Von Syrien ins Ländle
Ryyan Alshebl will Bürgermeister werden
2015 floh er aus Syrien, nun ist er Bürgermeisterkandidat in Ostelsheim: Ryyan Alshebl möchte das schwäbische Dorf voranbringen. An Ideen mangelt es ihm nicht. Viele Bewohner finden das gut. Es gibt aber auch Rechtsextremisten im Ort.
Von Pascal Eichner Donnerstag, 30.03.2023, 13:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 20.11.2023, 11:23 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
„Guten Tag, darf ich mich kurz vorstellen?“ An der Haustür eines klassischen Fachwerkhauses in Ostelsheim steht Ryyan Alshebl. Der gebürtige Syrer ist Bürgermeisterkandidat für das schwäbische Dorf im Kreis Calw. An einem sonnigen Mittag geht der 29-Jährige im verwinkelten Ortskern von Haus zu Haus. Die heiße Phase des Wahlkampfes hat begonnen. Im Gepäck hat er Flyer, Blumensamen und eine Mission: Er möchte mit den Menschen ins Gespräch kommen. Alshebl floh 2015 aus Syrien nach Deutschland. Viele Menschen hier mögen ihn. Doch im Dorf gibt es auch einen rechten Rand.
Am Sonntag (2. April) entscheidet die 2500-Seelen-Gemeinde, wer die nächsten acht Jahre Bürgermeister ist. Der amtierende Rathauschef tritt nach zwei Amtszeiten nicht mehr zur Wahl an. Neben Alshebl haben sich zwei weitere Kandidaten aufgestellt – Marco Strauß und Mathias Fey. Beide sind nach Angaben der Gemeinde Ostelsheim parteilos. Alshebl tritt zur Wahl als parteiunabhängig an. Privat sei er aber Mitglied bei den Grünen, sagt er.
Rechter Rand in Ostelsheim
Gleich beim ersten Haus öffnet eine Seniorin Alshebl die Tür und bittet ihn herein. Im Wohnzimmer des Fachwerkhauses setzen sie sich an einen Tisch. Der 29-Jährige erzählt von sich und stellt sein Wahlprogramm vor. Wichtig sind ihm flexible Betreuungsangebote, Klimaschutz und die Förderung von Vereinen. Mindestens zehn Minuten spricht er mit der Seniorin, hört ihr zu und beantwortet Fragen. Seit mehreren Jahrzehnten wohnt die Dame in Ostelsheim. Alshebls Kandidatur findet sie gut: „Man muss jedem eine Chance geben.“
Mehr als 200 Häuser hat Alshebl nach eigenen Angaben in den letzten Wochen besucht. Dabei habe er rund 60 solcher Gespräche geführt. „Die Erfahrungen sind überwiegend positiv.“ Doch es gebe auch einen rechten Rand in Ostelsheim, der ihn grundsätzlich nicht akzeptiere. Die laute Minderheit störe sich an seinen syrischen Wurzeln, erklärt Alshebl. Anfeindungen habe es bisher aber nicht gegeben.
Flucht mit Schlauchboot
Mit 21 Jahren floh Alshebl aus seiner Heimatstadt as-Suwaida im Süden von Syrien. Hier war er aufgewachsen und zur Schule gegangen. 2015 stand er wie viele Menschen im Land vor dem Dilemma, Kriegsdienst zu leisten oder das Land zu verlassen. Alshebl entschied sich für die Flucht. Diese beschreibt er als „kalt und dunkel“. Von Syrien sei er über den Libanon in die Türkei geflohen. Mit einem Schlauchboot habe er mit anderen Menschen auf die griechische Insel Lesbos übergesetzt.
Nach seiner Ankunft in Deutschland ging es für ihn über Karlsruhe nach Calw. Dort lebte Alshebl eineinhalb Jahre in verschiedenen Wohnungen und lernte Deutsch. Dann zog er nach Althengstett, wenige Kilometer entfernt von Ostelsheim. Nach einem Praktikum im Rathaus absolvierte er eine duale Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten. Seit sieben Jahren arbeitet er im Rathaus Althengstett, mittlerweile ist er angestellt und für Kita-Management und Digitalisierung zuständig. Im Fall seiner Wahl will Alshebl nach Ostelsheim ziehen.
„Toi, toi, toi“
Auf dem Weg zum nächsten Haus hält ein Auto auf der Straße. „Kennen Sie mich noch?“, fragt die ältere Dame am Steuer. Lachend stellt sie Alshebl ihre Freundin auf dem Beifahrersitz vor. Auf die Frage, wie sie Alshebls Kandidatur findet, antwortet die Seniorin: „Wunderbar“. Dann fährt sie weiter. Am nächsten Eck ist gerade der Kindergarten aus. Einige Eltern holen ihre Kinder ab. Die meisten kennen Alshebl und grüßen ihn. „Ich hoffe, dass er gewinnt“, sagt eine 30-jährige Mutter. Eine andere ruft ihm „Toi, toi, toi“ im Vorbeigehen zu.
„Ich bin in einem politischen Haus aufgewachsen“, erzählt Alshebl. Seine Eltern hätten häufig über Politik gesprochen. Schon immer wollte er Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen. „Das Amt des Bürgermeisters entspricht genau meinen Vorstellungen“, sagt er.
Highlight des Jahres
Seit seiner Flucht hat Alshebl seine Eltern erst ein Mal treffen können. Bei einer Reise in den Libanon sah er sie im vergangenen Jahr wieder. „Das war mein Highlight des Jahres“, erinnert er sich. „Meine Eltern sind stolz und finden meine Kandidatur spannend.“
Die aktuelle Diskussion über Flüchtlinge aus der Ukraine erinnere ihn sehr an die Diskussion 2015. „Wenn ich gewählt werden sollte, wäre das ein ziemlich starkes Symbol für Weltoffenheit und Toleranz“, sagt Alshebl. Es sei überhaupt nicht selbstverständlich, dass sich ein Geflüchteter für das Bürgermeisteramt bewerbe.
Erster syrischer Bürgermeisterkandidat im Südwesten
Alshebl ist wohl der erste syrische Bürgermeisterkandidat im Südwesten. Laut Gemeindetag Baden-Württemberg gab es bisher keinen weiteren Bewerber mit syrischen Wurzeln um ein Bürgermeisteramt. Mit drei Kandidaten sei in Ostelsheim ein „gesundes Bewerberfeld“ vorhanden, sagt ein Sprecher. Sehr selten gebe es keine Bewerbungen bei Bürgermeisterwahlen, manchmal aber auch eine zweistellige Zahl.
Längst sei er in Deutschland integriert und sozialisiert, erklärt Alshebl. Den deutschen Pass hat er ebenso. Und der 29-Jährige sagt: „Die schwäbische Kultur habe ich ins Herz geschlossen.“ (dpa/mig) Aktuell Panorama
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