Kritik befürchtet
Bundesregierung verschweigt Namen von Fluggesellschaften, die abschieben
Abgelehnte Asylbewerber sollen abgeschoben werden. Das ist nicht einfach: Manchmal blockieren die Herkunftsländer, oft aber ist das Herkunftsland der Ausreisepflichtigen unbekannt. Die Bundesregierung verschweigt sogar Fluggesellschaften, die an Abschiebungen beteiligt sind – aus Angst davor, die könnten Abschiebeflüge verweigern.
Dienstag, 07.03.2023, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 07.03.2023, 13:14 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Der neue Sonderbevollmächtigte für Migrationsabkommen, Joachim Stamp (FDP), soll dafür sorgen, dass Herkunftsländer Abschiebungen nicht verzögern oder sabotieren. Er steht vor Herausforderungen. In Berlin ist bei fast jedem zehnten Ausreisepflichtigen mit abgelehntem Asylantrag zudem das Herkunftsland unbekannt. Ein vergleichbar hoher Anteil von ausreisepflichtigen Menschen mit ungeklärter Herkunft findet sich in keinem anderen Bundesland, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht. Darin will die Bundesregierung nicht einmal die Namen der Fluggesellschaften nennen, die an Abschiebungen beteiligt sind.
Den Angaben zufolge stammen knapp 18 Prozent der insgesamt rund 21.654 Ausreisepflichtigen in der Hauptstadt aus Moldau. Die mit Wohnsitz Berlin im Ausländerzentralregister erfassten 2020 Menschen mit ungeklärter Identität bilden mit rund 9,3 Prozent die zweitgrößte Gruppe, gefolgt von Menschen aus dem Irak, sowie Ausreisepflichtigen aus der Russischen Föderation und aus Georgien. Das Bundesinnenministerium hatte 2021 gegenüber dem Berliner Innensenat die Vermutung geäußert, die hohe Zahl der Asylantragsteller aus Moldau könne mit der damals gängigen Praxis der Auszahlung von Sozialleistungen für mehrere Monate im Voraus in Berlin zusammenhängen.
Bundesregierung: Rund 300.000 Ausreisepflichtige
In Bayern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen stammten die meisten Ausreisepflichtigen 2022 aus dem Irak. In Brandenburg kam fast jeder vierte Ausreisepflichtige aus der Russischen Föderation. In Baden-Württemberg bildeten Menschen aus Gambia unter den Ausreisepflichtigen die größte Gruppe.
Laut Bundesregierung waren zum Stichtag 31. Dezember 2022 insgesamt 304.308 Ausländer ausreisepflichtig, davon verfügte die Mehrheit (248 145 Menschen) über eine sogenannte Duldung. Geduldete bleiben ausreisepflichtig, dürfen aber vorübergehend bleiben, weil sie nicht abgeschoben werden können, etwa weil sie keine Ausweisdokumente haben oder eine Krankheit.
Bundesregierung verschweigt Fluggesellschaften, die abschieben
Im vergangenen Jahr hatten 26.545 ausreisepflichtige Menschen Deutschland freiwillig verlassen. 12.945 Menschen wurden abgeschoben. Wie die Bundesregierung weiter mitteilte, wurde rund die Hälfte (6348) dieser Abschiebungen ohne Begleitung vollzogen. Bei der Abschiebung von 340 Menschen waren Sicherheitskräfte aus den Zielstaaten zugegen – eine Variante, die vor allem bei Abschiebungen nach Algerien häufiger angewandt wurde. In Begleitung von Sicherheitskräften einer Fluggesellschaft liefen demnach 1637 Abschiebungen ab.
Eine Frage der Linksfraktion nach den Namen von an Abschiebungen beteiligten Fluggesellschaften beantwortete die Bundesregierung nicht öffentlich. Zur Begründung schrieb sie: „Eine öffentliche Benennung der Fluggesellschaften, die Rückführungsflüge anbieten, birgt die Gefahr, dass diese Unternehmen öffentlicher Kritik ausgesetzt werden und in der Folge für die Beförderung von ausreisepflichtigen Personen in die Heimatländer nicht mehr zur Verfügung stehen.“ Dadurch würden Rückführungen weiter erschwert oder sogar unmöglich.
Bünger: Wer Kritik befürchtet, schiebt nicht ab
Aus Sicht der Abgeordneten Clara Bünger (Linke) sind das keine überzeugenden Argumente. Sie sagte: „Wenn Fluggesellschaften befürchten, für ihre Beteiligung an Abschiebungen kritisiert zu werden, müssen sie sich eben aus diesem Geschäft zurückziehen, ganz einfach.“ Dass Abschiebungen und Zurückschiebungen 2022 wieder deutlich zugenommen haben, sieht sie kritisch. Sie meint, oft würden dadurch Menschen unter Androhung oder Anwendung von Gewalt an Orte zurückgezwungen, an denen ihnen Krieg, Folter, willkürliche Haft, extreme Armut oder Perspektivlosigkeit drohten.
Im Vergleich zu den Jahren vor Beginn der Corona-Pandemie, die vorübergehend zu erheblichen Einschränkungen für internationalen Verkehr führte, war die Zahl der Abschiebungen im vergangenen Jahr jedoch immer noch relativ niedrig. So gab es 2019 rund 22.000 Abschiebungen aus Deutschland. Im Jahr 2020 lag die Zahl mit 10.800 Abschiebungen dann deutlich niedriger: Ein Jahr später wurden 11.982 Abschiebungen organisiert und durchgeführt. Zu den Faktoren, die zuletzt zu einem Rückgang der Abschiebungszahlen geführt hatten, zählen die Machtübernahme durch die militant-islamistischen Taliban in Afghanistan 2021 sowie der Wegfall direkter Flugverbindungen nach Russland infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und die Repression nach den Massenprotesten im Iran. (epd/mig) Leitartikel Politik
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