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Bundesverfassungsgericht

Gekürzte Asyl-Leistungen in Sammelunterkünften verfassungswidrig

In Sammelunterkünften untergebrachte Asylbewerber bekommen geringere Sozialleistungen, weil die Gemeinschaft im Wohnheim vom Gesetzgeber bislang wie eine Partnerschaft behandelt wurde. Das geht so nicht, urteilte nun das Bundesverfassungsgericht.

Donnerstag, 24.11.2022, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 25.11.2022, 8:22 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die Leistungskürzung für alleinstehende erwachsene Asylbewerber in Sammelunterkünften ist einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zufolge verfassungswidrig. Die Regelung, wonach in Sammelunterkünften lebende Asylbewerber zehn Prozent weniger existenzsichernde Leistungen bekommen als in Wohnungen lebende Flüchtlinge, verstoße gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, heißt es in einem am Donnerstag veröffentlichten Urteil des Bundesverfassungsgerichts. (AZ: 1 BvL 3/21)

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2019 wurde für Erwachsene in Sammelunterkünften der monatliche Regelsatz nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gemindert. Sie wurden damit genauso veranschlagt wie Paare, die zusammen in einer Wohnung leben und durch gemeinsames Einkaufen sparen können. Aktuell liegt der Regelsatz für alleinstehende, erwachsene Asylbewerber bei 367 Euro pro Monat, für Paare und Menschen, die in einer Sammelunterkunft untergebracht sind, bei 330 Euro monatlich. Insbesondere Asylbewerber in Sammelunterkünften bekommen dabei vorrangig Sachleistungen statt Geld.

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Für die Annahme, dass in Sammelunterkünften ebenso wie in Paarhaushalten gemeinsam „aus einem Topf“ gewirtschaftet werde, gebe es jedoch keine Grundlagen, kritisierte das Bundesverfassungsgericht. Es sei nicht erkennbar, dass in den Sammelunterkünften regelmäßig tatsächlich Einsparungen durch gemeinsames Wirtschaften erzielt werden könnten, die eine Absenkung der Leistungen um zehn Prozent rechtfertigten. Das höchste deutsche Gerücht rügte, der Gesetzgeber stütze die Annahme, es könne durch gemeinsames Einkaufen gespart werden, nicht auf Tatsachen: „Tragfähige Erkenntnisse dazu liegen nicht vor.“

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Pro Asyl begrüßt Urteil

Gegen die Regelung hatte ein 1982 geborener Mann aus Sri Lanka geklagt, der 2014 nach Deutschland eingereist war. Nach Ablehnung seines Asylantrags war er von November 2019 bis Februar 2020 in einer Sammelunterkunft untergebracht. Zwar teilte er sich mit einer Person einen Schlafraum und mit weiteren Personen Küche und Bad. Zwischen ihnen bestand aber kein Verwandtschaftsverhältnis.

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl, die das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht unterstützt hatte, begrüßte das Urteil. Erneut sei das Gericht ein Korrektiv, um ein menschenwürdiges Leben für schutzsuchende Menschen in Deutschland zu garantieren. Die unterhalb des Niveaus von Hartz IV – oder künftig Bürgergeld – liegenden Leistungen, die Asylbewerber bis zu 18 Monate beziehen, bevor sie ins reguläre Sozialleistungssystem wechseln, sorgen bei Sozialorganisationen schon lange für Kritik. Konsequent sei allein die Abschaffung des diskriminierenden Asylbewerberleistungsgesetzes, forderte die rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, Wiebke Judith

Linke fordert Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes

Auch die für das Thema Flucht zuständige Linken-Politikerin Clara Bünger forderte eine Abschaffung des Gesetzes. Das Asylbewerberleistungsgesetz sei Bestandteil einer Abschreckungspolitik. Schutzsuchenden solle das Leben so schwer wie möglich gemacht werden, um sie vom Weg nach Deutschland abzuhalten. Das sei ein mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbarendes Kalkül, sagte die Bundestagsabgeordnete.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) zeigt sich erleichtert nach der Entscheidung: „Endlich hat die verfassungswidrige Kürzung von Sozialleistungen für alleinstehende Geflüchtete in Sammelunterkünften ein Ende. Die Entscheidung ist eine klare Absage an die wiederkehrenden Vorstöße des Gesetzgebers, Geflüchteten und Menschen ohne sicheren Aufenthaltsstatus nur einen Grundrechtsschutz zweiter Klasse einzuräumen“, erklärt GGF-Juristin Sarah Lincoln.

Bundesarbeitsministerium verweist auf Koalitionsvertrag

Auch der Kläger Kamalraj G. freut sich über die Entscheidung: „Dank meines Verfahrens bekommen jetzt alle Geflüchteten in Sammelunterkünften wieder das Geld, das ihnen zusteht. Ich habe mittlerweile ein gesichertes Aufenthaltsrecht und arbeite, aber die letzten Jahre musste ich mit monatlich 330 Euro vom Sozialamt auskommen – das ist gerade in Zeiten der Inflation viel zu wenig für einen Menschen in Deutschland.“ Kamalraj G. war im April 2020 mit Rechtsanwältin Eva Steffen gegen die gekürzten Sozialleistungen vor das Sozialgericht Düsseldorf gezogen.

Das Bundesarbeitsministerium verwies auf Nachfrage auf den Koalitionsvertrag, laut dem das Asylbewerberleistungsgesetz „im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ weiterentwickelt werden soll. Die korrekte Versorgung Leistungsberechtigter werde bis zu einer Gesetzesänderung sichergestellt, indem – wie vom Verfassungsgericht verlangt – auch für Erwachsene in Sammelunterkünften künftig der volle Regelsatz für Alleinstehende gezahlt wird, sagte eine Sprecherin. Wie hoch die monatlichen Leistungen für Asylbewerber im kommenden Jahr sein werden, ist wegen der noch ausstehenden Verkündung des Bürgergelds bislang nicht bekannt. Die Regelsätze für Asylbewerber und andere Sozialleistungsbezieher werden jeweils gemeinsam bekannt gegeben. (epd/mig) Leitartikel Recht

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