Myanmar
Zwei Jahre nach dem Militärputsch
Seit dem Putsch in Myanmar am 1. Februar 2021 wird die humanitäre Lage immer katastrophaler, die Zahl der Geflüchteten auf Rekordniveau. Und während die Junta mordet und ganze Landstriche bombardiert, ist der Widerstand im Volk ungebrochen. Mehr noch: Der bewaffnete Kampf weitet sich offenbar aus.
Von Nicola Glass Dienstag, 31.01.2023, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 31.01.2023, 11:16 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Mya Thwate Thwate Khaing wurde nur 20 Jahre alt. Während einer Demonstration gegen Myanmars Junta in der Hauptstadt Naypyidaw wurde sie tödlich angeschossen. Es war der 9. Februar 2021, acht Tage zuvor hatte die Armee gegen die „Nationale Liga für Demokratie“ unter De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi geputscht. Mya Thwate Thwate Khaing starb schließlich an den Folgen des Kopfschusses. Als erstes bestätigtes Todesopfer des Militärregimes wurde die junge Frau zu einer Symbolfigur der Proteste.
Zunächst waren es mit Beginn der „Frühlingsrevolution“ Straßendemos und Aktionen des zivilen Ungehorsams, mit denen nach dem Putsch Oppositionelle gegen die Diktatur unter Juntachef Min Aung Hlaing aufbegehrten. Längst aber hat sich die Gegenwehr verändert: Viele wollten nicht zusehen, wie die Militärherrscher mithilfe von Milizen immer mehr Zivilisten massakrierten. Landesweit formierten sich bewaffnete Widerstandsgruppen. Manche kämpfen an der Seite alteingesessener Rebellenorganisationen wie den Karen im Osten oder den Kachin im Norden, andere auf sich selbst gestellt.
Derweil häufen sich auf beiden Seiten die Toten. Human Rights Watch wirft den Militärs Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Dazu zählten „Massentötungen, willkürliche Verhaftungen, Folter, sexuelle Gewalt und Angriffe auf Zivilisten in Konfliktgebieten wie wahllose Boden- und Luftangriffe mit zahlreichen Todesopfern.“
Hunderte Tote bei Luftangriffen
Das regimekritische Nachrichtenportal „Irrawaddy“ berichtete, die Junta habe die Luftangriffe im westlichen Chin-Staat, der angrenzenden Region Sagaing sowie in den Bundesstaaten Kachin und Karen seit Jahresbeginn ausgeweitet – mutmaßlich als Reaktion auf Neujahrsansprachen von Anführern ethnischer bewaffneter Organisationen. Menschenrechtsorganisationen haben die Bombardements wiederholt als direkte Vergeltung für militärische Verluste der Junta angeprangert.
Aktivistinnen und Aktivisten der „Karen Human Rights Group“ dokumentierten in den ersten beiden Januarwochen 13 Luftangriffe im Karen-Staat an der Grenze zu Thailand. Dabei seien mindestens elf Zivilisten getötet worden. Die aus dem Untergrund und Exil agierende zivile „Regierung der nationalen Einheit“ (NUG), der entmachtete Abgeordnete, Vertreter der Protestbewegung sowie ethnischer Minderheiten angehören, spricht von etwa 460 Toten allein durch Luftangriffe in den vergangenen zwei Jahren.
Fluchtbewegung auf Rekordniveau
Zunehmend verschlimmert sich somit die humanitäre Lage. Laut UN haben die Fluchtbewegungen 2022 ein Rekordniveau erreicht. Bis Anfang Januar wurden mehr als 1,5 Millionen Binnenvertriebene registriert, die meisten davon seit dem Putsch. Für 2023 prognostiziert das UN-Nothilfebüro OCHA weitere 1,4 Millionen Geflüchtete. Insgesamt werden den Schätzungen zufolge 17,6 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen – gegenüber 14,4 Millionen im vergangenen Jahr. Ein Drittel seien Kinder.
Dass die Junta bislang ungestraft bleibt, führen Menschenrechtsorganisationen nicht zuletzt auf ein Versagen des Auslands zurück – und das nicht allein, weil sich die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft auf Russlands Krieg gegen die Ukraine richtet. Im Dezember forderte der UN-Sicherheitsrat von der Junta ein Ende der Gewalt und die Freilassung aller politischen Gefangenen – es war die erste Resolution des UN-Gremiums zu Myanmar überhaupt. Zwölf Mitglieder votierten dafür. China und Russland, die als wichtigste Verbündete Myanmars gelten, enthielten sich – ebenso wie Indien.
„Die gefallenen Helden werden blühen“
Kritikerinnen und Kritiker, die ein globales Waffenembargo gegen die Generäle in Myanmar und deren strafrechtliche Verfolgung fordern, zeigten sich „zutiefst enttäuscht“. Der Resolution fehle es an substanziellen Maßnahmen, erklärte die Vorsitzende des Bürgerrechtsnetzwerkes Progressive Voice, Khin Ohmar.
Familien und Freunde der ermordeten Aktivisten und Aktivistinnen wie Mya Thwate Thwate Khaing haben an deren Gräbern geschworen, weiter für Demokratie und Freiheit zu kämpfen. Eines von vielen Gedichten seit der „Frühlingsrevolution“ lautet: „Die gefallenen Helden werden blühen, während der Kampf gegen das terroristische Militär andauert.“ (epd/mig) Aktuell Ausland
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