„Lampedusa in Hamburg“
Vor zehn Jahren kämpften Flüchtlinge für ihr Bleiberecht
Vor zehn Jahren gelangten mehrere hunderte Flüchtlinge aus Afrika über die italienische Insel Lampedusa nach Hamburg. Viele von ihnen fanden Unterschlupf in der St. Pauli-Kirche und kämpften von dort für eine Aufenthaltserlaubnis.
Von Imke Plesch Donnerstag, 01.06.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 01.06.2023, 13:03 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
„Hallo, guten Abend!“ Haruna Mutari hält einem Paar, das abgehetzt zu spät zur Vorstellung kommt, die schwere Eingangstür des Hamburger Thalia Theaters auf und bittet sie freundlich herein. An ein paar Abenden in der Woche arbeitet der 44-jährige Mann aus Ghana am Einlass des Theaters und begrüßt dort die Besucher. Als er 2012 nach Deutschland kam, war niemand da, der ihn begrüßt hätte.
Doch dann wurde Mutari Teil einer Gruppe von afrikanischen Flüchtlingen, die unter dem Namen „Lampedusa in Hamburg“ bundesweit Aufmerksamkeit bekam für ihren Kampf um ein Bleiberecht in Deutschland. Heute hat sich dieser Wunsch für Haruna Mutari und viele andere erfüllt.
Die Lampedusa-Flüchtlinge stammten aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern und hatten alle in Libyen gearbeitet. Als dort 2011 ein Krieg begann, mussten sie in Schlauchbooten über das Mittelmeer fliehen und landeten auf der italienischen Insel Lampedusa. Die dortigen Behörden schickten sie rasch weiter Richtung Norden.
„Wir wollten zeigen, dass wir viele sind“
Mutari war einer von ihnen. In Hamburg angekommen, lernte er im Winternotprogramm der Stadt weitere Männer kennen, die denselben Weg hinter sich hatten. Sie taten sich zusammen und machten auf sich aufmerksam. „Wir wollten zeigen, dass wir viele sind“, erzählt er.
Mutari, der gelernter Tischler ist, wollte gerne in Hamburg zur Schule gehen. Doch als das Winternotprogramm im April 2013 endete, hatten die etwa 300 bis 400 Lampedusa-Flüchtlinge nicht einmal mehr ein Dach über dem Kopf oder etwas zu essen. Am 2. Juni öffnete ihnen der Pastor der St. Pauli-Kirche, Sieghard Wilm, die Türen seines Gotteshauses. „Ich habe nicht geahnt, was ich damit auslöse. Ich dachte, es ginge um ein oder zwei Nächte, dann würde sich die Stadt schon melden“, erzählt Wilm.
„Es gab eine unglaubliche Welle der Solidarität“
Doch die Stadt versuchte zunächst, die Sache auszusitzen. Mehrere Monate schliefen Mutari und etwa 80 weitere Männer in der Kirche. Der sie umgebende Garten wurde zu einem Ort, an dem die Flüchtlinge ihre Forderungen sichtbar machen und mit der Nachbarschaft ins Gespräch kommen konnten. „Es gab eine unglaubliche Welle der Solidarität in der ganzen Stadt“, erinnert sich Wilm.
Nach zähen Verhandlungen zwischen der Nordkirche und dem Senat machte die Stadt den Männern Ende Oktober das Angebot, ihre Fälle einzeln zu prüfen. Bis zur endgültigen Entscheidung über ihre Aufenthaltserlaubnis durften sie in Hamburg bleiben. „Dieses Angebot war viel substanzieller, als es vielleicht auf den ersten Blick gewirkt hat“, sagt Uwe Giffei, Rechtsberater bei der kirchlichen Beratungsstelle Fluchtpunkt. „Bischöfin Kirsten Fehrs hat damals das Maximale rausgeholt, was rauszuholen war.“
„Lampedusa in Hamburg“
Das Hamburger Angebot habe den Menschen eine wirkliche Perspektive auf einen legalen Aufenthaltsstatus geboten – nach Ansicht von Giffei war das deutschlandweit einzigartig. Trotzdem waren viele Flüchtlinge skeptisch, weil sie sich für eine Aufenthaltserlaubnis für die gesamte Gruppe eingesetzt hatten. Noch heute gibt es Flüchtlinge und Unterstützergruppen, die unter dem Namen „Lampedusa in Hamburg“ für eine gerechtere Flüchtlingspolitik kämpfen.
Etwa 120 Menschen ließen sich auf die Einzelfallprüfung ein. Währenddessen besuchten sie Deutschkurse und fingen an zu arbeiten – weiterhin mit großer Unterstützung aus der Stadtgesellschaft. 100 von ihnen erhielten schließlich einen sicheren Aufenthaltsstatus.
Sein Traum: Wieder als Tischler arbeiten
Auch Haruna Mutari gehört dazu. Heute hat er zwei Kinder, lebt im Osten der Stadt und arbeitet in einem Saatengroßhandel im Hafen. Mit anderen Männern aus der Lampedusa-Gruppe habe er nicht mehr viel zu tun, erzählt er. Doch den Kontakt zum Thalia-Theater, das sich damals sehr engagiert hat, hält er durch seinen Minijob am Einlass ebenso aufrecht wie zur St. Pauli-Kirche, bei der er ab und zu als Küster aushilft.
Am Ende seiner Wünsche ist er aber noch lange nicht. Sein Traum ist es, wieder als Tischler zu arbeiten und selbst noch mehr Menschen in Not helfen zu können. In seinem Heimatland Ghana unterstützt er Bedürftige mit Spenden. Und wenn es in Hamburg kalt wird, kauft Mutari Decken und Schlafsäcke und verteilt sie an Obdachlose. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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