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Auf der Flucht vor dem Napalm

Vor 50 Jahren entstand ein ikonisches Foto aus dem Vietnamkrieg

Kinder fliehen in Panik, hinter ihnen sieht man dichte Rauchwolken. In der Mitte die neunjährige Kim Phuc mit schmerzverzerrtem Gesicht: Dieses Foto aus dem Vietnamkrieg wurde weltbekannt. Heute wirbt Kim Phuc für Versöhnung.

Von Dienstag, 07.06.2022, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 07.06.2022, 17:02 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Das 50 Jahre alte Foto schockiert noch immer: Dem Betrachter läuft ein nacktes und schreiendes Mädchen mit hilflos ausgebreiteten Armen entgegen, von Napalm verwundet, hinter ihr schwarzer Rauch und bewaffnete Männer. Aufgenommen wurde das Schwarz-Weiß-Bild am 8. Juni 1972 im Vietnamkrieg, unweit des südvietnamesischen Dorfes Trang Bang. Das Zeitdokument gilt als ikonisches Antikriegs-Bild. Es wird aber häufig aus dem geschichtlichen Zusammenhang gerissen, mit der Botschaft, es habe geholfen, den Vietnamkrieg zu beenden. Die Sachlage ist komplizierter.

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Das öffentliche Interesse hält an. Anfang Mai 2022 waren der Fotograf des Bildes, Huynh Cong „Nick“ Ut, und das Mädchen auf dem Bild, die damals neunjährige Phan Thi Kim Phuc, bei einer Generalaudienz bei Papst Franziskus. Krieg sei Wahnsinn, hätten die beiden gesagt, berichtete „Vatican News“, auch Franziskus habe bekräftigt, dass er ein Gegner von Kriegen sei.

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„Mächtiger als Napalm“

Das Bild wurde zum „World Press Photo“ des Jahres gekürt. Zahlreiche weitere Ehrungen kamen dazu, darunter der Pulitzerpreis für Nick Ut. Es gibt wohl Tausende Artikel über das Foto und zahlreiche Filme.

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Kim Phuc wurde wegen ihrer schweren Verbrennungen 16 Mal operiert, sie lebt seit Anfang der 90er Jahre in Kanada, ist verheiratet und hat zwei Söhne. Sie ist Christin geworden. Glauben und Vergeben seien „mächtiger als Napalm jemals sein konnte“, erklärt sie. Ihre Autobiografie „Ins Herz gebrannt“ erschien 2018 auf Deutsch. Kim Phuc schreibt über Versöhnung – selbst mit denen, die ihr furchtbare Schmerzen zugefügt hätten.

„Bomben geregnet“

Und sie hat die „Kim Phuc Foundation“ gegründet, die sich für Aussöhnung einsetzt. Kim spricht auch Kinder an, die Kriegsopfer wurden. „Ich kann diesen Kindern sagen: Ich war da, wo du jetzt bist, und ich möchte dir helfen. Wenn du von Schmerzen sprichst, verstehe ich dich, wenn du von Hass und Gewalt sprichst, verstehe ich dich“, sagte sie 2019 der Deutschen Welle in einem Interview.

Am 8. Juni vor 50 Jahren war der damals 21-jährige Nick Ut als Fotograf für das Saigon-Büro der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) auf der Nationalstraße Nr. 1 nach Trang Bang gefahren. Etwa ein Dutzend Reporter und Fotografen berichteten vor Ort. Es habe „Bomben geregnet auf das Dorf“, erzählte Ut später. Auf seinen Fotos sieht man dicken Rauch. Er habe Menschen inmitten des Rauchs gesehen, auch, wie er heute weiß, Kims Großmutter mit einem toten Baby im Arm. Und die schreiende Kim.

„Zu heiß, zu heiß“

Dann habe er auf den Auslöser gedrückt. Die zum Teil auf Uts Bildern sichtbaren Fotografen fotografierten ebenfalls. Ut erzählt, er habe dann dem Mädchen Wasser gegeben und das Kind nach Saigon in ein Krankenhaus gebracht.

Auf dem Leuchttisch im Büro von Associated Press erschien das ergreifende Bild. Am Tag darauf war es auf der Titelseite der „New York Times“ und in zahlreichen anderen Zeitungen. „Zu heiß, zu heiß“, habe sie geschrien, berichtete Kim Phuc später. Die Haut auf ihrem Rücken sei weggebrannt.

Foto verändert Krieg

Die „Times“ schrieb zu dem Foto: Ein südvietnamesisches Flugzeug habe versehentlich Napalm auf eigene Truppen und eine „Gruppe von Zivilisten“ abgeworfen. Medienwissenschaftler W. Joseph Campbell von der American University in Washington sprach 50 Jahre später in einem Gespräch mit dem „Evangelischen Pressedienst“ von „Mythen“ um das Bild. Oft werde angenommen, US-Soldaten seien verantwortlich gewesen.

In zahlreichen Kommentaren heißt es, das Foto habe die Anti-Kriegsbewegung belebt. Auch Ut vertrat die Auffassung, sein Foto habe den Krieg verändert. Das Bild sei allerdings zu einer Zeit entstanden, als „der Abzug der US-Truppen aus Vietnam bereits in vollem Gange war“, schrieb Gerhard Paul, emeritierter Professor für Geschichte und ihre Didaktik an der Europa-Universität Flensburg, bereits 2005 in einem detaillierten Aufsatz in „Zeithistorische Forschungen“ über die „Ikonisierung“ des Fotos. Der republikanische US-Präsident Richard Nixon wurde fünf Monate nach Erscheinen des Fotos mit überwältigender Mehrheit gegen Kriegsgegner George McGovern wiedergewählt.

Kriege ohne Fotos

Umstritten sind auch Elemente des Versöhnungsaspekts. Kim Phuc schrieb in ihrem Buch, ein Vietnamkriegsveteran, Hauptmann John Plummer, habe sie 1996 am Vietnamkriegsdenkmal in Washington angesprochen: Er habe den Napalm-Angriff koordiniert, habe Plummer gesagt. „Es ist ok. Ich verzeihe. Ich verzeihe“, habe sie geantwortet. Plummers Geschichte wurde in Filmen und Zeitungsartikeln wiederholt. Dabei hätten, so Historiker Paul, „Plummers ehemalige Vorgesetzte bestätigt, dass dieser in keiner Weise an den Ereignissen von 1972 beteiligt gewesen war“.

In Vietnam konnten Fotografen und das Fernsehen relativ unbehindert arbeiten. Der Krieg kam auf die Bildschirme. Von manchen Kriegen heute gibt es kaum Fotos. Im Krieg in Jemen zwischen einer von Saudi-Arabien angeführten Koalition und Huthi-Rebellen sind Zehntausende Menschen ums Leben gekommen, in Europa finden die Kämpfe nur wenig Beachtung. (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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