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„Ich fürchte um mein Leben“

Schwarze Migranten werden in Tunesien zunehmend verfolgt

Zehntausende Menschen aus Ländern südlich der Sahara leben in Tunesien. Die Stimmung gegen sie wird immer rauer, bis hin zu brutalen Angriffen. Doch es gibt auch Solidarität.

Von Sonntag, 05.03.2023, 13:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 05.03.2023, 11:30 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Er verlässt das Haus in der tunesischen Stadt Sfax nur noch, wenn es absolut nötig ist. „Heute habe ich nicht mehr Angst vor irgendwelchen Beleidigungen, sondern fürchte um mein Leben“, sagt der Aktivist für die Rechte von Migrantinnen und Migranten, der seinen Namen nicht veröffentlicht haben möchte. „Ich weiche den Blicken aus, drücke mich an die Mauern und wenn ich eine größere Gruppe Personen sehe, wechsele ich die Straßenseite.“ Seit zehn Jahren lebt der Mann aus Westafrika in Tunesien, doch so eine Hetzjagd auf Menschen aus den afrikanischen Ländern südlich der Sahara wie in den vergangenen Tagen habe er noch nie erlebt.

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Präsident Kais Saied sprach vergangene Woche nach einer Dringlichkeitssitzung des Nationalen Sicherheitsrates von kriminellen Bestrebungen nicht näher genannter Gruppierungen, die Geld dafür erhielten, „die demografische Zusammensetzung Tunesiens zu verändern“. Durch eine Welle irregulärer Migration solle das Land rein afrikanisch werden und seine muslimisch-arabische Identität verlieren. Diesem Phänomen müsse ein Ende bereitet werden.

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Präsident in der Kritik

Die Wortwahl des Präsidenten habe Gewalt gegen Migranten legitimiert und sie zur Zielscheibe von Übergriffen gemacht, sagt der Aktivist aus Sfax. „Sie behandeln uns wie Hunde, sie haben uns die menschliche Würde genommen.“ Auch die Afrikanische Union (AU) kritisierte Saied. Die Äußerungen des Präsidenten seien schockierend und entsprächen nicht dem Gründungsgedanken der Union.

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Die Berichte über tätliche Angriffe auf Schwarze mehren sich seit einigen Tagen. Viele wurden demnach von Vermietern vertrieben, auf offener Straße ausgeraubt oder daran gehindert, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Videos in sozialen Netzwerken zeigen, wie Migrantinnen und Migranten aus ihren Wohnungen geworfen wurden und teils versucht wurde, diese in Brand zu setzen. Mehrere Menschen wurden dabei verletzt. Bereits seit einigen Wochen hetzen Rechtsnationalisten zunehmend im Internet. Außerdem haben die Sicherheitskräfte nach Angaben der Organisation „Anwälte ohne Grenzen“ (ASF) seit Anfang Februar außergewöhnlich viele Migranten festgenommen.

Info: Von Tunesien aus sind am Samstag 145 Menschen aus der Elfenbeinküste (Côte d Ivoire) in ihre Heimat zurückgekehrt. Unter ihnen seien 30 Studenten, teilte der Verband ivorischer Studenten in Tunesien mit. Insgesamt seien rund 1.500 Personen bei der Botschaft der Elfenbeinküste für eine Rückkehr registriert. Auch andere afrikanische Länder wie Gabun, Mali und Burkina Faso registrieren derzeit Rückkehrwillige.
Tunesiens Präsident Kais Saied hatte am 21. Februar von kriminellen Bestrebungen nicht näher genannter Gruppierungen gesprochen, die Geld dafür erhielten, „die demografische Zusammensetzung Tunesiens zu verändern.“ Durch eine Welle irregulärer Migranten solle das Land rein afrikanisch werden und seine muslimisch-arabische Identität verlieren. Diesem Phänomen müsse ein Ende bereitet werden, erklärte der Staatschef.
In der Folge wurden mehrere hundert Menschen aus Subsahara-Afrika verhaftet. Außerdem mehrten sich die Berichte über rassistische Angriffe auf schwarze Personen. Viele berichten davon, dass sie von Vermietern aus ihren Wohnungen geworfen, auf offener Straße ausgeraubt oder daran gehindert wurden, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen.

Demonstration in Tunis

Ende Februar gab es dagegen Protest. Etwa 1.000 Menschen folgten in der Hauptstadt Tunis einem Demonstrationsaufruf der neu gegründeten Antifaschistischen Front. „Tunesien ist ein afrikanischer, kein faschistischer Staat“, riefen sie und forderten Solidarität mit Einwanderern. Alaa Talbi vom Forum für wirtschaftliche und soziale Rechte (FTDES) kritisierte den Diskurs des Präsidenten, der sich an der Argumentation der extremen Rechten in Europa orientiere. Die aktuelle Hetzjagd auf Migranten „ist eine Schande für Tunesien, seine Demokratie und das tunesische Volk.“ Für diese Krise sei neben Tunesien auch die EU verantwortlich, die ihre Außengrenzen auslagere und Migranten in Drittstaaten zurückschicke.

Zwar sicherte das tunesische Außenministerium zu, alle nötigen Maßnahmen für die Sicherheit afrikanischer Mitbürgerinnen und Mitbürger zu ergreifen. Zugleich wies Außenminister Nabil Ammar den Vorwurf der Hassrede gegen den Präsidenten zurück.

Wohnung nur im Notfall verlassen

Rund zwölf Millionen Menschen leben in Tunesien. Nach Behörden-Angaben stammen rund 21.000 von ihnen aus Ländern südlich der Sahara. Dazu kommt eine laut Schätzungen ähnlich hohe Zahl von Migrantinnen und Migranten, die sich illegal im Land aufhalten, darunter Geflüchtete, die über das Mittelmeer nach Europa wollen. Aber auch Studierende, die trotz eines Studienplatzes immer wieder Probleme haben, ihre Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern.

Mehrere private Universitäten haben in den vergangenen Tagen Krisenhotlines eingerichtet und Studentinnen und Studenten von den Kursen freigestellt. Der Verband afrikanischer Studierender in Tunesien rief seine Mitglieder auf, auch in dieser Woche ihre Wohnungen möglichst nur im Notfall zu verlassen. Einige Botschaften afrikanischer Staaten wie die der Elfenbeinküste helfen Landsleuten, in die Heimat zurückzukehren. Auch der Aktivist, der in Sfax lebt, will Tunesien verlassen. (epd/mig) Aktuell Ausland

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