USA
Kulturkampf im Schulunterricht
In den USA ist der Kulturkampf um Gender, Rasse und Sexualität in den Schulen angekommen. Jüngst sorgte eine Entscheidung in Tennessee für Aufsehen, den Holocaust-Comic „Maus“ aus dem Lehrplan zu nehmen. Kritiker sprechen von einer Zensurkampagne.
Von Konrad Ege Montag, 21.03.2022, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 09.04.2022, 6:43 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die Schulbehörde des Landkreises McMinn im Bundesstaat Tennessee machte jüngst international Schlagzeilen mit der Vorschrift, den Holocaust-Comic „Maus“ aus dem Lehrplan für die 8. Klasse zu streichen. Das Buch verwende „unnötigerweise Obszönität und Nacktheit“, hieß es in der Begründung in dem überwiegend weißen Landkreis am Rande der Appalachen-Berge.
Laut Sitzungsprotokoll räumte ein Gremiumsmitglied zwar ein, der Holocaust sei entsetzlich, brutal und grausam gewesen, aber „Maus“-Autor Art Spiegelman habe früher für das Magazin „Playboy“ gezeichnet. Der Autor sagte nach Angaben des Informationsdienstes Jewish Telegraphic Agency, er habe anfangs der Entscheidung zugestimmt. Für manche junge Menschen sei es wohl besser, mit „Maus“ bis zum College zu warten. Doch die Begründung des Gremiums teile er nicht. Es wolle einen „sanfteren Holocaust“ darstellen. Beim gegenwärtigen Streit um Bücher gehe es um Kontrolle.
Niemand sei verantwortlich
In den USA ist der Kulturkampf um Gender, Rasse und Sexualität in den Schulen angekommen. In manchen Bundesstaaten schreiben Politiker Gesetze, was Lehrerinnen und Lehrer zu diesen Themen sagen dürfen. Auch manche Eltern wollen mitbestimmen, welche Bücher ihre Kinder im Schulunterricht lesen. Die Fachzeitschrift für Schulbibliothekarinnen, „School Library Journal“, sprach von einer „koordinierten konservativen Zensurkampagne“.
In Florida missfiel manchen Verantwortlichen die pädagogische Vermittlung der Geschichte der Sklaverei. Ein Entwurf für den Geschichtsunterricht zum Thema Rassismus betont nun zum Schutz weißer Kinder, wie es heißt, niemand sei verantwortlich für die Missetaten seiner Vorfahren und niemandem solle wegen seiner Rasse Schuldgefühle aufgedrängt werden.
Bilderbuch gegen Rassismus abgelehnt
Laut dem Verband American Library Association sorgt auch das Buch „George“ von Alex Gino mancherorts für Proteste. Darin fühlt sich die Hauptfigur George als Melissa und möchte als Mädchen leben. Ablehnung rufe auch das Bilderbuch „Something Happened in Our Town“ hervor, in dem es um einen Schwarzen Mann geht, der von der Polizei erschossen wird. Betroffen ist auch das Aufklärungsbuch „Sex is a Funny Word“. Das Buch „Gender Queer“ über jugendliche Identitätssuche wurde kürzlich in Schulen im Landkreis Loudoun unweit der US-Hauptstadt entfernt – wegen „allgegenwärtiger sexueller Themen“.
In republikanisch regierten Bundesstaaten betonen Regierungen zusehends die Elternrechte. In Oklahoma steht ein Gesetzentwurf zur Debatte, Schulen die Verbreitung von Büchern zu Sexualität, Genderidentität und „sexueller Perversion“ zu untersagen, die „verantwortungsvolle Eltern“ ablehnen würden. Eltern seien zunehmend besorgt über „unangebrachtes Material“ in Schulen, erklärte der Gouverneur von Texas, Craig Abbott.
Eltern sollen mehr Einfluss bekommen
Diese besorgten Eltern tun sich mittlerweile landesweit in Verbänden wie „Moms for Liberty“ und „No Left Turn in Education“ zusammen. Im Bundesstaat Virginia wurde im vergangenen November der Republikaner Glenn Youngkin zum Gouverneur gewählt. Unter anderem hatte er Eltern versprochen, ihnen mehr Einfluss auf den Lehrstoff zu geben.
50,7 Millionen Kinder und Jugendliche besuchen laut Fachdienst „Education Week“ rund 99.000 staatliche Schulen und 5,7 Millionen Schüler 32.000 Privatschulen. Mehr als ein Drittel der Privatschulen sind demnach römisch-katholische und zwölf Prozent konservative christliche Schulen.
3,7 Mio. Kinder zu Hause
Die Schulwahl wird großgeschrieben in den USA. Eltern dürfen ihre Kinder zu Hause unterrichten. Nach Angaben des Forschungsinstituts „National Home Education“ lernen geschätzt 3,7 Millionen Kinder und Teenager zu Hause. Als häufigen Grund für Homeschooling nennen Eltern den Wunsch, ihren Kindern „moralische Richtlinien“ mitzugeben.
Maia Kobabe, die Autorin von „Gender Queer“, mutmaßte kürzlich in der „Washington Post“, die konservative Kampagne gegen bestimmte Bücher nehme zu, weil das konservative Amerika den Kulturkampf verliere. Sie sei sich sicher, dass auch in jeder Schule, die ihr Buch anfeinde, queere Teenager sitzen. (epd/mig) Aktuell Ausland
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