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Quo vadis, Abschiebungshaft?

Freiheitsentziehung im Schatten der Willkommenskultur

Die Diskussion um Abschiebungshaft und die Abschiebungshafteinrichtung sind, nicht zuletzt aufgrund der Ereignisse in Afghanistan und in der Ukraine, in den Hintergrund gerückt. Dabei ist die Thematik weiterhin aktuell und brisant.

Von Dienstag, 03.05.2022, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 03.05.2022, 14:39 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Frage der grundsätzlichen Menschen- und Grundrechtskonformität und die Problematik der Vielzahl rechtswidriger Haftanordnungen nach den zahlreichen Verschärfungen des Abschiebehaftrechts in den letzten Jahren ist mehr denn je aktuell, und vor dem Hintergrund des erheblichen Eingriffs in fundamentale Grundrechte unverändert brisant. Menschen, die kein Verbrechen begangen und i.d.R. nichts und niemanden gefährdet haben, finden sich unversehens und ohne Begleitung durch einen „Pflichtverteidiger“ aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen hinter viele Meter hohen Mauern und Stacheldrahtzäunen wieder. In der anwaltlichen Berufspraxis führt die Vertretung von Menschen in Abschiebehaft aber ein Schattendasein. Dabei kann die Haftdauer unter Umständen bis zu 18 Monate betragen.

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„Die Freiheit der Person ist unverletzlich“.1 Neben der unantastbaren Würde des Menschen in Art. 1 Abs. 1 GG steht dieser Grundsatz an vorderster Stelle der Grundrechte im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

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Ein Entzug der Freiheit ist deshalb unter anderem nur durch förmliches Gesetz und durch einen Richter möglich, und grundsätzlich nur dann, wenn der Schutz von Rechtsgütern erheblichen Gewichts gegenübersteht, wie z.B. der Schutz der Gesellschaft vor schweren Straftaten, oder der Schutz von Personen vor Selbst- und Fremdgefährdung.

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Freiheitsentziehende Maßnahmen in Verwaltungshand

Im Falle der Durchsetzung von Ausreisepflichten scheinen in den Augen der Gesetzgebungsorgane, der Verwaltung und der Gerichte andere Maßstäbe zu gelten. Hier wird Verwaltungsbehörden, deren Fachgebiet ansonsten nicht das geringste mit freiheitsentziehenden Maßnahmen zu tun hat, per Gesetz unversehens das Mittel der Haft als Werkzeug an die Hand gegeben, letztendlich nur um sicher zu gehen, dass Menschen einer Anordnung zur Ausreise auch wirklich wie geplant nachkommen. Gerichte müssen über solche Haftanträge in der Regel innerhalb kürzester Zeit entscheiden.

Entsprechend anfällig sind Haftanträge für Fehler im Verfahren und in der Begründung, die letztendlich zu einer Rechtswidrigkeit der Haftanordnung führen. Immer wieder leiden Anträge und Beschlüsse an grundlegenden Mängeln, wie z.B. fehlenden Beiziehungen der Ausländerakte, erst nachträglich gestellten Haftanträgen trotz lange im Voraus geplanter Verhaftungen, lediglich floskelhaften Begründungen einer Fluchtgefahr oder unzureichenden Ausführungen zu Abschiebungsvorbereitung und Abschiebungstermin, faktisch unmöglich von Rechtanwält:innen einhaltbaren Ladungsfristen, u.v.m.

Wehrlos gegenüber Eingriff in fundamentales Grundrecht

Trotzt des erheblichen Eingriffs in fundamentale Grundrechte sind die Möglichkeiten Betroffener, sich angemessen gegen eine Haftanordnung zur Wehr zu setzten, massiv eingeschränkt: Während jedem Straftäter, dem eine Haftstrafe droht, von Anfang an ein:e Pflichtverteidiger:in zur Seite gestellt wird, steht den – zudem meist nur begrenzt mit der deutschen Sprache und den rechtlichen Gepflogenheiten in Deutschland vertrauten – Betroffenen in Abschiebungshaftsachen kein entsprechender Anspruch zu. Betroffene sind zunächst auf sich gestellt. Wo Straftäter:innen regelmäßig Wochen und Monate für eine Prozessvorbereitung zur Verfügung stehen, erfährt der/die Betroffene die Gründe seiner bereits erfolgten Inhaftnahme nur im Rahmen einer kurzen Anhörung.

Die strengen Anforderungen an Eingriffe in das „besonders hohe Rechtsgut der Freiheit“ mussten auch höchste Gerichte wie der BGH, der Europäische Gerichtshof (EuGH), der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesverfassungsgericht bereits wiederholt anmahnen. Immerhin ist die Freiheitsentziehung die schwerste Form der Freiheitsbeschränkung.

Rechtsanwalt Peter Fahlbusch, Experte in Abschiebungshaftsachen, kämpft seit Jahrzehnten gegen Abschiebungshaft und Abschiebungshaftanordnungen und um die Rechte der Betroffenen. In einer über Jahrzehnte von ihm geführten Statistik stellt Rechtsanwalt Fahlbusch fest, dass sich regelmäßig im Jahresdurchschnitt die Hälfte der Haftanordnungen als rechtswidrig erweisen. Vielfach leiden die Beschlüsse immer wieder unter den gleichen Fehlern.

Frank Gockel, selbst kein Rechtsanwalt oder Jurist, und dennoch regelmäßig vor Gericht erfolgreich, unterstützt als „Person des Vertrauens“2 seit Jahrzehnten Inhaftierte in deren Abschiebungshaftverfahren und bestätigt die Statistik von Rechtsanwalt Fahlbusch.

Abschiebungshaftbedingungen in der Kritik

Auch die Abschiebehaftbedingungen sind immer wieder Gegenstand der Kritik höchstrichterlicher Rechtsprechung des EuGH, des BGH und des BVerfG. So musste der EuGH3, und ihm folgend der BGH4 bereits vor Jahren feststellen, dass die Abschiebungshaft grundsätzlich nicht in Justizvollzugsanstalten, und schon gar nicht ohne Absonderung von „gewöhnlichen Strafgefangenen“ vollzogen werden darf.

In einer jüngsten Entscheidung weist der EuGH darauf hin, dass Abschiebungshaftanstalten auch in der Gestaltung nicht den Eindruck einer Strafhaftanstalt erwecken dürfen. Und überhaupt: „Zwangsmaßnahmen“ seien im Lichte der Grundrechtecharta, der europäischen Menschenrechtskonvention und der Richtlinie 2008/115 auf das zu beschränken, was „für eine wirksame Vorbereitung der Abschiebung unbedingt erforderlich ist“.

Info: Dieser Beitrag ist in einer längeren Fassung zuerst erschienen im „Der Schlepper

Folglich müssten „die in einer solchen Einrichtung geltenden Haftbedingungen so gestaltet sein, dass mit ihnen soweit wie möglich verhindert wird, dass die Unterbringung des Drittstaatsangehörigen einer Inhaftierung in einer Gefängnisumgebung gleichkommt, wie sie für die Strafhaft kennzeichnend ist“5.

Hier darf mit Spannung die weitere Entwicklung erwartet werden. Die meisten Abschiebungshafteinrichtungen gleichen Strafvollzugsanstalten wie ein Ei dem anderen. Teilweise werden auch Besuche und Kontaktmöglichkeiten nach außen erheblich eingeschränkt. Auch in Glückstadt sind die Türen nicht dünner, als in Stuttgart-Stammheim.

  1. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG
  2. Im Sinne von § 418 FamFG
  3. C 473/13
  4. V ZB 137/14 v. 25.04.2014
  5. EuGH C-519/20 vom 10.03.2022
Leitartikel Panorama
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