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Beute-Gemeinschaft

Mahnmal erinnert an Ausraubung der Juden in NS-Zeit

Während des Nazi-Regimes wurde die jüdische Bevölkerung massenhaft um ihr Hab und Gut gebracht. Profitiert haben davon viele. In Bremen entsteht ein bundesweit einzigartiges Mahnmal, das daran erinnert.

Von Dienstag, 25.04.2023, 17:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 25.04.2023, 13:27 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

„M-Aktion“: So nannten die Nationalsozialisten die Beschlagnahme, den Abtransport und den Verkauf des Hab und Guts von deportierten oder geflohenen Juden. Das M stand für Möbel. Profiteure der „M“-Aktion waren das NS-Regime, aber auch Speditionen, Museen oder Privatpersonen. Künftig soll in der Bremer Innenstadt ein „Arisierungs“-Mahnmal an die „massenhafte Beraubung europäischer Jüdinnen und Juden“ erinnern. Ende Juni soll das Bauwerk nach dem künstlerischen Entwurf von Evin Oettingshausen fertig sein. Es wird an der Weser stehen, also dort, wo Schiffe die geraubten Möbel und Gegenstände aus den besetzten Ländern in Westeuropa nach Bremen brachten.

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Der von einer Jury ausgesuchte Entwurf ist ein sechs Meter hoher Schacht, in den man von oben durch ein Sichtfenster nach unten schauen kann. „Der Blick in die Tiefe des Raumes lässt die Abbildungen im unteren Bauteil nur erahnen“, sagt Oettingshausen. So würden die „bis heute fortwährenden Geschichtslücken“ in der Aufarbeitung symbolisiert. Von der Ebene der Weser-Promenade sind Blicke durch seitliche Fenster ins Innere des Mahnmals möglich, wo Reliefs von Möbeln zu sehen sind – „in Beton eingelassene Leerstellen“, so Oettingshausen. Es ist nach Angaben des Bremer Senats das erste Mahnmal bundesweit, das explizit die Enteignung, den Abtransport und die Verwertung jüdischen Eigentums thematisiert – und damit auch die Auslöschung individueller Lebensspuren.

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Die Idee zum Mahnmal hatte der Bremer Journalist Henning Bleyl und schrieb 2016 erstmals in der „taz“ darüber. Damals wollte der Schweizer Logistikkonzern Kühne und Nagel seinen Bremer Firmensitz abreißen und an gleicher Stelle einen größeren Neubau errichten; die Landesregierung genehmigte das. Ein Jahr zuvor hatte Kühne und Nagel, 1890 in der Hansestadt gegründet, bei der öffentlichen Feier zum 125-jährigen Firmenjubiläum die Verwicklungen in die „M-Aktion“ in der Chronik ausgespart.

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„Quasi-Monopolstellung“ beim Abtransport des Hausrates ermordeter Juden

„Dabei waren die europaweiten Transporte der enteigneten Einrichtungsgegenstände die Grundlage für die internationale Ausrichtung des Bremer Unternehmens“, sagt Bleyl. „Kühne und Nagel hatte quasi das Monopol für den Abtransport aus Westeuropa.“ Ein Sprecher von Kühne und Nagel nannte dies Behauptungen, die unrichtig seien. Weiter äußerte er sich dazu nicht. Professor Frank Bajohr, Leiter des Zentrums für Holocaust-Studien, bestätigt dagegen die „Quasi-Monopolstellung“ des Unternehmens beim Abtransport der Möbel und des Hausrates deportierter und ermordeter Juden.

Ob dies die Basis für den internationalen Erfolg von Kühne und Nagel war, könne er nicht beantworten, da dafür die Informationen fehlten. Das Unternehmen verweigere sich „jeder geschichtswissenschaftlichen Aufarbeitung ihrer Firmengeschichte“, sagt Bajohr. Es stehe „damit in auffallendem Gegensatz zu vielen anderen Großunternehmen, die in den letzten Jahrzehnten Historiker mit der Erforschung ihrer Unternehmensgeschichte beauftragt hatten“.

Erinnerung an gesamtgesellschaftliche Verantwortung

Die „taz“ startete 2016 eine Spendenaktion, um von der Stadt Bremen vier Quadratmeter Grundstück vor dem geplanten Firmenneubau von Kühne und Nagel zu kaufen, um darauf ein Mahnmal zu bauen. Gleichzeitig lobte die Zeitung einen Ideen-Wettbewerb aus. Kühne und Nagel lehnte das Vorhaben ab. Der Senat verwies darauf, dass keine Teilstücke des Grundstücks verkauft werden könnten.

Die Bremische Bürgerschaft beschloss schließlich, dass zwar nicht vor Kühne und Nagel, aber in der Nähe ein Mahnmal entstehen sollte. Erinnert werden sollte an die gesamtgesellschaftliche Verantwortung. „Mit der Realisierung dieses Mahnmals bezieht Bremen Stellung zum damaligen Geschehen, zum massenhaften Unrecht, das jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern vom NS-Staat, den Behörden und Unternehmen seinerzeit zugefügt wurde“, sagt Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD).

62.000 Euro stammen aus Spenden von Privatpersonen

Da seinerzeit neben dem Staat auch Firmen und Privatleute profitierten, werden die Baukosten von rund einer halben Million Euro nicht nur von der öffentlichen Hand übernommen. 62.000 Euro stammen aus Spenden von Privatpersonen. Auch der Verein der Bremer Spediteure will sich am Bau und an einer Ausstellung im Focke-Museum finanziell beteiligen, sagt ein Sprecher des Kulturressorts. „Über die Höhe der Summe laufen die Gespräche“, sagt er.

Kühne und Nagel beteiligt sich nach eigenen Angaben als Mitglied des Vereins an den Kosten. Über die Höhe äußerte sich der Konzernsprecher auf Anfrage nicht. Auch Fragen zur Firmengeschichte in der NS-Zeit und deren Aufarbeitung ließ er unbeantwortet. Er verwies auf eine 2015 veröffentlichte Mitteilung des Unternehmens. Darin heißt es allgemein, Kühne und Nagel sei „im Auftrag der Reichsregierung mit den Transporten von beschlagnahmten Gütern politisch und rassisch Verfolgter befasst“ gewesen. Das Unternehmen sei sich „der schändlichen Vorkommnisse während der Zeit des Dritten Reiches bewusst und bedauert sehr, dass es seine Tätigkeit zum Teil im Auftrag des Nazi-Regimes ausgeübt hat“.

„NS-Staat funktionierte auch als Beute-Gemeinschaft

Bleyl als Initiator des Mahnmals findet es wichtig, nicht nur auf die Rolle von Kühne und Nagel zu verweisen. Die Veräußerung des jüdischen Eigentums habe die Zustimmung der Bevölkerung zum NS-Regime stabilisiert. „Der NS-Staat funktionierte auch als Beute-Gemeinschaft“, sagt Bleyl. In Bremen habe es mehrere Verkaufsorte gegeben für enteignetes Eigentum, unter anderem im Weser-Stadion. Möbel, Besteck oder Geschirr seien von der Bevölkerung gekauft und weitervererbt worden. Bremens Schwesterstadt Bremerhaven falle noch einmal eine besondere Rolle zu, weil von dort Jüdinnen und Juden per Schiff nach Übersee flohen. Ihre Besitztümer durften sie nicht mitnehmen.

Die Dimension der Verwertung geraubten Eigentums sei bisher noch wenig in einem größeren Kontext beleuchtet worden, sagt Oettingshausen. „Ein Mahnmal kann eine Chance sein, hier einen Teil beizutragen.“ Frank Bajohr findet lobende Worte für das Projekt. Eine umfassende Erinnerungskultur dürfe sich nicht darauf beschränken, der Opfer zu gedenken. „Um Lehren für die Zukunft zu ziehen, bedarf es auch eines kritischen Blicks auf das Mitmachen vieler“, sagt der Holocaust-Experte. (dpa/mig) Aktuell Feuilleton

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