„Sozialtourismus“
Nach mutmaßlichen Brandanschlag auf Flüchtlingsheim: Kritik an Friedrich Merz
SPD-Chefin Esken sieht eine Mitverantwortung konservativer Politiker wie Friedrich Merz für flüchtlingsfeindliche Taten. Die CDU weist die Kritik als „unanständig“ zurück. Der Flüchtlingsrat beklagt vermehrte Anfeindungen und Hetze gegenüber Geflüchteten.
Sonntag, 23.10.2022, 17:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 23.10.2022, 10:59 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Nach dem mutmaßlichen Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft nahe Wismar wirft SPD-Chefin Saskia Esken konservativen Politikern vor, eine flüchtlingsfeindliche Stimmung zu schüren. „Die Einlassungen der letzten Zeit zur Aufnahme von Schutzsuchenden in Deutschland sind verantwortungslos – und sie bereiten den Boden nicht nur für gesellschaftliche Spaltung, sondern letztlich auch für solch kriminelle Taten“, sagte die Co-Parteivorsitzende der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“.
Ein als Flüchtlingsunterkunft genutztes Hotelgebäude in Groß Strömkendorf bei Wismar war durch ein Feuer am Mittwochabend fast vollständig zerstört worden. Die Polizei geht von Brandstiftung aus und vermutet einen politischen Hintergrund. Der Staatsschutz ermittelt. Die 14 ukrainischen Bewohner und drei Mitarbeiter konnten in Sicherheit gebracht werden. Ermittlungsergebnisse zum Brand seien frühestens Anfang kommender Woche zu erwarten, teilte das Polizeipräsidium Rostock am Freitag mit.
„Wer Kriegsflüchtlinge fern aller Fakten als Sozialtouristen verleumdet, muss sich fragen lassen, welchen Anteil er hat an Hass und Hetze, die später in Gewalt mündet“, sagte Esken. „Zunehmend sinken auch konservative Politiker auf ein populistisches Niveau herab“, erklärte sie. CDU-Chef Friedrich Merz hatte Ende September von einem „Sozialtourismus“ von Flüchtlingen gesprochen, die angeblich zwischen Deutschland und der Ukraine pendelten. Später bat er um Entschuldigung, falls seine Wortwahl als verletzend empfunden worden sei.
Zusammenhang zwischen Rhetorik und Anschlag
Auch der Sprecher der katholischen Gemeinschaft Sant’Egidio, Matthias Leinweber, zog eine Verbindung zwischen fremdenfeindlicher Rhetorik und Anschlägen auf Unterkünfte. Aussagen wie die des CDU-Vorsitzenden Merz über einen vermeintlichen Sozialtourismus förderten das Aggressionspotenzial in der Gesellschaft. „Es ist in dieser Situation nicht hilfreich, diejenigen zu stärken, die sagen, dass wir die Aufnahme nicht verkraften könnten“, sagte Leineweber dem „Evangelischen Pressedienst“. Das sei Wasser auf die Mühlen von Extremisten. Es seien derzeit viele Menschen in Deutschland bereit, zu helfen. Er befürchte, dass eine „Das-Boot-ist-voll-Rhetorik“ dazu führe, dass sich diese Menschen fragen könnten, ob es denn richtig sei, sich zu engagieren.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Paul Ziemiak wies die Kritik zurück. Merz für den Brand in einer Flüchtlingsunterkunft mitverantwortlich zu machen, sei „so unglaublich unanständig, dass einem wirklich die Worte fehlen“, schrieb der frühere CDU-Generalsekretär auf Twitter.
Flüchtlingsrat beklagt Anfeindungen
Ein hohes Maß an Unterstützung für ukrainische Geflüchtete sieht der Deutsche Städte- und Gemeindebund. „Nach Rückmeldungen aus unseren Städten und Gemeinden besteht nach wie vor eine große Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen, insbesondere gegenüber den Vertriebenen aus der Ukraine“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Gerd Landsberg, der „Rheinischen Post“.
Der Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern beklagte hingegen vermehrte direkte Anfeindungen und Hetze gegenüber Geflüchteten. Geflüchtete wendeten sich immer wieder an den Flüchtlingsrat, weil sie Beschimpfungen auf der Straße ausgesetzt seien, sagte die Vorsitzende, Ulrike Seemann-Katz, dem „Evangelischen Pressedienst“ am Freitag in Schwerin. Hinzu kämen pro-russische Botschaften auf den sogenannten Montagsdemos. Dass in Krisenzeiten die Stimmung in der Bevölkerung kippe, sehe sie als bundesweites, in den östlichen Bundesländern jedoch verstärktes Problem. (epd/mig) Aktuell Politik
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