Musikhören while black
Wie Rassismus Lebensäußerungen NichtWeißer sanktioniert
Wer auf sein Schwarzsein aufmerksam macht, es vielleicht noch feiert, statt daran zu leiden oder zu versuchen, es zu verstecken, zeigt Widerstand.
Von Miriam Rosenlehner Mittwoch, 10.08.2022, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 10.08.2022, 8:41 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
An einem lauen Sommerabend im letzten Jahr versammelte sich eine Gruppe Schwarzer Leute auf einer Brücke im Herzen meiner Stadt. Die Brücke ist bei jungen Leuten beliebt, im Sommer sitzen sie dort und genießen den Sonnenuntergang.
Auf die Gruppe wurde ich aufmerksam, weil sie westafrikanische Musik spielten, später auch Bob Marley. Es erinnerte mich an die Zeit, als ich jünger war.
Von meinem Balkon konnte ich noch länger zuhören. Ich genoss das vertraute Gefühl aus der Vergangenheit. Aber darunter lag noch ein anderes Gefühl: Angst. Oder noch genauer, ein Gefahrenwarngefühl.
NichtWeiße, die es wagen, hörbar zu sein und in einer Gruppe aufzutreten. Braucht man bei uns dafür nicht eine Erlaubnis? Während ich lauschte, konnte ich das Gefühl nicht abstreifen. Ich wartete, wann die Polizei kommen würde.
Um 22 Uhr hörte die Musik auf. Polizei habe ich nicht gesehen. Aber war meine Angst unbegründet? Und woher kam dieses Gefühl? Jedenfalls nicht aus meinen direkten Erfahrungen, die genauso abgelaufen wären. Trotzdem war die Angst so real, dass ich mir wie nebenbei überlegte, ob ich hinuntergehen sollte, um mit der Polizei zu sprechen, wenn sie kommen würden, damit niemand zu Schaden kommt.
„Immer waren die Opfer musikhörende Schwarze. Ein Schütze sagte explizit, er habe sich von der Lautstärke „bedroht“ gefühlt.“
Das Erlebnis hatte ich schon vergessen, als ich wenige Tage später die Geschichte vom Mord an Alvin Motleys las, der in Memphis starb. Ein Security Mann, ein ehemaliger Police Officer, erschoss ihn an einer Tankstelle.
Motley war 48 Jahre alt, er trug Rastas und war blind. Und Schwarz. Während seine Freundin im Shop bezahlte, blieb er im Auto sitzen und hörte laut Musik. Es war Schwarze Musik, Snoop Dog.
Der Schütze, Livingston, Weiß, forderte Motley auf, die Musik leiser zu drehen, was der nicht tat. Die Videos zeigen, dass Motley auf Livingston zuging. Zeugen sagten, Motleys letzter Satz sei „lets talk about this like men“ gewesen. Da zog Livingston die Waffe und schoss sofort. Motley war unbewaffnet. Er hatte eine Bierdose in der einen und eine Zigarette in der anderen Hand. Livingston konnte nicht geglaubt haben, dass Motley, der nicht sehen konnte, eine Waffe ziehen würde.
Dennoch sagte er später, er habe sich bedroht gefühlt.
Wie die Schwarze Newsportal Newsone berichtete, gab es in Florida, Oregon, Georgia, Kalifornien, Wisconsin und Illinois ähnliche Vorfälle. Immer waren die Opfer musikhörende Schwarze. Ein Schütze sagte explizit, er habe sich von der Lautstärke „bedroht“ gefühlt.
„Mein Gefahrenwarngefühl an dem Sommerabend auf der Brücke hatte mir erzählt, dass laute Schwarze Musik, Schwarzsein und in der Gruppe auftreten gefährlich ist.“
Mein Gefahrenwarngefühl an dem Sommerabend auf der Brücke hatte mir erzählt, dass laute Schwarze Musik, Schwarzsein und in der Gruppe auftreten gefährlich ist. Das Gefühl ist für mich eine Warnung, der ich jederzeit vertraue. Besser zu vorsichtig als tot.
In der Regel halten sich Schwarze an diese ungeschriebenen Gesetze. Obwohl: Es gab eine Zeit, in der sie im Gesetzbuch standen. Sie sind also nicht ungeschrieben, sondern durchgestrichen. Aber sogar mir Lightskin (hellhäutige Schwarze) ist das Wahrnehmen der Gefahr eingeschrieben. Bekannt, ohne dass ich mich erinnere, woher ich das weiß.
Der US-amerikanische Bürgerrechtsanwalt Ben Crump sagte über Motley: „Every man has a right to exist, to pump gas and play his music because this is America“. Wenn ich darüber nachdenke, sehe ich, dass Crump über Grundrechte spricht, die einem als NichtWeißer nicht selbstverständlich zugestanden werden. Grundrechte wie: Das Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit. Das Recht, in Sicherheit zu leben. Das Recht auf Leben und Unversehrtheit. Das Recht darauf, als gleichwertiger Mensch angesehen zu werden.
„Lautsein ist Ausdruck des Rechts, anwesend zu sein. Schwarze Musik war schon immer eine Quelle des Widerstands. Eines tanzenden, lebendigen Widerstands, der sich nicht versteckt.“
Lautsein ist Ausdruck des Rechts, anwesend zu sein. Schwarze Musik war schon immer eine Quelle des Widerstands. Eines tanzenden, lebendigen Widerstands, der sich nicht versteckt. Eine Quelle des sich Erlaubens, sich Ausdruck zu verleihen. Ein lautes Bekenntnis zum Hiersein und Sosein.
Rassismus ist ein Unterdrückungssystem, das NichtWeißsein sanktioniert. Wer auf sein Schwarzsein aufmerksam macht, es vielleicht noch feiert, statt daran zu leiden oder zu versuchen, es zu verstecken, zeigt Widerstand. Ich glaube, dass Livingston deshalb schoss.
Ich glaube außerdem, dass Livingston schoss, weil Motley darauf bestand, ein Mensch zu sein: „Lets talk about this like men“ sagt einer, der sein Menschsein beansprucht. Meinung
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