Bärbel Kofler im Gespräch
Gemeinsam können wir das Schlimmste verhindern
Die drohenden Hungersnöte wegen des Ukraine-Kriegs sind ein zentrales Thema beim G7-Treffen: Die sieben wichtigsten demokratischen Industriestaaten treffen sich, um ihr Vorgehen in den aktuellen Krisen abzustimmen. Die Parlamentarische Staatssekretärin im Entwicklungsministerium, Bärbel Kofler (SPD), sprach über ihre Erwartungen an den Gipfel.
Von Mey Dudin Dienstag, 21.06.2022, 16:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 21.06.2022, 9:50 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Allmählich läuft die Zeit davon, wenn man Hungerkatastrophen in armen Ländern vermeiden will. Was erhoffen Sie sich vom anstehenden Treffen der G7-Staats- und Regierungschefs?
Bärbel Kofler: Es muss ein Übereinkommen in deutlicher Sprache mit klaren Verpflichtungen der einzelnen Länder geben. Deutschland hat zur Bekämpfung von Hunger ein Bündnis für globale Ernährungssicherheit angestoßen, und wir sind hierbei mit 430 Millionen Euro in Vorleistung gegangen. Diese Allianz bündelt alle Initiativen gegen Hunger, sorgt für Koordination der Unterstützung und bringt all die zusammen, die Solidarität mit den am meisten Betroffenen üben. Dabei stehen die Bedarfe der Länder des globalen Südens im Mittelpunkt. Das Bündnis wird von vielen Regierungen, darunter natürlich die G7, und genauso von internationalen Organisationen wie dem Welternährungsprogramm (WFP), dem Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung, der Weltbank, der Welternährungsorganisation FAO und anderen unterstützt. Wenn alle gemeinsam agieren, dann können wir das Schlimmste verhindern.
Wie viel Geld wird denn benötigt?
Bärbel Kofler: Das Welternährungsprogramm hat das aufgelistet: Allein um die zurzeit auf Unterstützung angewiesenen knapp 150 Millionen Menschen zu erreichen, sind umgerechnet 19 Milliarden Euro nötig. Aktuell ist davon erst die Hälfte finanziert. Hinzu kommt: Weil wegen des Ukraine-Kriegs Lebensmittel- und Energiepreise steigen, steigen auch die Kosten für die Hilfslieferungen. Inzwischen kostet daher schon die Logistik beim Welternährungsprogramm – das Beschaffen, Lagern, der Transport und andere operative Aufgaben – umgerechnet rund 28 Millionen Euro mehr als vor drei Jahren.
Wegen russischer Angriffe, Minen und der Zerstörung ukrainischer Hafenstädte kommt kaum noch Getreide aus dem Land. Wie kann Ländern, die davon hochgradig abhängig sind, konkret geholfen werden?
Bärbel Kofler: Kurzfristig kann man mit direkten Lieferungen von Saatgut und Düngemitteln Unterstützung leisten oder auch mit sogenannten Cash-Transfers, wie es etwa das Welternährungsprogramm tut: Die Menschen bekommen zum Beispiel auf eine Karte ein Guthaben, mit dem sie einkaufen können. Langfristig geht es aber auch darum, jetzt die richtigen Weichen für eine nachhaltige Zukunft der Agrar- und Ernährungssysteme zu stellen, die Biodiversität und natürliche Ressourcen zu schützen und allen Menschen angemessene Beschäftigung und Ernährung zu bieten. Hier muss auf eine andere Landwirtschaftspolitik gesetzt werden.
Wie könnte die aussehen?
„Wo Menschen hungern, wird es in der Regel immer schwieriger, Probleme friedlich zu lösen.“
Bärbel Kofler: Dass auf Pflanzen gesetzt wird, die die klimatischen Veränderungen besser vertragen, auch lokale Sorten. Dass Importabhängigkeiten durch mehr nachhaltige, lokale Produktion vermieden werden. In Äthiopien wird jetzt zum Beispiel mehr Weizen angebaut. Wichtig ist auch der Zugang zu Wasser: Im Niger gibt es ein deutsches Entwicklungsprojekt, bei dem, wenn es regnet, das Wasser so aufgefangen wird, dass die Grundwasserspeicher wieder aufgefüllt werden. Damit können die Felder bewässert werden. Ein anderes Modell läuft unter dem Schlagwort „InsuResilience“: In einer bäuerlichen Gemeinde in Ghana werden die Menschen für kleine Beträge gegen Extremwetter versichert. Sollte dann Starkregen zum Ernteausfall führen, bekommen sie eine Entschädigung und müssen nicht ihr Hab und Gut verkaufen. Gleichzeitig werden sie beraten und gewarnt, wenn Extremwetter bevorsteht, damit sie mit der Aussaat noch warten, bis es vorbei ist.
Das Bündnis für globale Ernährungssicherheit hat die weltweite Corona-Impfkampagne Covax als Vorbild. Doch die hat erst spät funktioniert, weil die reichen Länder sich zunächst um sich selbst gekümmert haben. Droht jetzt nicht das gleiche Szenario?
Bärbel Kofler: Es liegt an uns allen, jetzt das Richtige zu tun, unmittelbar zu helfen und gleichzeitig den richtigen Pfad für langfristige Veränderung einzuschlagen. Wo Menschen hungern, wird es in der Regel immer schwieriger, Probleme friedlich zu lösen.
Am Beispiel von Mali haben wir gesehen, wie sich Machthaber vom Westen abwenden und Russland zuwenden. Wie groß ist die Gefahr, dass Russland sich in der Ernährungskrise als Retter in der Not inszeniert und befreundete Länder mit Lebensmitteln und Energie versorgt?
Bärbel Kofler: Ich traue den Menschen in Afrika zu, sich ihr eigenes Urteil zu bilden. Wir müssen uns als verlässliche Partner nicht nur präsentieren, sondern es auch wirklich sein. Genau deshalb helfen wir Ländern, einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden. Dazu trägt Entwicklungspolitik ganz entscheidend bei. Natürlich sehen wir, dass es immer mehr autoritäre Staaten gibt und Demokratien immer weiter unter Druck geraten. Doch bei aller Kritik gibt es auch viel Wertschätzung für ein ehrliches, langfristiges, entwicklungspolitisches Engagement mit dem Ziel, wirklich etwas für die Menschen zu tun.
Reichen dafür die Mittel, die dem Entwicklungsministerium zur Verfügung stehen – aktuell sind es rund 13 Milliarden Euro – aus?
Bärbel Kofler: Um angemessen auf die Krisen reagieren zu können, müsste es mehr werden. Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zurecht von einer Zeitenwende spricht, dann ist es nicht nur eine Frage des Militärischen, sondern sehr wohl auch der Entwicklungspolitik. Das hat er selbst betont. Ich kann nur an alle appellieren, die jetzt den Regierungsentwurf für den Haushalt 2023 schreiben, für unsere Aufgaben angemessene Mittel einzuplanen. (epd/mig) Aktuell Interview Politik
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