Nebenan
First We Take Manhattan
In Hanau kontrolliert die Polizei immer noch ganz zufällig PoC, statt den Neonazi-Vater des Täters. Und Deutschland sorgt mit seinen Visa-Erleichterungen für Erdbebenopfer dafür, dass niemand kommen kann.
Von Sven Bensmann Montag, 20.02.2023, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 20.02.2023, 13:36 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Die Berlin-Wahl: Fast müsste man sich darüber aufregen, dass sie im ersten Versuch so krachend gescheitert war, oder eben darüber, dass es auch im zweiten Anlauf zu Pannen gekommen ist – wenn, ja, wenn nicht bereits ein besonders dreckiges Dutzend insbesondere öffentlich-rechtlicher Schmalspurkomiker, die für sich immer noch völlig ironiefrei den Anspruch „Satiriker“ formulieren, all die Witze schon gemacht haben, die selbst der AfD zu blöde waren. So aber hat man maximal noch Mitleid mit einer Stadt, die vor Jahrzehnten als maximal unverwaltbar konstituiert wurde.
Bleiben wir trotzdem in Berlin. Teilweise zumindest. Denn gerade hat sich der rechtsextreme Anschlag von Hanau zum dritten Mal gejährt – vielleicht hat es der ein oder andere Polizist aufgrund eigener Putsch-Pläne und Vorbereitung auf Tag X gar nicht mitbekommen. Und dort – in Hanau – wird klar, dass der deutsche „Rechtsstaat“ mal wieder Opfer im Stich lässt, offenkundig, weil die nicht arisch genug sind. Dabei hat die Polizei gerade – in Berlin – gezeigt, was doch eigentlich möglich wäre:
Am „Kotti“ hat die Berliner Polizei ihr neues Projekt, den „Bullenbalken“, gegen Petition und Proteste durchgesetzt, um, so die offenbar einigermaßen einhellige Meinung vor Ort, unbescholtene Bürger zu triezen, zu mobben und ultimativ vielleicht auch zu vertreiben; und das ist offenbar auch jenen Bullen so peinlich, dass sich nur ein einziger Freiwilliger fand, der seinen Balken beziehen wollte. Die Einweihung musste dafür mit massivem Polizeieinsatz geschützt werden.
„In Hanau heißt es von der Polizei weiterhin, mehr als gelegentlich mal eine Streife vor das Haus der Angehörigen von Terroropfern zu fahren, um den rechtsextremen Vater … des Attentäters davon abzuhalten, diese mit seinem Hund zu bedrohen. Mehr sei einfach nicht drin.“
In Hanau heißt es von der Polizei weiterhin, mehr als gelegentlich mal eine Streife vor das Haus der Angehörigen von Terroropfern zu fahren, um den rechtsextremen Vater – und womöglich Ideengeber – des Attentäters davon abzuhalten, diese mit seinem Hund zu bedrohen. Mehr sei einfach nicht drin.
Mich macht das nachdenklich. Die einen kennen wohl die Situation, wie ich, so, tief in der Nacht heftig angetrunken durch den lokalen „Problemkiez“ zu torkeln, um auf dem Weg ein halbes Dutzend Streifen unbehelligt passieren zu können – und die anderen sind eben nicht weiß; die werden dann auf fünf Minuten stocknüchternem Fußweg zwischen Zigarettenautomat und Wohnung gleich drei Mal rein zufällig und natürlich „verdachtsunabhängig“ kontrolliert. Das Gesetz lässt also doch offensichtlich deutlich mehr zu, als nur „fast nichts“.
„Warum setzt die Polizei denn dann nicht einmal ihre Macht für das Gute ein und piesackt zur Abwechslung mal nicht die Üblichen, sondern den Terrorvater von Hanau? „
Warum setzt die Polizei denn dann nicht einmal ihre Macht für das Gute ein und piesackt zur Abwechslung mal nicht die Üblichen – Drogenkonsumenten, Linke, PoC, Shisha-Bars (letztere mittlerweile ganz besonders beliebt, weil da ja auch Kartoffeln rein dürften, aber nicht gehen – da wirkt das Ganze nicht so eindeutig rassistisch) -, sondern den Terrorvater von Hanau? Man könnte doch einfach eine Streife in seiner Straße parken; und immer, wenn der seinen Kampfhund zum Kacken ausführt, wird er mal ganz verdachtsunabhängig nach allen Mitteln der Kunst kontrolliert und gefilzt, und immer wenn es die rund 30 Straftaten, die gegen ihn im Raum stehen, erlauben, legt man noch mal eine Schippe drauf: So lange, bis er weggemobbt ist. Das wäre die Polizei den Angehörigen nach all den Pannen jedenfalls wohl schuldig. So fassten die Menschen in Hanau, am Kottbuser Tor und überall sonst in Deutschland vielleicht ja sogar wieder so weit Vertrauen in die deutsche Polizei, dass die Eröffnung einer Polizeiwache nicht mehr unbedingt von Demos, Petitionen und anderen Protesten begleitet werden muss. Wäre doch auch ganz schön.
„Um da bloß keinen Zweifel aufkommen zu lassen, versuchen wir es lieber auch gar nicht erst, helfen stattdessen lieber niemandem.“
Und noch etwas zu Berlin: Denn nicht nur die Polizei kommt irgendwie nicht aus ihrer Haut, auch die Berliner Politik schafft es nicht. Die hatte die wundervolle Idee, Menschen aus den zerstörten Regionen in Syrien und der Türkei per Visum bei Verwandten in Deutschland unterkommen zu lassen: unbürokratisch, einfach und schnell. Und natürlich klappt das nicht. Weil es am Ende eben dann doch wieder so bürokratisch und kompliziert ist, dass es nicht schnell funktionieren kann – und wahrscheinlich auch ganz einfach nicht soll: Die Geste scheint nett, die eigentliche Tat nur Nebensache. Und schließlich muss Deutschland ja auch sicher gehen, dass nicht vielleicht doch der ein oder andere Mensch, der seine Heimat wegen einer Jahrundertkatastrophe verlassen hat, am Ende gar in Deutschland bleiben könnte. Davor muss man uns ja Deutsche unbedingt beschützen. Ich liege doch auch nächtelang schweißnass wach, und frage mich: Was, wenn Özgür und Ayşe auch in dreieinhalb Monaten noch nebenan wohnen sollten, weil ihr Haus in Adıyaman durch ein Beben dem Erdboden gleich gemacht wurde? Oder noch schlimmer: Was, wenn Özgür dann auch noch einen Schnupfen bekommt? Wie soll Deutschland das denn leisten?
Wir können doch nicht allen helfen. Um da bloß keinen Zweifel aufkommen zu lassen, versuchen wir es lieber auch gar nicht erst, helfen stattdessen lieber niemandem – sonst könnten wir am Ende überhaupt niemandem mehr helfen. Gelebte christliche Nächstenliebe könnte bei den kommenden Landtagswählen ja dann sogar noch Wähler in die Arme der fremdenfeindlichen Parteien um Union und AfD treiben. Dann doch lieber gleich: Ausländer raus! Sonst rückt Deutschland am Ende noch nach rechts. Meinung
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