„Vierte Gewalt“
Anti-Asiatischer Rassismus in deutschen Medien
Medien gelten als „vierte Gewalt“. Diese Gewalt berichtet seit Anfang an negativ und stereotypisch über Arbeitsmigrant:innen. Ein kritischer Blick auf den strukturellen Rassismus in den Medien.
Von Kien Nghi Ha Montag, 15.08.2022, 16:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 16.08.2022, 7:28 Uhr Lesedauer: 31 Minuten |
Vorbemerkung: Zur Großschreibung von „Asiatisch“
In meinem Beitrag treffe ich folgende Unterscheidung in der Schreibweise: Während „asiatisch“ den geografischen Bezug zum Kontinent bezeichnet, zeigt die Großschreibung von „Asiatisch“ sowohl rassenkonstruktivistische als auch identitätspolitische Dimensionen an. Die Kulturalisierung und Rassifizierung von Gruppenzugehörigkeiten spielen in diesem Prozess eine essentialisierende Rolle, die mit der komplexen Überlagerung von Fremdmarkierungen und Selbstidentifikationen einhergehen. Gerade außerhalb Asiens werden Menschen mit unterschiedlichsten Asienbezügen durch die Mehrheitskultur als „Asiatisch“ fremdidentifiziert und häufig auch abgewertet, so dass Betroffene in Reaktion darauf, sich diese Zuweisung aneignen und durch eine neue Kontextualisierung aufbrechen können. Der postmigrantische Begriff„Asiatische Deutsche“ (Ha 2012) ist ein Beispiel für ein subversiv-widerständiges Claming, so dass der Begriff „Asiatisch“ sowohl als diskriminatorische Fremd- wie auch als empowernde Selbstbezeichnung Verwendung findet. Mit dieser differenzierten Schreibweise können unterschiedliche Bedeutungsebenen des Begriffs eindeutiger und genauer herausgearbeitet werden. Mittels Großschreibung findet auch eine internationale Angleichung statt. So werden in den USA in Reaktion auf die globalen Black Lives Matter-Proteste im Sommer 2020 in vielen einflussreichen Publikationen (etwa New York Times und Washington Post) und Institutionen nicht nur „Asian“ und „Black“, sondern zunehmend auch „Brown“ und „White“ als identitätspolitische und kulturkonstruktvistische Kategorien groß geschrieben (Painter 2020).
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Eine feste Rubrik: Struktureller Rassismus in den Medien
Wie Jesus Manuel Delgado1 (1972) in seiner bahnbrechenden empirischen Studie hervorhebt, berichtet ein Großteil der westdeutschen Zeitungen von Anfang an, d.h. bereits seit den 1960er Jahren negativ und stereotypisch über Arbeitsmigrant:innen, die aus der europäischen Peripherie, aber auch aus Südkorea stammen. Der mediale Blick wird etwa durch realitätsverzerrende Begriffe wie „Gastarbeiter“ gekennzeichnet, die ihrerseits wiederum in einer sich selbstverstärkenden Rückkoppelungsschleife auf die dominanten Diskurse und Betrachtungsweisen einwirken. Ein bemerkenswertes Merkmal dieses Mediendiskurses ist die diskursive Verknüpfung der türkischen Einwanderung mit dem rassistischen Bild der „Ausländerkriminalität“, die mit der soziokulturellen Ethnisierung von Gewalt-, Drogen- und Sexualdelikten konnotiert ist. Ein weiteres prominentes Thema des Mediendiskurses konzentriert sich darauf, den sozioökonomischen Wert von Arbeitsmigrant:innen aus der Perspektive der deutschen Gesellschaft zu definieren und Zuwanderung und Aufenthaltsrecht an Nützlichkeitsberechnungen zu koppeln.
„Seit ihren Anfängen am Ende des 19. Jahrhunderts zur Blütezeit des Imperialismus steht Profitmaximierung als nationalökonomisches Ziel im Zentrum der Zulassung und Kontrolle der Arbeitsmigration. Dieses Ziel wird hauptsächlich durch Diskriminierung und Verwertung von Arbeiter:innen aus marginalisierten Gesellschaften realisiert, so dass koloniale Hierarchien und Ausbeutungsmuster reproduziert werden. „
Hier kommt ein medialer Orientalismus (siehe grundlegend Said 1978) vor allem gegen die türkische Einwanderung zum Ausdruck, der durch die koloniale Attitüde der deutschen Arbeitsmigrationspolitik zusätzlich verstärkt wird. Seit ihren Anfängen am Ende des 19. Jahrhunderts zur Blütezeit des Imperialismus steht Profitmaximierung als nationalökonomisches Ziel im Zentrum der Zulassung und Kontrolle der Arbeitsmigration. Dieses Ziel wird hauptsächlich durch Diskriminierung und Verwertung von Arbeiter:innen aus marginalisierten Gesellschaften realisiert, so dass koloniale Hierarchien und Ausbeutungsmuster reproduziert werden (Ha 2003). Von dem historischen Hintergrund dieser nationalökonomischen Perspektive verwundert es nicht, dass viele deutsche Massen- und Leitmedien das von Delgado analysierte Ausländerbild bis in die 2000er Jahren nahezu täglich durch ihre Arbeit konstruieren, bestätigen, erneuern und verstärken. Eine Übersichtsstudie, die die medienwissenschaftlichen Ergebnisse von zwölf empirischen Untersuchungen lokaler und überregionaler Zeitungen aus den Jahren 1972 bis 2000 zusammenfasst, kommt zu folgenden Erkenntnissen:
- Migrierte sind in der Berichterstattung allgemein unterrepräsentiert;
- Die Medien berichten überwiegend negativ und fokussieren sich häufig in emotionalisierender Weise auf polarisierende Themen wie Kriminalität, Kosten und „Überfremdung“;
- Positive Bilder und Nachrichten fehlen auf der anderen Seite weitgehend;
- Eingewanderte und Geflüchtete werden meist als passive Objekte und nicht als selbstbestimmt handelnde Subjekte dargestellt;
- Abhängig von einer angenommenen Nützlichkeitsskala werden Gruppen selektiv differenziert: sehr negativ konnotiert sind Asylbewerber:innen und geflüchtete Menschen; weniger negativ migrantische Arbeiter:innen; als positiv gelten Gruppen, die als Leistungsträger:innen und als Bereicherung angesehen werden wie etwa migrantische Spitzensportler:innen, Prominente und Unternehmer:innen;
- Gruppen aus dem globalen Süden, der Türkei und dem Balkan werden negativer darstellt als Weiße2 europäische Migrant:innen (vgl. Müller 2015: 100f.).
Obwohl verallgemeinernde Begriffe wie „die Medien“ zu Fehldeutungen führen können und es immer auf den zeitlich-thematischen Kontext sowie im Zweifel auf den Einzelfall ankommt, ist es im Rahmen dieser überblicksartigen Handreichung unvermeidbar, allgemeine Begriffe zu benutzen, um generelle Aussagen treffen zu können. Bei höherer Detailauflösungen wäre es möglich, die Analysen zu konkretisieren und stärker zu differenzieren, so dass Unterschiede zwischen verschiedenen Medien oder thematische Verschiebungen im zeitlichen Verlauf deutlich werden. So bestehen Unterschiede nicht nur zwischen Boulevard- und sogenannten Qualitätsmedien. Ebenso gibt es Unterschiede zwischen verschiedenen Redaktionen, die in unterschiedlichen Medienunternehmen mit bestimmten Formaten unterschiedliche Zielgruppen bedienen. Im Rahmen dieser Darstellung geht es mir vor allem um das Herausarbeiten von dominanten Medienbildern. Die diskurspolitische Struktur der Medien hat erwartungsgemäß auch charakteristische Ausreißer, wie etwa die Bild-Zeitung als auflagenstärkstes Blatt in deutschsprachigen Raum und gewichtiges Sprachrohr des einflussreichen Axel-Springer-Medienkonzerns. Sicherlich existieren auch andere markttypische Merkmale im Boulevardsegment, die zielgruppenspezifische Merkmale aufweisen. Dennoch gelten die medienwissenschaftlichen Aussagen grundsätzlich auch für höherwertige „Qualitätsmedien“ im sogenannten Premiumbereich, die sich vor allem an das bildungsbürgerliche und vermeintlich weltoffene Publikum richten. Darüber hinaus reagieren die Medien auch auf aktuelle Ereignisse und gesellschaftliche Veränderungen, wobei sie diese nicht nur rein passiv spiegeln, sondern als positionierte Akteure auch aktiv ins öffentliche Geschehen eingreifen. Im Folgenden stelle ich fünf Fallbeispiele vor, um strukturellen Rassismus in den Medien mit Asiatisch-deutschen Themenbezug näher zu erörtern.
Bis Corona überhaupt kein (Medien-)Thema: Anti-Asiatischer Rassismus …
Massenmedien gelten in liberalen Demokratien als „vierte Gewalt“. Zusammen mit der Legislative, Exekutive und Judikative werden sie als wichtige Hüterin und moralische Autorität angesehen, die einen wesentlichen Beitrag zum Funktionieren der Demokratie leistet. Obwohl dieses Modell auch von deutschen Medien gerne in Umlauf gesetzt wird, gibt es (zu) viele Fälle, die diesem Medienbild entgegenstehen. Dabei ist die serielle Beteiligung der Medien an rassistischen Debatten besonders auffällig. In vielen Fällen wird der politische Ton maßgeblich von den Medien mitgeprägt. Das hat weitreichende gesellschaftliche Folgen, wie etwa die jahrelang anhaltende Flucht- und Asylrechtsdebatte in den 1990er-Jahren besonders eindrücklich zeigt. Viele mediale Berichte und Kommentare zu Themen wie Flucht, Asylrecht, Einwanderung, Integration, Rassismus (ehemals verfälschend und euphemistisch „Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit“ genannt), Islam, sexuelle Gewalt und Kriminalität bewegen sich in einem Feld, das wiederkehrend durch den Widerspruch zwischen behaupteten Qualitätsstandards und rassistischen Darstellungen sowie diskriminierenden Kontextualisierungen geprägt ist. Auch die medial vermittelten Darstellungen und Bilder Asiatischer Menschen sind in diesem Feld situiert. Wie andere Migrierte und Menschen of Color3 müssen Asiatische Communities sich seit langem mit Fremdrepräsentation, Entinnerung und Unsichtbarmachung in deutschen Medien auseinandersetzen.
Mit dem Beginn der globalen COVID 19-Pandemie Anfang 2020 sind rassistische Diskurse und Praktiken gegen Menschen, die als „asiatisch“ und speziell als „chinesisch“ identifiziert werden, weltweit stark angestiegen. Anti-chinesische Rhetoriken, die auf unterschiedliche Weisen China die Schuld an den Ausbruch der Infektionskrankheit zuweisen, sind gerade deswegen so überzeugend und wirkungsmächtig, weil sie an überlieferte Chinabilder über die „Gelbe Gefahr“ aus der Kolonialzeit anknüpfen und diese für die Gegenwart reaktualisieren. Im Zuge dieser Entwicklung ist auch in Deutschland der Begriff „anti-asiatischer Rassismus“ sowohl in aktivistischen Zusammenhängen als auch in der medialen Berichterstattung verstärkt aufgenommen worden, nachdem diese Bezeichnung Jahre zuvor in den Diskurs eingeführt wurde (Ha 2013: 27). Erstaunlich an dieser Begriffsgeschichte ist vor allem der Umstand, dass es im deutschen Kontext mehr als 100 Jahre brauchte, um diesem kolonial-rassistischen Phänomen eine spezifische wie sachlich angemessene Bezeichnung zu geben.
… und in der Politik immer noch unsichtbar
„Nach wie vor ist die gesellschaftliche und institutionelle Sensibilität dafür nur gering ausgeprägt wie etwa die Koalitionsvereinbarungen der aktuellen Bundesregierung im Dezember 2021 zeigen: Trotz der brisanten Aktualität und Vielzahl der dokumentierten Corona-Rassismusfälle gegen Asiatisch Aussehende in Deutschland wird das Thema „anti-Asiatischer Rassismus“ im Unterschied zu anderen Rassismusformen dort nicht einmal erwähnt.“
Allein die Schwierigkeit, das Thema einfach beim Namen zu nennen zeigt meines Erachtens zwei grundlegende Aspekte an: Zu einem weist sie darauf hin, wie stark diese Problematik in Deutschland historisch verkannt, verdrängt und unsichtbar gemacht wurde und wird. Nach wie vor ist die gesellschaftliche und institutionelle Sensibilität dafür nur gering ausgeprägt wie etwa die Koalitionsvereinbarungen der aktuellen Bundesregierung im Dezember 2021 (SPD et. al. 2021: 82-102 und 110-113) zeigen: Trotz der brisanten Aktualität und Vielzahl der dokumentierten Corona-Rassismusfälle gegen Asiatisch Aussehende in Deutschland wird das Thema „anti-Asiatischer Rassismus“ im Unterschied zu anderen Rassismusformen dort nicht einmal erwähnt. Folglich werden die Institutionen des Bundes keine spezifischen Maßnahmenpakete gegen anti-Asiatischen Rassismus konzipieren oder entsprechende Bundesprogramme auflegen und finanzieren. Das ist insoweit konsequent, da auch im bisherigen „Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus“ (Bundesministerium des Innern 2017) anti-Asiatischer Rassismus kein Thema ist und Asiatische sowie Asiatisch-diasporische Menschen in Deutschland im Unterschied zu anderen Betroffenengruppen nicht explizit als vulnerable und schutzwürdige Gruppe anerkannt sind.
Zum anderen hängt die fehlende gesellschaftliche wie politische Anerkennung, sich mit dem Problemfeld „anti-Asiatischer Rassismus“ auseinanderzusetzen, auch damit zusammen, dass das Thema – etwa im Unterschied zum Rassismus gegen Schwarze – nicht nur scheinbar neuartiger, sondern auch weitaus polymorpher und widersprüchlicher erscheint.4 Das fängt etwa damit an, dass unklar ist, was „Asiatisch“ bedeutet. So ist jeder Versuch, diese Bezeichnung als gemeinsame bzw. einheitliche kulturelle oder ethnische Identitätskategorie widerspruchsfrei zu verstehen, notwendigerweise zum Scheitern verurteilt ist. Das liegt nicht zuletzt daran, dass ihre Initialbedeutungen erst im rassistischen Diskurs vage und wechselhafte Aufladungen erhalten und sie im Weißen Kontext vor allem als xenophobe Fremdmarkierung mit den Eigenschaften „nicht-Weiß“ und „unzugehörig“ assoziiert sind. Gleichzeitig findet auf der anderen Seite ein Prozess statt, der die eindeutigen Zuordnungen im rassistischen Diskurs stört und dort interveniert. Wie bei Afrikanisch- und Schwarz-Sein kann auch Asiatisch-Sein als Selbstbezeichnung für Betroffene angeeignet, weiterentwickelt und transformiert werden, so dass sich bspw. hybride Asiatisch-diasporische Identitäten ausbilden. Die Dialektik der Fremd- und Selbstidentifizierung lässt sich am Beispiel der Asian Americans besonders gut aufzeigen, da ihre Identitätsbildung sich nur vor dem historischen Hintergrund des anti-Asiatischen Rassismus verstehen lässt (Wei 1993).
Fallbeispiele für anti-Asiatische Klischees und Diskurse
1) Boat People aus Vietnam
Ende der 1970er Jahre fliehen Boat People aus dem kommunistisch regierten Vietnam über das Südchinesische Meer. Obwohl die Tragödie sich auf einem anderen Erdteil abspielt, reagieren Bundespolitik und Medien mit großer Anteilnahme und organisieren mit starker Unterstützung aus der deutschen Zivilgesellschaft eine Kampagne, um eine von vornherein fest begrenzte Anzahl der in Not Befindlichen aufzunehmen. Zu diesem Zweck wird sogar eigens ein Gesetz auf dem Weg gebracht, um rund 40.000 vietnamesische „Kontingentflüchtlinge“ einzufliegen und den Betroffenen eine dauerhafte Niederlassung anzubieten. Durch diese Vorzugsbehandlung werden sie gegenüber anderen Gruppen bessergestellt, deren humanitäre Notlage und politische Verfolgung nicht oder nicht im gleichen Maße in der deutschen Öffentlichkeit anerkannt werden. Auf der anderen Seite geht diese eben nicht voraussetzungslose Anerkennung mit stark verobjektivierenden und viktimisierenden Bildern sowie paternalistischen Diskursen gegenüber den „armen, schwachen und hilflosen Vietnamesen“ einher. Der Kalte Krieg in Zeiten der Ost-West-Blockkonfrontation, aber auch der Versuch, den gerade verlorenen Kolonialkrieg des Westens in Vietnam nachträglich vor der Weltöffentlichkeit zu rechtfertigen, spielen bei der Entscheidung zugunsten einer humanitären Politik mitsamt ihrer medienwirksamen Inszenierung sicherlich eine Rolle (Ha 2014).
„Dagegen ertrinken die heutigen meist aus Afrika und dem Nahen Osten stammenden Boat People seit Jahrzehnten im Mittelmeer und vor den Kanarischen Inseln, weil ihre Rettung keinen ideologischen Nutzen für das Weiße Weltbild verspricht. Eine humanitäre Geste seitens der EU wird als zu teuer angesehen, so dass diese Fluchtbewegung auch medial zu oft als einzudämmende Gefahr inszeniert wird.“
Diese ideologischen Hintergründe, die sich auch in den damaligen Mediendebatten widerspiegeln, treten gerade im Vergleich mit anderen Gruppen deutlich in Erscheinung: Nach dem blutigen Putsch des Generals Pinochet im Jahr 1973, der eng mit den USA alliiert ist, werden Unterstützer:innen der demokratisch gewählten Regierung des Sozialisten Salvador Allende gewaltsam verfolgt. Im Gegensatz zur DDR, die diese Geflüchteten politisch willkommen heißt und – wie in der BRD – mittels einer selektiven Politik bestimmte Fluchtgruppen für sich instrumentalisiert, begegnet die BRD den Asylanträgen der chilenischen Aktivist:innen, Gewerkschaftler:innen und Menschenrechtler:innen mit großem Misstrauen und konfrontiert sie mit restriktiven Auflagen. Dagegen ertrinken die heutigen meist aus Afrika und dem Nahen Osten stammenden Boat People seit Jahrzehnten im Mittelmeer und vor den Kanarischen Inseln, weil ihre Rettung keinen ideologischen Nutzen für das Weiße Weltbild verspricht. Eine humanitäre Geste seitens der EU wird als zu teuer angesehen, so dass diese Fluchtbewegung auch medial zu oft als einzudämmende Gefahr inszeniert wird.
2) Entinnerung von Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân in Hamburg (1980)
Bei einem Brandanschlag durch Mitglieder der neonazistischen Terrorgruppe „Deutsche Aktionsgruppen“ werden am 22. August 1980 Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân in einem Heim für Boat People in der Halskestraße in Hamburg-Billbrook ermordet. Das Ereignis wird medial nur kurz zur Kenntnis genommen. Nachdem Hans-Ulrich Klose (SPD) als Erster Bürgermeister Hamburgs bei der Beerdigung pflichtgemäß eine kurze Grabrede hält, erlischt das öffentliche Interesse vollständig und eine lange Phase der Entinnerung setzt in den Medien ein. Bei diesem Prozess geht nicht nur das Wissen über die Opfer des Rassismus verloren. Sogar die Existenz des tödlichen Rassismus wird durch die Entinnerung negiert, die durch Weiße Nicht-Betroffenheit und das Übergehen der Perspektiven von People of Color geprägt ist. Zusätzlich wird diese Entwicklung durch eingespielte Verdrängungsmechanismen gegenüber strukturellem Rassismus und institutionalisierte Diskriminierungen etwa in den Medien verschärft.
Ein gutes Beispiel ist hier das Hamburger Leitmedium „Die Zeit“: Im Zuge der zufälligen Aufdeckung des NSU-Terrorskandals entdeckt der freie Journalist Frank Keil bei seinen Recherchen zum Hamburger NSU-Opfer Süleyman Taşköprü den Fall der ermordeten vietnamesischen Boat People ebenso zufällig. Diese Absurdität nimmt eine weitere Wendung, als die Wochenzeitung nach 32 Jahren erstmalig wieder über die Brandstiftung in der Halskestraße berichtet und das eigene Versagen nun stolz als journalistische Glanztat darstellt (Keil 2012). Das Medienunternehmen, das als liberaler Wachhund und moralische Instanz bundesweit großes Ansehen genießt, hat aber die gesellschaftspolitische Relevanz dieses Falls nicht übersehen, sondern diese Unsichtbarkeit mit geschaffen. Dies ist umso bitterer, da „Die Zeit“ auch ihre Verantwortung für ihren „eigenen Schutzbefohlenen“ vergessen hat: Der 18-Jährige Đỗ Anh Lân wurde im August 1979 in einer von der Wochenzeitung und dem Hamburger Senat initiierten Social-Sponsoring-Aktion mit 274 anderen vietnamesischen Boat People von der malaiischen Insel Pulau Bidong in die Hansestadt gebracht. Trotz der Bemühungen der seit 2014 bestehenden Gedenkinitiative weigert sich die Stadt Hamburg bisher hartnäckig, einen öffentlichen Gedenkort für die Opfer dieses Anschlags zu errichten (vgl. Ha 2021a: 140-149).
3) Rostock-Lichtenhagen im Kontext der Asylabschaffungsdebatte in den frühen 1990ern-Jahren
„Als staatlich regulierte Massenkommunikationsmittel fungieren sie immer auch als moralische Gatekeeper und definieren dabei situativ und durchaus dynamisch die Standards des politisch Erlaubten und Legitimen.“
Anfang der 1990er Jahren spitzen sich die seit Jahrzehnten geführten Mediendiskurse gegen „Asylanten“ und „Ausländerkriminalität“ in dramatischer Weise zu als im Zuge der deutschen Wiedervereinigung ein aggressiver Rassismus und völkischer Nationalismus in weiten Teilen der Gesellschaft wieder salonfähig wird. In dieser Zeit überbieten sich sowohl die Boulevard- als auch die sogenannten Qualitätsmedien täglich mit alarmierenden Meldungen, Kommentaren, großformatigen Reportagen, Karikaturen und Bildern, die einen „massenhaften Asylbetrug“ und „Asylmissbrauch“ suggerieren. Medial wird eine unverhüllte Katastrophenmetaphorik kanonisiert und zur geflügelten Redeweise stilisiert, die Deutschland durch anstürmende „Asylantenfluten“ (alternativ auch -wellen, -ströme und -schwemmen) im existenziellen Kampf ums eigene Überleben sieht. Durch imaginierte Bedrohungsszenarien wird eine gesellschaftliche Stimmung erzeugt und angeheizt, die extreme Maßnahmen, wie die de facto Abschaffung des Grundrechts auf Asyl als legitime und notwendige Rettungsaktion, rationalisiert. In diesem gesellschaftspolitischen Überzeugungsprozess spielen moderne Massenmedien, die täglich konsumiert werden, eine zentrale Rolle: Als staatlich regulierte Massenkommunikationsmittel fungieren sie immer auch als moralische Gatekeeper und definieren dabei situativ und durchaus dynamisch die Standards des politisch Erlaubten und Legitimen.
Ein bekanntes Beispiel ist das Cover des SPIEGELS zur Titelstory „Flüchtlinge – Aussiedler – Asylanten. Ansturm der Armen“ (37/1991). Bemerkenswerterweise ist sowohl die politische Aussage als auch das zentrale Bildmotiv einem Wahlplakat der rechtsextremen „Die Republikaner“ entnommen (Pagenstecher 2008). Mit der titelgebenden Karikatur wird das rechtspopulistische Schlagwort „Das Boot ist voll“ nicht nur illustriert. Viel mehr wird rechtes Gedankengut publikumswirksam affirmiert und enttabuisiert, da keine Brechung oder Kritik erkennbar ist. Dazu werden einerseits völkische Überfremdungsängste aufgewertet, andererseits Geflüchtete bzw. migrantische Menschen symbolhaft als massenhafte Bedrohung in der kollektiven Wahrnehmung überzeichnet. Durch Entindividualisierung und paranoide Vermassung werden Menschen mit „Ungeziefer“ assoziiert und enthumanisiert. Die politische Nachricht lautet: Da diese Fremden den Deutschland-Kahn zum Kentern bringen, verdienen sie weder Hilfe noch unser Mitgefühl. DER SPIEGEL griff 15 Jahre später nicht nur das Thema, sondern auch die rassistische Perspektive und das dazugehörige Vokabular erneut auf und titulierte auf dem Cover „Ansturm der Armen. Die neue Völkerwanderung“ (26/2006).
Solche Schlagzeilen und Brandsätze bilden den Hintergrund des sprunghaften Anstiegs rechtsextremer Gewaltverbrechen: Werden 1990 noch 128 rechtsextreme Gewalttaten polizeilich registriert, steigt diese Zahl explosionsartig auf 1.483 (1991) an und erreicht im Folgejahr mit 2.584 registrierten Fällen einen Tiefpunkt. In nur zwei Jahren vervielfacht sich die rechtsextreme und zumeist rassistisch motivierte Gewalt um 2019 Prozent, während die Gesamtzahl aller rechten Straftaten (1990: 1.380 Fälle) sich nahezu verzehnfacht (1993: 10.561 Fälle). Die rassistische Gewaltwelle senkt erst 1995 auf 837 Fälle ab und bleibt auf Jahre hinaus auf diesem hohen Niveau (Staud 2018). Verfolgen wir diese Statistiken bis zur Gegenwart weiter, ist festzustellen, dass die medial mitausgelöste und mitverursachte rassistische Gewalt sich im Vergleich zu der Zeit vor 1989 auf einem viel höheren Level normalisiert hat. In dieser Zeit gehören die zahlreichen Überfälle und Brandanschläge auf Asylunterkünfte und Häusern mit deutsch-türkischen Familien wie in Mölln und Solingen zum gewöhnlichen Alltag. Auch die Pogrome in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen gegen Rom:nja-Geflüchtete und ehemalige DDR-Vertragsarbeiter:innen aus Mosambik sowie Vietnam können nicht unabhängig von der rassistisch gefärbten Publizistik des gesellschaftlichen Mainstreams analysiert werden. Das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (1992) hat sich durch zahlreiche Studien in diesem Forschungsfeld eine hervorragende Expertise erarbeitet. In seiner Analyse der medialen Berichterstattung über Rostock-Lichtenhagen im Kontext der Asylabschaffungsdebatte kommt es zum Ergebnis: „Der Grundtenor dieser Berichterstattung muß deshalb auch als rassistisch bezeichnet werden“ (Jäger 1993: 87). Nicht nur die Vorgeschichte und die unmittelbare Tat, auch die Folgen sind im Ereignishorizont relevant: Auch hier gilt, dass die Opfer der rassistischen Angriffe in den Medien weitläufig vernachlässigt werden, da der mediale und politische Blick auf die Perspektiven und Narrative Weißer Akteur:innen wie Täter:innen zentriert ist. Im Fall von Rostock-Lichtenhagen lässt sich etwa zeigen, dass die journalistisch vermittelte Erinnerungspolitik und -kultur Rassismus reproduziert (Ha 2021b).
4) Kriminalisierung und Islamisierung
Auch nach den rechtsextremen Pogromen und der exzessiven, rassistisch motivierten Gewalt hat ein Großteil der deutschen Medienhäuser scheinbar nicht viel gelernt und schaltet lediglich in ihrem journalistischen Tonfall einen Gang runter. Durch diese publizistische Beruhigung wird die offensichtliche Anzahl der qualitativen Ausfälle im professionellen Journalismus reduziert, so dass der gediegene Eindruck der Solidität wiederhergestellt wird. Nachdem Publizist:innen den nationalistischen Taumel mit produziert haben, „normalisiert“ sich die deutsche Medienlandschaft wieder: Der „ausländerpolitische“ Status quo von 1989, also der Stand vor Mauerfall und der deutschen Einheit wird in den Redaktionen als journalistische Richtschnur wieder stärker beachtet. Diese medienpolitische Restauration ist limitiert und wird gleichzeitig um neue Themen und Medienprodukte erweitert. So kehren in der Folgezeit viele Medienberichte zu tradierten Themenschwerpunkten wie etwa „Ausländerkriminalität“ zurück. Auf der anderen Seite erweitern sie dieses klassische Genre durch die Betonung auf die „Organisierte Kriminalität“.
„Auch neue um sich greifende Assoziationen wie etwa das Megaschlagwort „Islamismus“ bzw. „Islamisierung“ leiten schon lange vor 9/11, also den Terrorangriff auf das New Yorker World Trade Center, einen Paradigmenwechsel ein und setzen neue Standards in der medialen wie politischen Kommunikation.“
In der anti-Asiatischen Variante dieses Sujets greifen viele Reporter:innen in undifferenzierten und sensationsgierigen Artikeln das Thema „vietnamesische Zigarettenmafia“ auf, so dass die vietnamesische Minderheit speziell in Ostdeutschland durch die Ethnisierung der Kriminalität in erheblichen Umfang stigmatisiert wird. Gleichzeitig werden vietnamesisch markierte Menschen kriminalisiert, da sie zunehmend als brutal, gefährlich und verbrecherisch gelten (am Orde 1996). Politisch verschärft wird der mediale Raum in der Folgezeit durch innovative Diskurserfindungen wie „Integrationsunfähigkeit“ oder „deutsche Leitkultur“. Auch neue um sich greifende Assoziationen wie etwa das Megaschlagwort „Islamismus“ bzw. „Islamisierung“ leiten schon lange vor 9/11, also den Terrorangriff auf das New Yorker World Trade Center, einen Paradigmenwechsel ein und setzen neue Standards in der medialen wie politischen Kommunikation. Diese Entwicklung kann nur im Zusammenhang mit tradierten Formen des anti-muslimischen Rassismus und Orientalismus verstanden werden (Said 1978). In der Folge verdichten sich die stereotypen und diskriminierenden Tendenzen weiter und verstärken sich.
5) Das „vietnamesische Bildungswunder“ als Medienkonstrukt und Überlebensstrategie
Bis zum einem gewissen Grad kann auch das Medienbild über das „vietnamesische Bildungswunder“ als innovativ bezeichnet werden, da die vietnamesische Lebenswelt ausnahmsweise nicht unsichtbar gemacht oder nur als negatives Abziehbild fungiert. Dieser Diskurs blitzt seit 2010 immer wieder auf und enthält durchaus problematische Elemente. Zum einen kann dieses Medienbild durchaus anti-Asiatische Klischees der Dehumanisierung bedienen, in dem die Betroffenen zu gefühllosen, unsozialen und einseitig interessierten Lernmaschinen mit extremer, geradezu unmenschlicher Ausdauer degradiert werden. Zum anderen verdeckt dieses Bild die Tatsache, dass viele vietdeutsche Schüler:innen durchschnittlich erfolgreich sind oder wie viele andere Kinder aus sozial prekären Familien im deutschen Schulsystem große Probleme haben. Da aber das Referenzbild der vietnamesischen Musterschüler:innen medial als neue Norm präsentiert wird, werden die vergleichsweise schlechteren Noten als persönliche Defizite wahrgenommen. Unabhängig von ihren Schulnoten leiden viele unter dem gesellschaftlich, familiär und medial ausgeübten Erfolgsdruck, da er immer mit dem Risiko des Nicht-Genügens verknüpft ist. Über die andere Seite dieser Medaille – nämlich vielfältige familiäre Schwierigkeiten etwa durch überarbeitete Eltern mit geringem Einkommen und deutschen Sprachbarrieren oder Probleme mit dem Aufenthaltsrecht oder der sozialen Umwelt, alle möglichen Eltern-Kind-Konflikte bis hin zur Suizidgefahr von besonders gefährdeten Schüler:innen – wird hingegen wenig berichtet, so dass kaum Raum für eine differenzierte wie diversifizierte Wahrnehmung und Diskussion besteht.
Dieser Diskurs wird offen rassistisch, wenn er wie in der Sarrazin-Debatte dazu verwandt wird, die vermeintlich unauffälligen, fleißigen wie gesetzestreuen „Musterschüler der Integration“ gegen türkische und arabische Communities auszuspielen. Letztere erscheinen als „integrationsunwillige oder -unfähige Schulversager“, die in rassistischer Weise als „dick, dumm und faul“ abgestempelt und für ihre eigene Benachteiligung verantwortlich gemacht werden. Auch würden sie Deutschlands Ruf als führenden Wissenschaftsstandort etwa durch eine schlechte Platzierung in der international vergleichenden PISA-Bildungsstudie gefährden und dadurch das nationale Ansehen ruinieren. Während unklar ist, welche Faktoren den partiellen Bildungserfolg von Schüler:innen aus iranischen, koreanischen oder vietnamesischen Familien tatsächlich verursachen, sind institutionelle Diskriminierungen und Armut als wesentliche Gründe für die ungleichen Ergebnisse im deutschen Bildungssystem belegbar (Gomolla/Radtke 2002). Es gibt Grund zur Annahme, dass sowohl soziale Anpassung als auch Devianz soziokulturelle Überlebens-, Anerkennungs- und Ermächtigungsstrategien darstellen, die sehr unterschiedlich und nicht ausschließlich im bürgerlich-etablierten Sinne auf strukturelle Ungleichheiten und Ausgrenzungen reagieren.
Widersprüche: Zwischen Community-Aktivismus, kultureller Diversifizierung und strukturellen Barrieren
Zur Kolonialität medialer Chinabilder
„Die Kritik am chinesischen Staats- und Regierungssystem mit ihren damit zusammenhängenden Menschenrechtsverletzungen, die immer wieder betont werden und in kaum einem Bericht ausgelassen werden, ist zum Teil berechtigt. Im Vergleich mit westlichen Verbündeten fällt jedoch auf, dass häufig mit zweierlei Maß gemessen wird. Diese Diskrepanz ist besonders in der häufig zustimmenden, manchmal auch zurückhaltenden oder neutralen, aber selten wirklich kritischen Berichterstattung zur imperialen Kriegspolitik der USA augenfällig.“
Wie schnell vermeintlich positive Minderheiten-Bilder in strukturell rassistischen Gesellschaften umschlagen können, zeigen die jüngsten anti-Asiatischen Stereotypisierungen im Zuge des virulenten Corona-Rassismus (vgl. Suda/Mayer/Nguyen 2020 und Mediendienst Integration 2021). Asiatisch-deutsche Initiativen wie korientation – Netzwerk für Asiatisch-Deutsche Perspektiven und ichbinkeinvirus.org haben viele Beispiele mit medialen Falschdarstellungen, aber auch die Erfahrungen von Betroffenen mit Alltagsrassismus, Drohungen, Beschimpfungen und Gewalt in der Pandemie dokumentiert. Als Gegenwartsphänomen macht der medial vermittelte Rassismus darauf aufmerksam, dass die gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse im Bereich Migration und Anti-Diskriminierung in den letzten 20 Jahren keinen Grund zum übertriebenen Optimismus geben. Er zeigt auch, dass viele aktuelle Feindbilder nicht von der kolonialen Geschichte des anti-Asiatischen Rassismus getrennt werden können. Das gilt insbesondere für viele einseitige Chinabilder in etablierten Medien, die seit Jahrzehnten gezeichnet werden und die sich angesichts der westlichen Furcht von einer geopolitischen und wirtschaftlichen Dominanz Chinas weiter verschärfen (Richter/Gebauer 2010 und Jia/Leutner/Xiao 2021). Die Kritik am chinesischen Staats- und Regierungssystem mit ihren damit zusammenhängenden Menschenrechtsverletzungen, die immer wieder betont werden und in kaum einem Bericht ausgelassen werden, ist zum Teil berechtigt. Im Vergleich mit westlichen Verbündeten fällt jedoch auf, dass häufig mit zweierlei Maß gemessen wird. Diese Diskrepanz ist besonders in der häufig zustimmenden, manchmal auch zurückhaltenden oder neutralen, aber selten wirklich kritischen Berichterstattung zur imperialen Kriegspolitik der USA augenfällig. Dem gegenüber werden Chinas vermeintlich neokoloniale Praktiken, die vor allem in Form von ökonomischen Auslandsinvestitionen etwa in Afrika getätigt werden, scharf verurteilt. Im Ergebnis fällt die außenpolitische Kritik gegenüber China weitaus unausgewogener und schärfer aus. Auch mediale Gegendiskurse, die etwa die Kritik an US-Militärinterventionen als ideologisch motivierten Anti-Amerikanismus abwerten, sind im Falle Chinas weitaus seltener zu finden, so dass das diskursive Ungleichgewicht sich verstärkt.
Aktivistische Gegennarrative
In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Medienwelt durch Internet und Social Media vielstimmiger geworden. Auch die Möglichkeiten für Gegennarrative und die Perspektiven von Personen of Color sind in diesem Zuge auch durch eigene Veröffentlichungsmöglichkeiten größer geworden. Trotzdem bleiben ungleiche Ressourcenverteilung, fehlende gesellschaftliche Anerkennung, unterschiedliche mediale Reichweiten und damit zusammenhängend die ungerechte Chancenverteilung bei der Durchsetzung besserer Argumente und Perspektivenvielfalt in der demokratischen Debatte reale Probleme. Nichtsdestotrotz ist die Gegenwehr durch Aktivist:innen und Community-Organisationen für die kritische Sichtbarmachung des Corona-Rassismus wichtig. Obwohl institutionalisierte Diskriminierungen in der Medienindustrie weiterhin bestehen, sind die positiven Tendenzen zur zunehmenden Diversifizierung der Redaktionen und Leitungsetagen nicht zu übersehen. Noch ist unklar, wie weit dieser Prozess geht und kulturelle Vielfalt wie Gendermainstreaming sich tatsächlich auf allen Arbeitsebenen als neuer Arbeitsstandard in den Medienhäusern etabliert.
Widersprüche vorprogrammiert: Kommerzielle Medien in einer strukturell rassistischen Gesellschaft
Unabhängig davon bleiben auch in Zukunft viele medienkritische Fragen offen. Noam Chomsky und Edward Herman haben in ihrer grundlegenden Studie „Manufacturing Consent. The Political Economy of the Mass Media“ (1988) dargelegt, dass westliche Mediendiskurse durch eine Reihe von Filtern limitiert werden. Der Umstand, dass diese bahnbrechende Arbeit von zwei weltberühmten jüdisch-amerikanischen Wissenschaftlern seltsamerweise immer noch keine deutsche Übersetzung erfahren hat und daher hierzulande nur stark eingeschränkt zirkulieren kann, illustriert die Wirkungsweise von Filtern und Barrieren, die aufgrund von strukturellen Besitz-, Kontroll- und Produktionsverhältnissen gesellschaftliche Eliten begünstigen. Diese machtdurchzogenen Bedingungen stehen im Widerspruch zum medialen Selbstbild als demokratiefördernde Instanz. Kommerzielle Medien sind zudem den Interessen von Privatinvestor:innen ausgesetzt und von Werbeeinnahmen abhängig. Selbst der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der anders finanziert und reguliert wird, agiert nicht im machtfreien Raum. Schon allein um vertrauliche und exklusive Quellen für die eigene Arbeit zu erhalten, ist er an gute Beziehungen in die Politik interessiert. Zweifellos werden alle relevanten Medien von einflussreichen Lobbyorganisationen bearbeitet. Dabei haben die mächtigsten und ressourcenreichsten Interessen in der Gesellschaft auch ohne direkten Zwang oder sittenwidrige Absprachen, sondern bereits durch Soft Power und soziokulturellen Bias – wie die gemeinsame Weiße bildungsbürgerliche Perspektive – den größten Einfluss und können auf diese Weise ihre Narrative und Positionen verbreiten. Obwohl gesellschafts- und selbstkritische Töne durchaus zu hören sind, sind die etablierten Medien und ihre Mitarbeiter:innen ein privilegierter Teil der Gesellschaft und damit ehrlicherweise auch Teil des Establishments. Diese Eigeninteressen und andere Faktoren beeinflussen die inhaltliche Ausrichtung von Massenmedien, deren Arbeit nicht ohne Gate Keeping, Agenda Setting und selektives Framing auskommt.
Massenmedien sind nicht per se rassistisch oder anti-rassistisch, aber sie sind gesellschaftlich situiert und reflektieren vor allem gesellschaftlich dominante Stimmungen, Wahrnehmungen, Meinungen und Wertungen. Selbst vermeintlich neutrale Nachrichten sind nicht selbstevident und nie objektiv, da nicht nur Kommentare, sondern bereits die „Nachricht“ ein konstruiertes und selektives Medienprodukt ist, das in einem mehrstufigen Arbeitsverfahren hergestellt wird und aufgrund von Auslassungen, Interpretationen und einseitiger Perspektivität nie die ganze Geschichte erzählen kann. Der Mainstream der Massenmedien ist letztlich so rassistisch wie die Gesellschaft selbst. Solange es eine profitable Nachfrage nach rassistischen Images und Medienprodukten gibt, werden entsprechende Waren produziert, verkauft und konsumiert, die eben diese Interessen und Bedürfnisse befriedigen. Medien stehen daher keinesfalls über der Gesellschaft, sondern sind Teil der gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Letztlich werden Medien erst dann zu nicht-rassistischen Räumen, wenn die gesellschaftlichen Machtverhältnisse und Verwertungsinteressen es strukturell zulassen. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, dass Journalist:innen transparent mit den Widersprüchen und begrenzten Spielräumen in der Medienindustrie umgehen und diese offen zur Diskussion stellen, um Gegenstrategien entwickeln zu können.
Editorische Notiz: Vor kurzem hat das AntiDiskriminierungsBüro (ADB) Köln des Vereins Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V. den „Leitfaden für einen rassismuskritischen Sprachgebrauch“ und ein themenverwandtes – in einer aktualisierten und erweiterten Neuauflage veröffentlicht. Auf 88 Seiten beleuchtet die Handreichung die Berichterstattung über unterschiedliche Communities, die von Rassismus betroffen sind. Der Leitfaden setzt sich mit den Auswirkungen rassistischer Berichterstattung auseinander und gibt praxisnahe Tipps, wie Diskriminierungen vermieden werden können. Die Broschüre kann hier online herruntergeladen werden oder als gedruckte Ausgabe gegen Spende beim ADB Köln bestellt werden.
Neben korientation. Netzwerk für Asiatisch-Deutsche Perspektiven e.V. haben folgende Organisationen die Erarbeitung dieser Publikation unterstützt: Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus – NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, Initiative Schwarzer Deutscher e.V. (ISD), Institut für Medienverantwortung (IMV), Neue deutsche Medienmacher (NdM) und Terno Drom e.V.
Literatur
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- Delgado promovierte 1966 mit einer sozialpsychologischen Untersuchung über die „Anpassungsprobleme der spanischen Gastarbeiter in Deutschland“ an der Universität Köln und war in den 1970er Jahren einer von ganz wenigen Migrationsforscher:innen in der BRD, die über eigene Migrationserfahrungen verfügten und nicht aus einer mehrheitsdeutschen Position heraus in diesem Thema arbeiteten. Seine Medienuntersuchung umfasste über 3.000 Presseartikeln aus 84 Zeitungen, die in Nordrhein-Westfalen von Mai 1966 bis August 1969 erschienen sind.
- Da Weiß in diesem Fall nicht als Farbadjektiv verwendet wird, weist die Großschreibung auf die soziale Konstrukthaftigkeit der Rassifizierung hin. Die häufig anzutreffende kursive Kleinschreibung von weiß, die im Gegensatz etwa zur Großschreibung von Schwarz steht, ist m.E. nach fragwürdig, da sie auf der symbolischen Sprachebene lediglich auf eine Umkehrung und nicht auf die Aufhebung von kulturalisierten Machtverhältnissen abzielt. Der Hinweis, dass die selektive Großschreibung als empowernde Selbstbezeichnung gerechtfertigt sei, kann ich nur bedingt nachvollziehen, da z.B. Weiße Kinder trotz ihrer relativen Privilegierung durchaus auch ein Recht auf ein positives Selbstbild haben. Inzwischen ist kritisches Weißsein auch stärker als gesellschaftliche und identitäre Machtstruktur anerkannt. So hat sich die National Association of Black Journalists in Juni 2020 in ihrem Style Guide dafür ausgesprochen auch „White“ und „Brown“ großzuschreiben.
- Der „People of Color“-Begriff entstammt der Selbstbenennungspraxis rassistisch unterdrückter Menschen. Er wurde im Laufe der 1960er Jahre durch die „Black Power“-Bewegung in den USA als politischer Begriff geprägt, um die Gemeinsamkeiten zwischen Communitys mit unterschiedlichen kulturellen und historischen Hintergründen zu benennen. Dadurch sollte eine solidarische Perspektive quer zu den rassistischen Einteilungen in unterschiedliche Ethnien und „Rassen“ eröffnet werden, die antirassistische Allianzen befördert (vgl. Ha 2007).
- Vielleicht ist die momentan häufig anzutreffende Erklärungsbedürftigkeit von Asiatisch ein zeitlich beschränktes Phänomen. Zumindest fällt mir auf, dass ähnlich strukturierte Begriffe heutzutage weitaus selbstverständlicher erscheinen. So ist bspw. die Bedeutungen des Begriffs „afrikanisch“ jenseits eines rein geografischen Verständnisses alles andere als klar, da weder eine gemeinsame afrikanische Kultur noch Ethnizität existiert. Im Falle Europas sind nicht mal die geografischen und kulturellen Abgrenzungen im Mittelmeer und zu Eurasien klar. Auch die Kategorie „Schwarz“ ist nicht selbstevident, sondern ursprünglich eine abwertende, kulturkonstruktivistische Erfindung, die erst durch rassistische Diskurse und Praktiken realitätsmächtig wurde (siehe etwa den Quellenband Gates/Curran 2022). Ähnliches gilt für „Weiße“ und „Weißsein“. Erst die dekolonialisierende Anfechtung dieser rassistischen Kategorie durch die Betroffenen selbst hat diesen Begriff zu einer Selbstbezeichnung und damit zur gesellschaftlich anerkannten Identitätskategorie für eine historisch unterdrückte Bevölkerungsgruppe werden lassen. Die Bedeutungstransformation vollzog sich im Zuge anti-rassistischer Kämpfe, identitätspolitischer Aneignungen und kultureller Visionen etwa in Form von Slogans wie „Black is beautiful“ in den 1960er Jahren, die von der Bürgerrechts- und antikolonialen Bewegungen in den USA wie Afrika ausgingen (vgl. etwa Ogbar 2004). Dieses Beispiel zeigt, dass gerade Identitätsbegriffe nicht von sich aus evident sind oder sein müssen, da ihre Bedeutungen durch sich widerstreitende soziale, kulturelle und politische Praktiken und Machtdynamiken entstehen, sie somit stets wandelbar sind und letztendlich immer wieder Ein- und Widerspruch provozieren.
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