Nebenan
Deutsche Waffen, deutsches Geld
„Wir können nicht alle aufnehmen“, das war, wie wir jetzt sehen, wohl nie eine Frage einer „Obergrenze“, sondern eine Frage der Rasse, der Sprache, der Heimat und Herkunft, des Glaubens...
Von Sven Bensmann Montag, 18.04.2022, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 28.10.2022, 11:43 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Nun also schon 2 Monate. In einem Krieg, in dem es noch immer eine Nachricht zu sein scheint, wenn Russland ukrainische Soldaten doch tatsächlich mit dem Tode bedroht, wenn die nicht ihre Waffen niederlegen, sondern weiterkämpfen.
Während sich die Experten auch heute noch weitgehend einig sind, dass es eben keine Frage ist, ob Russland diesen Krieg gewinnen wird, sondern nur wie und wann, nimmt sich der Westen weiter ein Beispiel an einem seiner hellsten politischen Köpfe, Benjamin Franklin, der da (grob übersetzt) sagte: „Nie gab es einen guten Krieg, oder einen schlechten Frieden“, und tut alles daran, diesen Krieg und die Greuel, die er unweigerlich produziert, weiter zu verlängern.
Von Deutschland mag sich die Ukraine dabei keinen Besuch des Staatsoberhauptes wünschen, deutsche Waffen, deutsches Geld sind weiter gern gesehen. Und auch wenn im politischen Berlin für etwa 5 Minuten gemunkelt wurde, es handele sich um einen gewaltigen diplomatischen Affront, den Steinmeier der Herzen so barsch vor die Tür zu setzen, einen, der Konsequenzen haben müsse, ist doch kurz darauf im notorisch klammen deutschen Haushalt, in dem sich seit Jahren kein Geld für Alte, Kranke und Arbeitslose auftreiben lässt, wieder das ein oder andere Milliärdchen aufgetaucht, dass sich in die Rüstungsindustrie stecken ließe.
„Nicht, dass es nicht an sich und für sich schon bemerkenswert wäre, dass Russland mit etwa 60 Milliarden Dollar Wehretat eine Armee auf die Beine stellt, vor der die NATO mit insgesamt fast 1,2 Billionen Dollar Etat zittert…“
Nicht, dass es nicht an sich und für sich schon bemerkenswert wäre, dass Russland mit etwa 60 Milliarden Dollar Wehretat eine Armee auf die Beine stellt, vor der die NATO mit insgesamt fast 1,2 Billionen Dollar Etat zittert – während die Bundeswehr mit zuletzt etwa 53 Milliarden Dollar Etat nicht einmal ihre Hubschrauber zum Fliegen oder ihre U-Boote zum Tauchen bekommt: Wer angesichts dieser Disparität auf die Idee kommt, die Probleme der Bundeswehr dürften allein beim Geld liegen und nicht etwa ganz woanders, hat sie nicht mehr alle beisammen. Dass zum Beispiel jene 100 Milliarden – die sich Herr Lindner ganz bodenständig bei der Zukunft geliehen hat, um keine Schulden machen zu müssen – an jeder anderen Stelle besser aufgehoben wären, als im Wehretat, müsste eigentlich klar sein; und sollte keinen Blick auf die Börsenkurse der Rüstungsunternehmen voraussetzen, die schon angesichts des Einmarsches der Russen in die Ukraine sämtlichen Urlaubsanträge haben streichen müssen, um ausreichend Zeit zum Händereiben zu haben.
Ganz egal, ob die Morde von Butscha (das klingt schon so schön nach „butcher“, also Schlachter), zu denen von der ukrainischen Regierung Abenteuertouren für westliche Journalisten mit ausgewählten, vorbereiteten Zeugen organisiert wurden, dabei wirklich so passiert sind, wie es die Ukainer darstellen, oder ob die Russen doch recht haben, wenn sie erklären, dass diese nur Kulisse mit Schauspielern waren – was die Logik des Krieges angesichts einer völlig unkritischen westlichen Presse zumindest geböte: Krieg ist immer ein Verbrechen an der Zivilbevölkerung, und sind die Kriegsverbrechen nicht dort passiert, dann sicher an anderer Stelle.
Dass es heute ukrainische „Zivilisten“ sind – die allesamt von ihrer Regierung zum Kriegsdienst zwangsverpflichtet das Land nicht mehr verlassen dürfen, die bewaffnet und ausgebildet wurden, um die eindringenden Russen zu bekämpfen – die auf der Straße „unschuldig“ erschossen werden, obwohl sie doch gar nichts mit dem Krieg zu tun haben, und nicht mehr afghanische Kinder, die vor der Hütte eines Talibangenerals spielen, um kurz darauf von einer amerikanischen Rakete zerfetzt zu werden, hat unseren Blickwinkel aber offensichtlich verändert.
„… aber wenn die weinende Mutter, die um ihren von Patronen durchlöcherten 9jährigen Sohn trauert, Kopftuch trägt, dann verdient sie scheinbar kein Mitleid … „
Mit Rassismus hat das natürlich rein gar nichts zu tun – deutsche Soldaten töten und töteten in ihren Auslandseinsätzen viele mindestens so unschuldige Zivilisten, begingen ebenso Kriegsverbrechen (wie die Tanklasterbombardierung 2009 oder die improvisierte Hamlet-Referenz 2006, um nur zwei Beispiele zu nennen) – aber wenn die weinende Mutter, die um ihren von Patronen durchlöcherten 9-jährigen Sohn trauert, Kopftuch trägt, dann verdient sie scheinbar kein Mitleid – anders als die weinende Mutter, die um ihren Soldatensohn trauert, der doch immer so fröhlich war und der jetzt im Einsatz an der Front völlig schuldlos gefallen ist. Die „Sandn…“, so eine beliebte Formel der Entmenschlichung, hatten ja schließlich auch jederzeit die Möglichkeit, auf der Website der CIA die Liste jener Gefährder abzurufen, die ohne Prozess zu Terroristen erklärt und zum Abschuss freigegeben worden waren. Dann konnte und sollte man sich von diesen Leuten eben fernhalten, selbst, wenn man gar nicht wusste, wo die sich gerade aufhielten – und wer das nicht tat, der war halt selbst schuld, wenn er von einem Drohnenpiloten am anderen Ende der Welt per Knopfdruck aus dem Leben gerissen wurde. Auch da geht es dem Ukrainer ja anders: Woher soll denn ein Soldat, der an die Front geschickt wird, wissen, dass es dort gefährlich ist: Wann wäre je ein Soldat im Einsatz getötet worden?
Je länger dieser Krieg dauert, desto klarer wird: die stärkste Waffe, die ein Mensch besitzen kann, ist eine helle Hautfarbe. Für die Ukraine wird jeder Hebel in Bewegung gesetzt, der sich finden lässt: Ukrainer bekommen Geld, Waffen, Sanktionen, unbegrenztes Aufenthaltsrecht, wenn sie fliehen. Die Kriegsopfer im Jemen bekommen hingegen unsere Ignoranz zu spüren, neue Öl- und Gasverträge mit deren sklaventreibenden Kriegsgegnern – und unbegrenztes Aufenthaltsrecht höchstens im Mittelmeer. Wie das alles mit dem Menschenbild des Grundgesetzes vereinbar sein soll, entzieht sich mir. Allerdings haben die letzten verbleibenden Pseudoinstanzen der Moral, die dieses Land überhaupt noch hat – die christlichen Kirchen und Richard David Precht – angesichts dieses Krieges ja auch längst bewiesen, dass sie in Fragen der Moral mit leerer Hose dastehen.
„Wir können nicht alle aufnehmen“, dieses oft wiederholte Mantra derer, die sonst niemanden aufnehmen wollen, bleibt derzeit jedenfalls aus – und das gibt mir zu denken. „Wir können nicht alle aufnehmen“, das haben wir, die linken guten Menschen, ja vielleicht einfach nur immer falsch verstanden, und damit jenen Unrecht getan, die mit dieser Binsenweisheit hausieren gingen: „Wir können nicht alle aufnehmen“, das war, wie wir jetzt sehen, wohl nie eine Frage einer „Obergrenze“, einer mehr oder weniger fest definierbaren Zahl, es war, ganz im Gegenteil, eine Frage des Geschlechtes, der Abstammung, der Rasse, der Sprache, der Heimat und Herkunft, des Glaubens, der religiösen oder politischen Anschauungen.
Was das Grundgesetz dazu wohl zu sagen hätte…? Meinung
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Hallo Sven Bensmann,
ich bin tatsächlich schockiert im migazin im Bezug auf Menschen den Begriff „Rasse“ zu lesen und hoffe, dass Sie eigentlich „race“ schreiben wollten.
Kann mich dem ersten Kommentar zum Begriff der „Rasse“ nur anschließen. Auch erschließt sich mir nicht, weshalb ausgerechnet im migazin das N-Wort ausgeschrieben wird.
Hallo Zven/Sven ;)
Ich verstehe nach meiner letzten Nachricht nun besser, dass du eine kommentierende Rolle übernimmst, oder vielleicht der Keim einer moralischen Instanz außerhalb deiner Außenwahrnehmung vertrittst.
Deine Aussage über fehlende moralische Instanz hat mich in deinem Kommentar am meisten erschreckt.
Fehlt dir vielleicht wie mir eine überzeugende Masse, welche diese Moral vertritt?
Im Gegensatz zu dir, behaupte ich, weiß ich, dass mir diese Masse lediglich nicht persönlich bekannt ist. Ich bin hierin Agnostiker, während du Moral-Atheist zu sein vorgibst.
Inhaltlich ist mir wegen der Kürze einer möglichen Nachricht hier nicht möglich jede Kritik anzusprechen. Ich lade gerne zu einer Mail-Diskussion ein.
Deinen Einzelargumenten stimme ich zu, aber die Verkettung sehe ich problematisch.
Ein Unrecht in Afghanistan, oder dessen Ungesühntheit, rechtfertigt nicht ein Anderes.
Mir ist deine Ironie oder Sarkasmus in deinen Aussagen klar, aber z.T. ist es nicht mehr logisch, bzw. folgt keiner persönlichen Moralinstanz mehr.
Ich sehe Parallelen zu agro-berlin, wo textlich bloß ein destruktiver Tiefschlag ausreicht, um Kunst zu sein.
„Die Anderen sind schuld“ -Kernaussage!
Mein rechtsradikaler Vater sagte oft: „Du musst nicht reagieren, sondern agieren.“
Das tat ich, und lasse ihn natürlich sterben.
Ohne rechtsradikalen Hintergrund, sondern vielleicht moralisch, macht dieser Satz Sinn.
Wir können die moralische Instanz sein!
LG Dennis