Kühler Kopf ist gefragt
Ungleichbehandlung von Geflüchteten
Die Aufnahmebereitschaft für ukrainische Geflüchtete ist großartig. Das freiwillige Engagement ist beeindruckend. Die politische (Nicht-)Kommunikation legt aber bereits die Grundsteine für neue Spaltungen.
Von David Spenger Dienstag, 05.04.2022, 19:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 06.04.2022, 9:43 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Seit dem 24. Februar ist Krieg in der Ukraine. Es ist ein großes Glück, dass in vielen Nachbarländern und auch über Kontinentalgrenzen hinweg eine immense Hilfsbereitschaft zu spüren ist. Gleichzeitig besteht sogar die begründete Hoffnung, dass sich innerhalb der Europäischen Union ein Verteilungssystem einstellen könnte.
Das ist vor allem deshalb nicht selbstverständlich, weil seit den Jahren 2015/2016 die Hilfsbereitschaft für Geflüchtete sowohl in der Zivilgesellschaft als auch auf dem politischen Parkett kontinuierlich abgenommen hat. Die Zeichen standen hauptsächlich auf Abschreckung und Abschiebung. Die Zahl der freiwillig Engagierten hat sich vielerorts dramatisch verringert. Das Thema Integration wurde im politischen Diskurs zunehmend unbeliebter und die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung zusätzlich beschleunigt.
„Im Schatten dieser aktuell großen Aufnahmebereitschaft … ist aber in verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zunehmendes Unverständnis darüber zu beobachten, dass Ukrainer:innen verschiedene Privilegien erhalten, die bis vor Kurzem für viele Geflüchtete noch unerreichbar schienen.“
Im Schatten dieser aktuell großen Aufnahmebereitschaft in ost- und mitteleuropäischen Ländern – und auch in Deutschland – ist aber in verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zunehmendes Unverständnis darüber zu beobachten, dass Ukrainer:innen verschiedene Privilegien erhalten, die bis vor Kurzem für viele Geflüchtete noch unerreichbar schienen: Eine zügige und weitgehend prüfungsfreie Integration in den Arbeitsmarkt; eine Befreiung von Ticketpreisen des Nah- und Fernverkehrs bei Vorzeigen des ukrainischen Passes; die fehlende Notwendigkeit, sich registrieren zu lassen.
Zusätzliche Meldungen darüber, dass bspw. in Frankfurt (Oder) Geflüchtete mit ukrainischer Staatsangehörigkeit von denen ohne eine solche getrennt werden oder dass nach wie vor Geflüchtete unter anderem aus afrikanischen Staaten an der polnisch-belarussischen Grenze zurückgedrängt werden, nehmen viele aus den POC-Communities im harmlosesten Fall mit Unverständnis auf. Dieses Unverständnis verstärkt sich besonders unter denjenigen, die jahrelang infolge ausländerrechtlicher Bestimmungen schikaniert wurden, keine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis erhielten und deshalb über Jahre in Unsicherheit leben mussten.
Gleichzeitig beinhaltete das Aufenthaltsgesetz und der Koalitionsvertrag für viele die leise Hoffnung, dass sich Leistung durch Sprachkurs, Arbeit und zum Teil auch ehrenamtliches Engagement auch aufenthaltsrechtlich lohnen würde (Ausbildungsduldung, Beschäftigungsduldung, Fachkräfteeinwanderungsgesetz). Das betraf übrigens auch Ukrainer:innen, die vor dem 24. Februar 2022 nach Deutschland einreisten.
„Was in den Jahren 2015/2016 ff. gegolten hat, kann nun politisch auch anders bewertet werden. Nur bleibt ein Beigeschmack bei denen, die jahrelang an der Schwelle zur Irregularität lebten, wenig rechtliche oder gesellschaftliche Anerkennung erlangt haben und auch auf dem Arbeitsmarkt ihre Qualifikationen nur selten adäquat einsetzen konnten.“
Nun sind zunächst zwei Dinge festzustellen: Zum einen muss es aufenthaltsrechtlich natürlich einen Unterschied zwischen Geflüchteten geben, die vor flächendeckendem Krieg und Terror im Herkunftsland fliehen, und jenen, die individuelle Asylgründe vorbringen. Während bei ersteren aufgrund der schieren Offensichtlichkeit der Sachlage ein Schnellverfahren möglich ist, sind im zweiten Fall individuelle Gründe zu prüfen. Und zum zweiten können sich politische Entscheidungen auch ändern.
Was in den Jahren 2015/2016 ff. gegolten hat, kann nun politisch auch anders bewertet werden. Nur bleibt ein Beigeschmack bei denen, die jahrelang an der Schwelle zur Irregularität lebten, wenig rechtliche oder gesellschaftliche Anerkennung erlangt haben und auch auf dem Arbeitsmarkt ihre Qualifikationen nur selten adäquat einsetzen konnten. Es ist jetzt Zeit, diese unterschiedlichen politischen Schwerpunktsetzungen vernünftig zu kommunizieren, um eine weitergehende gesellschaftliche Spaltung abwenden zu können.
„Es dürfen nämlich nicht die Menschen vergessen werden, die seit Jahren hier sind und sich langsam in ein selbständiges Leben in Sicherheit zurückkämpfen und immer wieder auf gesellschaftliche Barrieren und auf Rassismus in all seinen Ausprägungen stoßen.“
Ein Lösungsvorschlag: Was es jetzt dringend braucht, ist eine Doppelstrategie. Auf der einen Seite steht eine kommunikative Aufgabe, die diese Sondersituation als eine solche benennt und die große Hilfsbereitschaft für die Menschen aus der Ukraine würdigt und möglichst bereits an ein nachhaltiges Engagement denkt. Hier sollte aus den Erfahrungen der Vergangenheit gelernt und einem gegenseitigen Ausspielen von gesellschaftlichen Gruppen frühzeitig entgegengewirkt werden. Es dürfen nämlich nicht die Menschen vergessen werden, die seit Jahren hier sind und sich langsam in ein selbständiges Leben in Sicherheit zurückkämpfen und immer wieder auf gesellschaftliche Barrieren und auf Rassismus in all seinen Ausprägungen stoßen.
Auf der anderen Seite braucht es nun schnell eine rechtliche Sicherheit für eben diese Menschen. Und hier liegt die Lösung eigentlich schon auf dem Tisch und es reicht ein Blick in den aktuellen Koalitionsvertrag: Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts! Abschaffung der Kettenduldungen! Mehr Chancengleichheit für alle!
Alleine die Ankündigung einer zügigen Umsetzung der selbst gesteckten Ziele würde die schwelenden sozialen Spannungen abschwächen und vielen Menschen eine Perspektive eröffnen, die sie schon lange dringend brauchen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sich eine Situation einstellt, die wohl kaum mehr rückgängig gemacht werden kann. Meinung
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