Lage auf documenta
Gemälde entfernt, doch eine Spaltung bleibt
Das Riesengemälde mit judenfeindlichen Motiven auf der documenta ist abgehängt. Trotz einer Entschuldigung des Kuratorenkollektivs Ruangrupa sind die Wunden auf der Ausstellung noch nicht verheilt.
Von Christian Prüfer Montag, 27.06.2022, 21:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 27.06.2022, 17:32 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Im Ruru-Haus, dem „Wohnzimmer“ des documenta-Kuratorenkollektivs Ruangrupa, herrscht ruhiger Betrieb. Die Verkaufsstände für die Eintrittskarten werden nur gelegentlich frequentiert. Viele Besucher gönnen sich einen Kaffee, der hier günstiger ist als an den Orten rund um die documenta.
„Am Wochenende war es sehr voll“, sagt eine freundliche Mitarbeiterin des Infostandes, jetzt in der Woche sei es natürlich ruhiger. Viele Besucher hätten ihre Eintrittskarten wohl im Internet erworben. Über Besucherzahlen wisse sie nichts, da sei das Pressezentrum zuständig. Hier aber weiß man auch nichts Genaues. Eine Auskunft dauere zurzeit etwas länger, da Corona die Mitarbeiterzahl habe schrumpfen lassen.
Der Platz, auf dem das wegen seiner antisemitischen Darstellungen entfernte riesige Wimmelbild der indonesischen Gruppe Taring Padi hing, wirkt jetzt trist. Auch die Hunderte von bunten Pappfiguren, die es umgaben, sind weg. Geblieben sind nur noch die Sockel, die nun wie Grabsteine wirken. Ein paar Bauarbeiter verladen die letzten Teile des Gerüstes. An eine der verbliebenen Holzlatten, an denen die Figuren befestigt waren, hat jemand ein T-Shirt mit dem Aufdruck „support Ukraine“ gehängt, das einsam im Wind flattert. Zumindest dieses Thema ist anscheinend Konsens. Die Gruppe Taring Padi ist trotz des abgebauten Kunstwerkes nicht komplett von der documenta verbannt, haben sie doch im ehemaligen Hallenbad Ost mehr als 100 ihrer Bilder ausgestellt.
Unterschiedliche Meinungen
Vor der benachbarten documenta-Halle ist eine kleine Besucherschlange, niemand muss auf Einlass lange warten. „Es ist gut, dass das Bild abgebaut wurde“, sagt eine Besucherin. „Das finde ich auch, vor allem, dass es so schnell ging und nicht noch ewig da hing“, pflichtet ihre Begleiterin bei.
Das sehen nicht alle so. So zeigt sich der bei der documenta als Kunstvermittler – „Sobat“ genannt – und selbst als Künstler tätige Zaki Al Maboren, sehr besorgt. „Ich denke, das wird schwere Folgen haben für alle: für die Kunst, für die documenta, für die Politik, für das Zusammenleben der Menschen“, sagt der im Sudan geborene und aufgewachsene Mann. „Das ist nicht normal, das gab es auch noch nicht in dieser Form.“
Rücktritt nach Distanzierung
Gar zu weit aus dem Fenster gehängt hat sich der Vorsitzende des „documenta forums“, einem Förderverein der documenta, Jörg Sperling, der in einem Interview die Entfernung des Bildes kritisiert hatte. Eine freie Welt müsse das ertragen, hatte er sich geäußert. Nicht ertragen mochten diese Äußerung allerdings die anderen Vorstandsmitglieder, die sich prompt davon distanzierten, worauf Sperling zurücktrat.
Einen ganz anderen Blick auf das Geschehen hat die Kasseler jüdische Gemeinde sowie das von ihr betriebene Sara-Nussbaum-Zentrum. „Wir wehren uns entschieden gegen Positionen, die die Bedeutung und die Auswirkungen des Antisemitismus herunterspielen und als kulturelle beziehungsweise traditionelle Eigenart verklären“, heißt es in einer Stellungnahme. „Antisemitismus ist in keinem Sinn eine Befindlichkeit von Jüdinnen und Juden, sondern eine alltägliche Realität.“
„Experiment mit der Gefahr des Nichtgelingens“
Durch die judenfeindlichen Werke der Künstler sei schon jetzt ein immenser Schaden entstanden, kommentiert die jüdische Gemeinde. Die Antisemiten schadeten mit ihren Aktionen auch anderen Künstlern, da sie deren sehenswerte Arbeiten überschatteten. Die documenta als wunderbare künstlerische Idee solle aus jüdischer Perspektive geschützt und erhalten bleiben.
Die Generaldirektorin der documenta, Sabine Schormann, hatte bei der Eröffnungspressekonferenz am 15. Juni schon fast prophetisch darauf hingewiesen, dass die „documenta fifteen“ mit ihrem neuen Ansatz „ein Experimentierfeld mit der Gefahr des Nichtgelingens“ eröffne. Nachdem die Ausstellung nun schon kurz nach der Eröffnung laut dem Kasseler Soziologen Heinz Bude „die größte Beschädigung seit ihrem Bestehen“ erfahren hat, darf man auf den weiteren Verlauf gespannt sein. (epd/mig) Aktuell Feuilleton
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