisch motivierte Terroranschlag in Hanau zum zweiten Mal. Hatten Sie zu Hinterbliebenen schon Kontakt und werden Sie zum Jahrestag da sein?
Ja, das werde ich. Vor Ort wird es auch Gespräche mit Angehörigen geben, wenn sie das wünschen. Nach meinem Amtsantritt habe ich die Betroffenen von Hanau sowie die Betroffenen anderer Anschläge, mit denen der damalige Opferbeauftragte Edgar Franke beziehungsweise die Geschäftsstelle in Kontakt standen, angeschrieben, mich vorgestellt und meine Unterstützung angeboten.
Die Hinterbliebenen in Hanau sehen die Tat bis heute nicht ganz aufgeklärt. Auch beim Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz gab es lange Untersuchungen nach Vorwürfen gegen die Sicherheitsbehörden. Wie können Opfer solcher Taten das Vertrauen in den Rechtsstaat wiedergewinnen?
Es muss der Anspruch des Staates und der Gesellschaft sein, dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Ich sehe meine Aufgabe auch durchaus darin, auf Dinge hinzuweisen, wo dies nicht gelingt. Der Staat muss in der Lage sein, offene Fragen zu beantworten und mögliche Lücken bei der Aufklärung zu schließen.
Im Koalitionsvertrag heißt es, der Umgang mit Opfern und Hinterbliebenen von Terroranschlägen soll „empathischer und würdiger“ gestaltet werden. Was ist bislang nicht gut gelaufen und wie soll es sich ändern?
Soweit ich es wahrgenommen habe, wurde oftmals nach einem Anschlag die Ansprache der Ermittler als nicht besonders sensibel empfunden. Das kenne ich auch aus dem Sozialrecht: Wir haben festgelegte Verfahren, die korrekt ausgeführt werden müssen. Dabei geht manchmal unter, dass der Mensch im Mittelpunkt stehen muss und allgemeine Regelungen nicht jeder einzelnen Lebenssituation gerecht werden. Die staatliche Seite hat hier Nachholbedarf. Man muss zum Beispiel schauen, ob und in welcher Form sensible Kommunikation Teil der Ausbildung und Arbeitskultur in Polizei und Behörden ist. Manchmal sind es ganz banale Fragen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Zum Beispiel die Frage: „Können Sie sich ausweisen?“ Es ist natürlich grundsätzlich korrekt, die Identität einer Person festzustellen. Ob es aber wirklich die richtige erste Frage ist, wenn man mit dem Angehörigen eines Anschlagsopfers spricht, möchte ich hinterfragen.
Im Koalitionsvertrag ist außerdem festgehalten, dass der 11. März ein nationaler Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt werden soll. Ist bereits in diesem Jahr etwas geplant?
Wir arbeiten daran. Der Zeitraum für die Vorbereitung ist aber kurz. Noch stellt sich die Frage, ob wir schon in diesem Jahr auch wegen Corona etwas Kleineres machen oder uns lieber länger Zeit nehmen für eine Veranstaltung im kommenden Jahr. Ich bemühe mich eher darum, dass wir schon in diesem Jahr am 11. März ein Zeichen der Wertschätzung für die Opfer setzen.
Was ist Ihnen über den Koalitionsvertrag hinaus ein Anliegen?
Ich will mich vor allem bemühen, die Erfahrungen aus den vielen Einzelfällen, die es gibt, in politisches Handeln zu übersetzen. Auch wenn es viele verschiedene Schicksale sind, lassen sich Strukturen ablesen, auch für die Gesetzgebung. Im Entschädigungsrecht gibt es da noch Nachbesserungsbedarf. Da hat mein Amtsvorgänger Edgar Franke bereits sehr wichtige Vorarbeiten geleistet und wertvolle Vorschläge gemacht.
Er hat gefordert, Opfer von Anschlägen bei den Rehabilitierungsleistungen Unfallopfern gleichzustellen
Zum Beispiel, ja. Es geht etwa auch um die Frage, ob die Versorgungsämter aktiv auf die Betroffenen zugehen und Fallmanager zur Verbesserung der Verfahren beitragen können. Ein anderes Anliegen von mir ist es, das Verständnis für die Opfer von Anschlägen in der Gesellschaft stärker zu verankern. Die Anschläge am Breitscheidplatz, in Halle (Saale) und Hanau galten der gesamten Gesellschaft. Das muss stärker wahrgenommen werden.
Das Wort „Opfer“ wird heute von manchen ungern verwendet, weil es Passivität vermittelt oder sogar als Schimpfwort gebraucht wird. Haben Sie ein Problem mit dem Begriff?
Korrekt heißt es im Titel meines Amtes ja „Beauftragter für die Anliegen von Betroffenen“. Ich kann verstehen, wenn Menschen nicht als Opfer bezeichnet werden sollen, weil es ihnen vielleicht so vorkommt, dass sie dadurch in eine Kategorie gesteckt werden, obwohl sie nicht nur über dieses einschneidende Erlebnis definiert werden wollen. Das sollte uns zu denken geben. Zum vollständigen Bild eines Menschen gehört natürlich mehr. Dennoch muss es möglich sein, Dinge kurz und verständlich zu benennen. Die Verkürzung „Opferbeauftragter“ finde ich legitim. Was wäre eine Alternative, die nicht den Täter oder die Tat, sondern die Betroffenen in den Mittelpunkt stellt? Terrorbeauftragter zum Beispiel wäre unpassend. (epd/mig) Aktuell Interview Politik
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