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Filiz Polat, Die Grünen, Politik, Bundestag, MiGAZIN, Migration, Integration
Filiz Polat (Die Grünen) © Deutscher Bundestag/Inga Haar, Zeichnung: MiG

Ukraine

Den Menschen geben, was ihnen geraubt wurde!

Deutschland ermöglicht Flüchtenden aus der Ukraine schnelle Aufnahme. Das ist wichtig, denn wir stehen in der Pflicht - auch, dass Drittstaatsangehörige an den Grenzen nicht diskriminiert werden.

Von Freitag, 04.03.2022, 16:44 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 04.03.2022, 16:44 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Von einer „Zeitenwende“ spricht Kanzler Olaf Scholz, von einer „anderen Welt, … in der wir heute aufgewacht sind“, Außenministerin Annalena Baerbock. Der brutale Angriffskrieg, mit dem Russlands Diktator Putin seinen Nachbarn und damit das zweitgrößte Land unseres Kontinents überzieht, bringt Millionen Ukrainerinnen und Ukrainern Not, Elend, Vertreibung und Tod.

Aber er führt auch zu einem beachtlichen Schulterschluss der internationalen Staatengemeinschaft, zu einer so nicht erwarteten Geschlossenheit bei der Verhängung von Sanktionen gegen Moskau und zu einer Solidarität, die weit über die politisch Handelnden hinausgeht. Ich denke an die beispiellose Hilfsbereitschaft unzähliger Bürger:innen, die tausendfachen spontanen Angebote, Vertriebene aufzunehmen, oder daran, dass eine dezentrale Unterbringung unkompliziert organisiert werden kann. Dass es für all das einen Krieg in unserer Nachbarschaft geben muss, ist unendlich bitter.

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Was heißt das konkret: Die Ampelkoalition, Innenministerin Nancy Faeser, hat den Flüchtenden eine schnelle und unkomplizierte Aufnahme ermöglicht; dazu kommt die ohnehin große Hilfsbereitschaft von vielen Kommunen und Bürger:innen, wie wir sie schon in früheren Fluchtbewegungen erlebt haben.

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„Die Fluchtbewegungen in Richtung Polen, Ungarn, Moldau, Slowakei und Rumänien sowie von dort in andere EU-Staaten werden zunehmen. Bei der Zahl von rund einer Million wird es nicht bleiben.“

Niemand weiß genau, wie viele Menschen aus der Ukraine nach Deutschland fliehen werden; Schätzungen gehen von Zahlen im sechsstelligen Bereich aus. Immerhin leben aktuell rund 331.000 Menschen mit ukrainischem Migrationshintergrund in Deutschland. Mehr als die Hälfte von ihnen haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Außerdem sind etwa 2.000 deutsche Unternehmen in der Ukraine aktiv – mit tausenden Mitarbeitenden und deren Familien.

Nicht zu vergessen die etwa 350.000 Menschen jüdischen Glaubens in der Ukraine, von denen viele enge Beziehungen nach Deutschland haben. Ich denke daran, wie jüdische Auswanderer:innen aus der Ukraine Ende der 1980er Jahre unser Leben hier bereichert haben; ich denke an die Berliner Chabad-Gemeinde, die seit Tagen geflüchtete Glaubensschwestern und –Brüder in hiesigen Familien unterbringt und auch die Evakuierung von 130 jüdischen Waisenkindern aus Odessa organisiert hat.

Die Fluchtbewegungen in Richtung Polen, Ungarn, Moldau, Slowakei und Rumänien sowie von dort in andere EU-Staaten werden zunehmen. Bei der Zahl von rund einer Million (Stand 3.3.) wird es nicht bleiben. Umso mehr braucht es jetzt ein koordiniertes europäisches Vorgehen, um die Aufnahme von Flüchtenden innerhalb der EU schnell und unbürokratisch zu organisieren.

„Die Verantwortlichen der EU, und hier besonders auch die Bundesregierung, stehen aber auch in der Pflicht, auf die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention zu pochen, konkret: darauf hinzuwirken, dass es an den Grenzen der Ukraine nicht zu Diskriminierungen von Angehörigen von Drittstaaten kommt.“

Mich beeindruckt zutiefst die große Solidarität der Nachbarstaaten der Ukraine mit den Menschen, die vor der russischen Aggression fliehen, indem sie die Grenzen offen halten. Die EU und Deutschland sind gefragt, mit humanitärer Hilfe wie Nahrungsmitteln, Infrastruktur, Personal sowie medizinischer Versorgung die EU-Anrainerstaaten, aber auch Moldau, das eine lange Grenze mit der Ukraine teilt, zu unterstützen. Die Verantwortlichen der EU, und hier besonders auch die Bundesregierung, stehen aber auch in der Pflicht, auf die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention zu pochen, konkret: darauf hinzuwirken, dass es an den Grenzen der Ukraine nicht zu Diskriminierungen von Angehörigen von Drittstaaten kommt. Leider kommt es immer wieder zu rassistischen Vorfällen an den Grenzen. Hier muss Nulltoleranz gelten, Schikanen gegenüber Flüchtenden aufgrund ihrer Hautfarbe muss entschieden entgegengewirkt werden.

Zentrales Instrument einer schnellen und komplizierten Reaktion auf die Fluchtbewegungen ist die erstmalige Aktivierung der „Massenzustrom“-Richtlinie, die genau zu diesen Zwecken ins Leben gerufen wurde. Diese jetzt von den EU-Innenminister:innen beschlossene und – und nach gut 20 Jahren nun erstmals angewandte – Regelung ermöglicht das, was die Europäische Union bislang nicht geschafft hat: eine schnelle und faire Verteilung von Geflüchteten aus der Ukraine und die deklaratorische Feststellung des Schutzstatus´ durch den aufnehmenden Staat.

„Wir haben denen etwas zu geben, denen Frieden und Sicherheit geraubt wurden.“

Ein langwieriges Asylverfahren bleibt den Geflüchteten damit erspart und ermöglicht es den Schutzsuchenden, an einem sicheren Ort, im besten Fall bei Familie oder Freunden, zur Ruhe zu kommen. In einem so furchtbaren Moment aus dem Leben gerissen, Väter, Brüder zurücklassend, ist dies sicherlich das Beste, was EU-Europa entscheiden kann; eine Blaupause für die Einigung auf ein künftiges Gemeinsames Europäisches Asylsystem. Zuwendung, menschliche Nähe, Trost bekommen Vertriebene bei Freunden und Verwandten allemal besser als in Unterkünften. Also: keine langwierigen Verteilungsprozeduren durch die Länder, keine Zuweisung durch Kommunen; aber: eine schnelle finanzielle Unterstützung der Kommunen durch Bund und Länder.

„Ich stehe vor Ihnen als Außenministerin meines Landes“, sagte Annalena Baerbock am Mittwoch vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen; „aber ich bin auch eine Deutsche, die das immense Privileg hatte, in Frieden und Sicherheit groß zu werden.“ Für mich bedeutet das: Wir haben denen etwas zu geben, denen Frieden und Sicherheit geraubt wurden. Meinung

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