Das Trauma bleibt
30 Jahre nach Brandanschlägen in Mölln
Vor 30 Jahren starben bei rechtsextremistischen Brandanschlägen in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Mölln drei Menschen. Die Gedenkfeiern, erklärt die Türkische Gemeinde, sollen auch zeigen: Mit Rassismus wollen wir nicht leben.
Von Nadine Heggen Dienstag, 22.11.2022, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 22.11.2022, 13:09 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Es war eine Nacht, die das Leben vieler Menschen in Mölln auf einen Schlag veränderte: Am 23. November 1992 warfen zwei Skinheads kurz nach Mitternacht Molotow-Cocktails in zwei Häuser, in denen türkische Familien wohnten. Die 51-jährige Bahide Arslan, ihre Enkelin Yeliz (10) und ihre Nichte Ayse (14) starben. Neun weitere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Die Täter wurden zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt, inzwischen sind beide wieder auf freiem Fuß.
30 Jahre nach den rechtsextremistisch motivierten Anschlägen hat sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kürzlich mit Hinterbliebenen der drei Todesopfer getroffen und darüber gesprochen, was sie erleben mussten und auf welche Schwierigkeiten und Rückschläge sie nach den Anschlägen gestoßen sind. Das Erinnern an die Anschläge sei eine Mahnung für Staat und Gesellschaft, wachsam zu sein und entschieden all jene zurückzuweisen, die mit ihren Worten Hass verbreiten und die Grundlage für Gewalt säen, sagte der Sprecher des Bundespräsidenten.
Ibrahim Arslan (37) ist einer der Überlebenden – er überlebte dank seiner Oma Bahide, die den damals Siebenjährigen in nasse Decken hüllte. Sie selbst starb an einer Rauchvergiftung. Arslan verlor auch seine Schwester und seine Cousine bei dem Anschlag. Er engagiert sich seit Jahren als Aktivist gegen rechte Gewalt und spricht bundesweit in Schulen und auf Konferenzen.
Teil einer Serie von Angriffen gegen Einwanderer
Die Anschläge waren Teil einer Serie von Angriffen gegen Einwanderer Anfang der 1990er Jahre: Attacken gegen ein Ausländerwohnheim im sächsischen Hoyerswerda im September 1991 und das Asylaufnahmelager in Rostock-Lichtenhagen im August 1992, der Brandanschlag auf das Haus der türkischen Familie Genç im nordrhein-westfälischen Solingen mit fünf Toten im Mai 1993.
Info: Die Täter, 19 und 25, werden im Dezember 1993 zu zehn Jahren und zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, werden aber vorzeitig aus der Haft entlassen. Sie sind seit 2000 bzw. 2007 auf freiem Fuß.
In Mölln war das Entsetzen in der Bevölkerung nach dem Anschlag groß. Die zwölf betroffenen Familien waren in der Stadt bekannt, lebten bereits seit 20 Jahren in Mölln. Noch am Abend des Anschlagstages versammelten sich 6.500 Einwohner zu einem spontanen Schweigemarsch. Fünf Tage später gingen mehr als 12.000 Menschen auf die Straße. Menschen in ganz Deutschland schickten über 467 Kondolenzschreiben an die betroffenen Familien. Allein das Deutsche Rote Kreuz Mölln und das Städtische Krankenhaus sammelten über 270.000 DM für die Betroffenen.
„Die kriminelle Energie hat uns sehr erschreckt“
Kurz nach dem Anschlag gründete sich in Mölln der Verein „Miteinander leben“, der bis heute mit Ausstellungen und Vorträgen in Schulen über Rassismus aufklärt. „Die kriminelle Energie, die hinter dieser rassistischen Tat steckte, hat uns sehr erschreckt“, sagt Vereinsmitglied Antje Buchholz. Sie habe einen dunkelhäutigen Schwager, die Brandanschläge hätten sie persönlich angefasst.
Anfang September 2022 wurde Mölln erneut mit kriminellem Rassismus gegen die türkische Gemeinde konfrontiert. Im Eingangsflur der Moschee „Fatih Sultan Camii“, in der auch eine Familie wohnt, steckten bislang Unbekannte eine Magnetwand mit Flyern in Brand. Verletzt wurde niemand, die Polizei ermittelt noch.
„Mit Rassismus wollen wir nicht leben.“
Info: Bei der Trauerfeier für die Opfer war Bundeskanzler Helmut Kohl nicht anwesend. Auf Nachfrage erklärte sein Sprecher Dieter Vogel, die Bundesregierung wolle nicht in einen „Beileidstourismus“ verfallen. Der Begriff wurde Kandidat zum Unwort des Jahres 1992.
Für Cebel Küçükkaraca von der Türkischen Gemeinde Schleswig-Holstein ist es wichtig, mit demokratischen Mitteln Fremdenhass entgegenzuwirken. Die jährlichen Gedenkfeiern etwa würden helfen, deutlich zu machen: „Mit Rassismus wollen wir nicht leben.“
Am 23. November wird Mölln wieder der Anschläge gedenken. Ein Ersthelfer von damals will in dem ökumenischen Gottesdienst in der St. Nicolai-Kirche einen selbst verfassten Song vortragen. Das Lied handelt von seinem Einsatz in der Anschlagsnacht. Und von seinem Schmerz darüber, dass er das jüngste Opfer, die 10-jährige Yeliz, nicht retten konnte. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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