Hilfsorganisationen warnen
Geberländer kürzen Afrika-Hilfen für Ukraine
Geberländer kürzen ihre Hilfen für Afrika zugunsten der Ukraine. Hilfsorganisationen warnen vor katastrophalen Folgen. Afrika sei bereits in großer Not aufgrund ausbleibender Getreidelieferungen aus der Ukraine. Die UNO appelliert, Opfer anderer Konflikte nicht zu vergessen, darunter 5,7 Millionen Syrer - die weltweit größte Flüchtlingskrise.
Montag, 14.03.2022, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 14.03.2022, 6:31 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Hilfsorganisationen warnen, die Nothilfe für die Ukraine könnte auf Kosten afrikanischer Länder gehen. Verschiedene Geber hätten bereits angekündigt, 70 Prozent ihrer Hilfen für den Sahel zu kürzen, um damit Hilfslieferungen in die Ukraine zu finanzieren, erklärte die Generaldirektorin von „Ärzte der Welt“ im westafrikanischen Burkina Faso, Safia Torche, laut einer Mitteilung mehrerer Hilfsorganisationen vom Donnerstag. „Wir sind sehr besorgt, dass dies ein Trend wird und damit der Zugang zu Gesundheitsversorgung für Vertriebene in Burkina Faso noch begrenzter wird“, erklärte Torche.
Das Norwegische Flüchtlingshilfswerk (NRC), „Action Against Hunger“, „Ärzte der Welt“ und Oxfam teilten in der gemeinsamen Erklärung mit, die Finanzmittel für die Bewältigung der Krise in Westafrika deckten weniger als die Hälfte von dem, was eigentlich benötigt werde. Es sei entscheidend, dass die Krise in der Ukraine nicht die Gelder und Aufmerksamkeit für die Sahel-Region verringere. Auch steigende Getreidepreise durch den Konflikt in der Ukraine drohten die Situation in Ländern wie Burkina Faso zu verschärfen.
Durch die zunehmende Instabilität verschärfte sich die humanitäre Lage in der Region zuletzt. Mehr als 160.000 neu registrierte Vertriebene im Januar markierten den Hilfsorganisationen zufolge den zweitstärksten monatlichen Anstieg seit dem Beginn der Krise vor rund drei Jahren. Seit Januar 2019 nahm die Zahl der Vertriebenen in Burkina Faso demnach um 2.000 Prozent zu. Derzeit sind 1.7 Millionen Menschen auf der Flucht, zwei Drittel davon sind Kinder. In Burkina Faso und der Region haben bewaffnete Konflikte, transnationale Kriminalität und Gewalt eine humanitäre Krise ausgelöst, die durch Wetterextreme und die Folgen des Klimawandels noch verschärft wird.
Wirtschaftsforscher: Afrika braucht Getreide aus der Ukraine
Die wachsenden Sorgen in ärmeren Regionen bestätigen Wirtschaftsforscher. Sie warnen vor einer Verschlechterung der Ernährungslage infolge des Ukraine-Krieges in vielen afrikanischen Staaten. Das Land sei für Afrika einer der wichtigsten Getreidelieferanten, sagte Hendrik Mahlkow vom Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) am Freitag. Die Handelswege seien infolge des Krieges gekappt, die Infrastruktur zerstört und die verbleibenden Produktionskräfte auf die Kriegswirtschaft ausgerichtet. Besonders betroffen seien Tunesien und Ägypten.
Der Handelsforscher Mahlkow hat gemeinsam mit dem Entwicklungsforscher Tobias Heidland ein Modell zu den langfristigen Folgen eines möglichen Handelstopps mit Weizen und anderen Getreidesorten wie Mais und Hirse aus der Ukraine entwickelt. Danach würden in Tunesien die Weizenimporte dauerhaft um über 15 Prozent zurückgehen, die Importe von sonstigem Getreide um fast 25 Prozent. Ägypten könnte über 17 Prozent weniger Weizen und knapp 19 Prozent weniger anderes Getreide importieren.
Importe von sonstigem Getreide wären auch in Kamerun sowie Algerien und Libyen spürbar niedriger. In Äthiopien, Kenia und Uganda würde die Einfuhr von Weizen sinken. Die Ukraine habe eine zentrale Bedeutung für Afrikas Lebensmittelversorgung und sei langfristig nicht zu ersetzen, sagte Mahlkow. Das Weltmarktangebot ließe sich laut den Forschern kurzfristig erhöhen, wenn die für Biokraftstoffe vorgesehen Böden für den Anbau von Brotgetreide genutzt werden. Allein in Deutschland betreffe dies drei Prozent der Agrarflächen. Allerdings müsse eine solche Entscheidung schnell erfolgen, denn die Aussaat beginne in den kommenden Wochen.
UNO-Flüchtlingshilfe: Neben Ukraine andere Krisen nicht vergessen
Die UNO-Flüchtlingshilfe hat dazu aufgerufen, neben ukrainischen Flüchtlingen auch den Opfern anderer Konflikte zu helfen. „Wir dürfen jetzt auch diejenigen Menschen nicht vergessen, die in anderen Teilen der Welt zur Flucht gezwungen werden“, sagte der Geschäftsführer der deutschen Partnerorganisation des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Peter Ruhenstroth-Bauer, am Sonntag in Bonn. „Diese Krisen stehen nur selten in den Schlagzeilen – gerade deshalb brauchen die Menschen auch dort unsere ganze Unterstützung.“
„Das großartige Engagement der Zivilgesellschaft für die ukrainischen Flüchtlinge zeigt, dass die Willkommenskultur weiterlebt“, erklärte Ruhenstroth-Bauer. „Unsere Anstrengungen für die Geflüchteten dürfen nicht nachlassen, weil der Hilfsbedarf riesig ist und täglich wächst.“ Mehr als 2,5 Millionen Menschen seien bislang aus der Ukraine geflohen. Die UNO-Flüchtlingshilfe erinnerte zugleich daran, dass der Syrien-Konflikt bereits elf Jahre dauere. Mit 5,7 Millionen registrierten Flüchtlingen sei dies eine der größten Flüchtlingskrisen weltweit.
Im Jemen sind den Angaben zufolge 20,7 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Mehr als vier Millionen Menschen, überwiegend Frauen und Kinder, seien innerhalb des Landes auf der Flucht vor Gewalt. Aus Venezuela flohen laut UNO-Flüchtlingshilfe fünf Millionen Menschen vor Gewalt und Armut in andere Länder. In der äthiopischen Provinz Tigray seien mehr als zwei Millionen Menschen auf der Flucht. Dort liefert sich die äthiopische Armee seit November 2020 heftige Kämpfe mit Rebellengruppen.
Agrarminister appellieren an Cem Özdemir
Agrarminister aus fünf Bundesländern haben derweil auch vor Ernährungsengpässen in Deutschland als Folge des Krieges in der Ukraine gewarnt. „Die Ukraine fällt als Kornkammer Europas und wichtiger Erzeuger von Sonnenblumen, Mais und Weizen aus. Die gesamte Agrarpolitik muss auf den Prüfstand“, sagte Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) am Donnerstag auf Burg Warberg bei Helmstedt. Die Minister der unionsgeführten Agrarressorts von Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt richteten dazu eine zwölf Punkte umfassende „Burg Warberger Erklärung„ an die übrigen politischen Akteure.
Zahlreiche Länder seien zur Ernährung ihrer Bevölkerung auf Einfuhren aus der Ukraine angewiesen, heißt es in der Erklärung. Bereits jetzt seien Preissprünge an den internationalen Agrarmärkten zu sehen. An Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) appellierten die Minister, seine agrarpolitischen Handlungsspielräume zu nutzen, um die Folgen der Krise abzumildern. Dazu zähle beispielsweise ein vorübergehendes Aussetzen der verpflichtenden Flächenstilllegung. So könnten mehr Pflanzen angebaut werden. (epd/mig) Leitartikel Wirtschaft
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