Gedenken an Opfer von Hanau
Politiker versprechen erneut „lückenlose Aufklärung“
Vor zwei Jahren löste der rassistische Anschlag in Hanau mit neun Toten Entsetzen aus. Zum Jahrestag versprachen Politiker erneut „lückenlose Aufklärung“. Die Hinterbliebenen fordern mehr als nur warme Worte und Fotos mit den Opfer-Familien. In München schlugen Polizisten Hanau-Demonstranten.
Sonntag, 20.02.2022, 13:19 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 20.02.2022, 14:26 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Vertreter aus Politik, Gesellschaft und Religionen haben am Samstag in Hanau zusammen mit den Hinterbliebenen der Opfer des rassistischen Anschlags von 2020 gedacht. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) drückte den Angehörigen ihr tiefes Mitgefühl aus. Zugleich kündigte sie eine „lückenlose und transparente Aufklärung aller Hintergründe dieses entsetzlichen Anschlags“ und ein entschlossenes Vorgehen gegen den Rechtsextremismus an. Dessen Bekämpfung habe für sie „oberste Priorität“.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte den Namen jedes einzelnen Opfers in einem am Samstag auf Twitter veröffentlichten Video. „Ihr wart ein Teil unseres Landes, ein Teil von uns“, sagte er. Die Bundesregierung werde „Rassismus und rechten Terror entschlossen bekämpfen“. Es gehe darum, „Netzwerke von Extremisten wirksam abzuschalten“ und dafür zu sorgen, dass staatliche Behörden die Opfer und Hinterbliebenen unterstützen.
Wir können täglich an die Opfer von #Hanau erinnern: Indem wir auf Respekt setzen statt auf Hass, und auf Zusammenhalt statt Spaltung. Heute sagen wir laut Eure Namen. Weil wir Euch nicht vergessen. Ihr wart ein Teil unseres Landes, ein Teil von uns. #SayTheirNames pic.twitter.com/Jq0yGuqDKr
— Bundeskanzler Olaf Scholz (@Bundeskanzler) February 19, 2022
Faeser sagte in Hanau, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier habe bei der Gedenkfeier im vergangenen Jahr von der Bringschuld des Staates gegenüber den Angehörigen gesprochen. „Heute muss ich sagen: Diese Bringschuld ist noch nicht erfüllt. Es sind noch viele Fragen offen.“ Diese müssten im Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags geklärt werden, sagte Faeser. Unterdessen dämpfte Marius Weiß (SPD), der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, die Erwartungen. „Wir können nicht alles aufklären“, sagte Weiß den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
„Das politische Foto des Jahres“
Das Foto des Tages in den sozialen Medien zeigt Ministerin Faeser, wie sie während einer Gedenkveranstaltung einer Mutter eines beim Anschlag Verstorbenen die Hand drückt. Filippos Kurtoglou kommentierte es im Kurznachrichtendienst Twitter als das politische Foto des Jahres. „Das ist einfach so emotional und beschreibt den Wandel in der deutschen Innenpolitik so gut“, schreibt er dazu.
Das ist einfach so emotional und beschreibt den Wandel in der deutschen Innenpolitik so gut.
Das politische Foto des Jahres.#saytheirnames #Hanau #hanauistueberall @NancyFaeser pic.twitter.com/4eZMBPZPOD
— Filippos Kourtoglou (@FilipposKourt) February 20, 2022
Bei der Gedenkstunde sprachen neben Faeser auch der immer wieder in Kritik stehende hessische Ministerpräsident, Volker Bouffier (CDU), der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD), der Hanauer Imam Macit Bozkurt und mehrere Angehörige.
Filip Goman, Vater von Mercedes: Hessens Ministerpräsident Bouffier wünschte uns Beileid – und löffelte dabei sein Joghurt. @cdu_hessen #hanau #hanauwarkeineinzelfall #saytheirnames #keinschweigen #keinvergessen pic.twitter.com/9OPA4LEtLj
— IslamiQ (@IslamiQde) February 15, 2021
Außergewöhnliche Herausforderung – Bouffier verteidigt Behörden
Ministerpräsident Bouffier nannte Rassismus ein „Gift“, aus dem ein Hassklima entstehe, das schließlich zu schrecklichen Taten führen könne. Der Tod der neun jungen Hanauer sei eine Verpflichtung für die gesamte Gesellschaft, Rassisten energisch entgegenzutreten, immer und überall. Bouffier ging auch auf die Kritik der Angehörigen ein. Auch die Behörden hätten vor „außergewöhnlichen Herausforderungen“ gestanden, sagte er, „das schließt aber einen angemessenen und sensiblen Umgang mit den Angehörigen nicht aus“.
Der Hanauer Oberbürgermeister Kaminsky versprach, die Namen der Opfer würden niemals vergessen. „Wir nehmen ihren sinnlosen Tod als Auftrag, für Respekt, Toleranz und ein friedliches Miteinander einzustehen.“ Imam Bozkurt appellierte an die Politik: „Unsere Hoffnung ist, dass Politik und Behörden ihrer Verantwortung der lückenlosen Aufklärung bewusst werden, um verloren gegangenes Vertrauen wieder zu gewinnen.“ Die Grabstätten der Opfer seien „ein Mahnmal gegen Hass und Ausgrenzung“.
Serpil Temiz Unvar:„Es ist noch nichts geschafft“
Die Mutter des ermordeten Ferhat Unvar, Serpil Temiz Unvar, hatte bereits im Vorfeld des Jahrestages in einem offenen Brief an die Bundesregierung Aufklärung gefordert. „Es reicht nicht, dass man Interviews führt, dass man uns die Hände schüttelt, uns Beileid ausspricht und sich Politiker mit uns fotografieren lassen. Es ist noch nichts geschafft“, schrieb sie darin.
In der Hanauer Innenstadt versammelten sich nach Angaben der Polizei am Samstagnachmittag rund 1.500 Menschen zu einer Kundgebung und Demonstration unter dem Motto „Zwei Jahre Hanau. Kein Vergeben, kein Vergessen“. Die Veranstaltung sei friedlich verlaufen, sagte ein Polizeisprecher am Abend. Dazu aufgerufen hatten unter anderem die Initiative 19. Februar Hanau, die Bildungsinitiative Ferhat Unvar sowie die Jugendverbände von Grünen, SPD und Linkspartei.
Polizei mit Schlagstöcken gegen Hanau-Demonstranten
Am Freitag und Samstag gab es nach Angaben der Initiative 19. Februar in mehr als 100 deutschen Städten Gedenkveranstaltungen. In München erntete die Polizei, die mit einem Großaufgebot die Gedenk-Demo begleitete, Kritik für sein hartes Vorgehen gegen Demonstranten. Efsun Kızılay kommentierte die Szenen im Twitter: „Diese Menschen tragen die Bilder der Ermordeten von Hanau, während die Polizei auf sie einschlägt. Ich kann meine Wut gar nicht in Worte fassen.“
Diese Menschen tragen die Bilder der Ermordeten von Hanau, während die Polizei auf sie einschlägt. Ich kann meine Wut gar nicht in Worte fassen. https://t.co/a3nRwfmTKn
— Efsun Kızılay (@efsun_kizilay) February 19, 2022
Der Attentäter hatte am 19. Februar 2020 hatte nicht nur die neun Menschen mit Einwanderungsgeschichte erschossen, sondern auch zahlreiche weitere Menschen verletzt. Anschließend erschoss er auch seine Mutter und nahm sich selbst das Leben. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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