Bodo Ramelow im Gespräch
„Raschen EU-Beitritt auch Moldau oder Serbien anbieten“
Thüringens Ministerpräsident Ramelow tritt für Waffenlieferungen an die Ukraine ein. Das Motto der Friedensbewegung „Frieden schaffen ohne Waffen“ bleibe dabei grundsätzlich gültig. Es trete jedoch im Falle eines Angriffskrieges hinter das Selbstverteidigungsrecht des Angegriffenen zurück, sagte Ramelow im Gespräch.
Von Matthias Thüsing Sonntag, 08.05.2022, 17:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 09.05.2022, 5:04 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) tritt für Waffenlieferungen an die Ukraine in jedem erforderlichen Umfang ein. Das Motto der Friedensbewegung „Frieden schaffen ohne Waffen“ bleibe dabei grundsätzlich gültig. Es trete jedoch im Falle eines Angriffskrieges hinter das Selbstverteidigungsrecht des Angegriffenen zurück, sagte Ramelow im Gespräch. Nun müsse eine Friedens- und Vertragsstrategie für die Zeit nach dem Krieg entwickelt werden.
Wann endet dieser Krieg aus Ihrer Sicht?
Bodo Ramelow: Mein Herz wünscht sich sofort – oder wenigstens so schnell wie möglich. Mein Verstand sagt mir, dass wir es möglicherweise noch lange, viel zu lange, mit einem eingefrorenen Konflikt zu tun haben werden, der uns noch sehr hässlich und mit viel Leid für die ukrainische Bevölkerung begleiten wird.
Wie muss er enden? Wie darf er nicht enden?
Er muss aus meiner Sicht mit dem vollständigen Rückzug Russlands von ukrainischem Territorium enden. Es muss ein Waffenstillstand geschlossen werden, bei dem die russische Seite die Waffen unmittelbar abzieht und den völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine beendet. Ich befürchte nur, dass Russland meint, es könnte aus dem Staat Ukraine Teile herauslösen. Es ist offensichtlich, dass Putin die gesamte ukrainische Schwarzmeerküste im Blick hat, ja selbst mit Transnistrien noch den Krieg bis in den nächsten Staat Moldau trägt. So darf dieser Krieg nicht enden.
Sie treten für die Lieferung von schweren Waffen in die Ukraine ein. In welchem Umfang sollte das geschehen?
Die Grundlage meiner Haltung ist das Völkerrecht. Das gilt. Das darf man nicht drehen und wenden, wie es einem gefällt. Und dieses Völkerrecht besagt, wenn ein Staat von einem anderen Staat angegriffen wird, darf er sich verteidigen, mit allem, was er hat und was internationale Abkommen ihm erlauben. Deshalb hat die Ukraine das Recht, sich schwere Waffen im Ausland zu besorgen. Deutsche Firmen sollten diese liefern dürfen. Alles, was dazu von Firmen in Deutschland geliefert werden könnte, müsste auch zur Beschaffung ermöglicht werden. Das war meine Position übrigens vom ersten Kriegstag an.
Das hieße aber, dass mit deutschen Waffen von der Ukraine auch Ziele auf russischem Staatsgebiet angegriffen werden könnten. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte: Wäre das verantwortbar?
Vor dem Hintergrund deutscher Geschichte müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass Hunderttausende Ukrainer während des Zweiten Weltkriegs erschossen, verbrannt und umgebracht worden sind. Dazu gehört – um nur ein Beispiel zu nennen – die Ermordung der galizischen Juden in deutschen Konzentrationslagern. Und nun zu dem, was Sie ansprechen: Wenn sich ein angegriffener Staat verteidigt, indem er militärische Ziele dort attackiert, von wo er angegriffen wird, dann ist das eine Verteidigungsstrategie. Die militärische Infrastruktur, die die Ukraine auf russischem Boden offensichtlich jetzt angreift, wird ja gerade dazu benutzt, die Ukraine zu zerstören. Das Völkerrecht macht keinen Unterschied, aus welchem Land die Waffen stammen, mit denen man sich verteidigt. Alle anderen Optionen, um den Aggressor zu stoppen, sind gleichzeitig auch staatlicherseits zu ergreifen: Geldhahn abdrehen und das Vermögen aller Oligarchen einziehen.
Wie haben Sie mit dieser Haltung die diesjährigen Ostermärsche erlebt?
Ich war ja selbst in der Friedensbewegung aktiv. Und das Ziel von Abrüstung bleibt richtig. Gerade die Friedensbewegung in der DDR hat viel erreicht. Wir können dem lieben Gott danken, den Menschen in der DDR und den Friedensgottesdiensten von 1989/90, dass die Menschen damals den Mut hatten, sich trotz ihrer Angst als einzelne Personen einer Staatsmacht entgegenzustellen und dass es darauf keine bewaffnete Antwort gegeben hat. Immerhin war es auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking noch ganz anders.
Dennoch: Heute wirkt die Friedensbewegung zerrissen.
Die Anfänge der Friedensbewegung in den 80er Jahren hatten den Slogan: „Frieden schaffen ohne Waffen“. Aber der Hintergrund war ein anderer. Es gab zwei hochgerüstete Machtblöcke in der Welt. Und die Friedensbewegung in der Bundesrepublik und der DDR trat völlig zu Recht für Abrüstung ein. Damals gab es keinen Krieg. Jetzt ist die Situation anders. Jetzt müssen wir uns die Frage stellen, wie wir mit dieser aggressiven kriegerischen Situation umgehen. Und hier bleibe ich dabei: Ein angegriffener Staat muss das Recht haben auf Selbstverteidigung.
Die Synode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland hat kürzlich im Bemühen um eine gemeinsame Haltung den Kompromiss gefunden, jeder soll seine Sicht auf die Dinge behalten, aber die Meinung des Anderen respektieren. Spricht daraus nicht Ratlosigkeit?
Es bleibt dann pure Ratlosigkeit, wenn man es einfach nur so stehen lassen würde. Wir müssen jetzt aber auch klare Zielvorstellungen entwickeln. Ein Beispiel: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat der Ukraine eine klare Beitrittsperspektive aufgezeigt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat angekündigt, jetzt schnell die Voraussetzungen für ein Beitrittsverfahren zu schaffen. Und das schließt auch die Annahme der europäischen Grundrechte-Charta ein. Sie garantiert, dass alle Menschen ihre Religion leben, ihre Sprache sprechen und in ihrer Unterschiedlichkeit sein können, wie sie sind. So ließen sich die unterschiedlichen Siedlungsräume in der Ukraine unter einem nationalen Dach vereinen. Für die Zeit nach einem Abzug der russischen Armee aus der Ukraine heißt das konkret: Wer sich in die EU begibt, begibt sich in den Schutz der Beistandsverpflichtungen der Europäischen Union. Die EU ist kein Militärbündnis, aber auch in der Beistandsverpflichtung sehr robust wirksam.
Also wäre der EU-Beitritt der Ukraine der zentrale Teil des diskutierten Sicherheitsversprechens, auch abseits der Nato?
Das ist meine Perspektive einer Friedens- und Vertragsstrategie, die wir genauso Serbien, Moldau oder auch Nordmazedonien anbieten könnten. Es gibt bedingt durch den Zerfall der Sowjetunion so viele eingefrorene Konflikte, in denen russische Bevölkerungsteile als Minderheiten in plötzlich fremden Staaten leben. Einfach nur Sezession ist in all den Konflikten bei all ihrer Unterschiedlichkeit keine Lösung.
Das sind Fernziele. Was muss jetzt passieren?
Krieg schafft nur Zerstörung. Daher ist für mich die Forderung nach Militärhilfe keine leichte Entscheidung. Wir müssen den Krieg überwinden, nicht nur militärisch. Für mich gehört dazu, den ganzen Oligarchen den Geldhahn abzudrehen. Wir müssen die betreffenden russischen Vermögen konfiszieren. Wir müssen die Teile der Energiewirtschaft in Deutschland, die heute noch in der Hand russischer Eigentümer sind, unter staatliche Kontrolle nehmen. Dazu gehört Schwedt, gehören Firmen und Gasspeicher, aber auch Öl-Raffinerien und Infrastruktur der Energiewirtschaft in Deutschland. Wir müssen Russland auch die Finanzierung des Kriegs aus diesen Quellen unmöglich machen. Hier muss Deutschland endlich handeln.
Ist das nicht aussichtslos, sobald es um Vermögen in verschwiegenen Steueroasen geht?
Im Augenblick, ja. Aber es ist deshalb schwierig, weil sich Deutschland seit Jahren konsequent davor drückt, sich Zugriff auf Vermögen aus unklaren Quellen zu verschaffen – etwa in Bezug auf mafiöse Strukturen. Wir sehen, dass Oligarchen milliardenschweren Aktienbesitz in Deutschland auf die Ehefrauen umschreiben und damit Sanktionen umgehen. Belgien und Italien sind hier viel weiter. Hier muss Deutschland endlich handeln. (epd/mig) Aktuell Interview Politik
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