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Präzedenzfall in Thüringen

Rechtsextreme Partei erobert erstes Landratsamt

Die AfD hatte in den vergangenen Wochen dreimal nach einem kommunalen Spitzenamt im Osten gegriffen - im Thüringer Kreis Sonneberg hat es nun geklappt. Die Rechtsextremisten stellen ihren ersten Landrat. Andere Parteien sehen das mit Schrecken.

Von , und Sonntag, 25.06.2023, 21:10 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 20.11.2023, 11:22 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Bundesweit im Umfragehoch und jetzt auch mit einem zählbaren Wahlerfolg: Die rechtspopulistische AfD hat zehn Jahre nach ihrer Gründung erstmals in Deutschland ein kommunales Spitzenamt erobert. Mit 52,8 Prozent gewann ihr Kandidat Robert Sesselmann am Sonntag die Landratswahl im Thüringer Kreis Sonneberg gegen seinen CDU-Konkurrenten Jürgen Köpper, der nur auf 47,2 Prozent kam.

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„Das war erst der Anfang“, schrieb AfD-Chef Tino Chrupalla auf Twitter. „Wir überzeugen Mehrheiten mit unserer Politik für die Interessen der Bürger. So werden wir für Deutschland die Wende zum Guten erreichen.“ Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke sagte, von Sonneberg gehe ein „politisches Wetterleuchten“ aus. Man wolle diesen Schwung mitnehmen für die kommenden Landratswahlen und sich dann auf die Landtagswahlen vorbereiten, wo man ein „politisches Erdbeben“ im Osten erzeugen könne. Kommendes Jahr stehen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg Landtagswahlen an.

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„Denkzettelwahl“

Bei der Präsentation der Wahlergebnisse in Sonneberg waren weder Sesselmann (50) noch Köpper (57) dabei – sie zogen es vor, bei ihren Anhängern zu bleiben. Bei der AfD wurde gefeiert, auf den Tischen lagen Deutschland-Flaggen, überall hingen blaue Ballons. Köpper bezeichnete den Wahlausgang in einer Mitteilung als „enttäuschend“ und sprach von einem schlechten Tag für den Landkreis Sonneberg und für Thüringen.

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Im Landkreis Sonneberg ging es um einen Landrat in einem Landstrich mit wenig Menschen – gerade einmal 57.000 Einwohner und 48.000 Wahlberechtigte hat der Landkreis im Thüringer Wald direkt an der Grenze zu Bayern. Aber die AfD hat nach eigener Lesart Geschichte geschrieben. Das Ergebnis zeigt: Mehrheiten für die systemkritische Protestpartei sind möglich – und das in Thüringen, wo der Landesverband mit seinem Chef Höcke vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestuft und beobachtet wird.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) bezeichnete den AfD-Wahlerfolg als Signal der Unzufriedenheit. „Ich glaube, wir müssen den Geist der deutschen Einheit neu definieren, dass wir die Ostdeutschen mitnehmen und nicht das Gefühl auslösen, dass über sie gelacht wird oder über sie nur geredet wird“, sagte Ramelow am Sonntagabend im ZDF. Die Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang schrieb auf Twitter, die AfD füttere bewusst Ängste. „Sie hat kein Interesse daran, dass es dem Land gut geht.“ Die Politikwissenschaftlerin Sabine Kropp von der Freien Universität Berlin sprach bei MDR aktuell von einer „Denkzettelwahl“.

„Alarmsignal“

Thüringens Innenminister und SPD-Vorsitzender Georg Maier bezeichnete das Wahlergebnis als „Alarmsignal für alle demokratischen Kräfte“. Thüringens CDU-Generalsekretär Christian Herrgott sagte: „Mit dem Wahlergebnis ist klar, dass jetzt wir alle die Aufgabe haben, Lösungen gegen diese Art des Protestes gegen Berlin zu finden.“

Linke, SPD, Grüne und FDP hatten allesamt für den Gegenkandidaten Köpper getrommelt. Bei den bisherigen Anläufen der AfD auf kommunale Spitzenämter in Schwerin und in Brandenburg hatte das noch gezogen. Doch diesmal reichte selbst diese breite Allianz nicht, um den AfD-Mann zu stoppen.

Anscheinend konnte die AfD, die beim Wahlkampf mit Plakaten und Personal klotzte, viele ihrer Anhänger mobilisieren. Die Wahlbeteiligung stieg auf 59,6 Prozent nach 49,1 Prozent im ersten Durchgang.

AfD in Thüringen und Sachsen bei 28%

Im ersten Wahlgang vor zwei Wochen hatte der 50 Jahre alte Sesselmann, derzeit Landtagsabgeordneter und Rechtsanwalt, aus dem Stand 46,7 Prozent geholt. Weil er aber die absolute Mehrheit verfehlte, kam es zur Stichwahl gegen Köpper, der im ersten Wahlgang auf 35,7 Prozent kam. Wahlkampf machte Sesselmann in erster Linie gegen die Ampel-Koalition in Berlin mit Themen, bei denen ein Landrat wenig mitzureden hat – so etwa die Energie- und Flüchtlingspolitik.

Bundesweit liegt die AfD in Umfragen derzeit bei 18 bis 20 Prozent, in den fünf östlichen Bundesländern erzielt sie noch deutlich höhere Werte. In Thüringen sah eine Insa-Umfrage im April die AfD mit 28 Prozent als stärkste Partei vor der Linken mit 22 Prozent. In Sachsen war sie im April mit 28 Prozent bei Insa ebenfalls Nummer eins vor der CDU mit 25 Prozent, in Brandenburg lagen AfD und SPD mit jeweils 24 Prozent gleichauf.

Ist dies nun die Rampe für die Rechte für Wahlsiege auch auf Landesebene? Es ist nicht ausgeschlossen, aber auch längst nicht ausgemacht. Die AfD war bundesweit 2018 schon einmal in einem ähnlichen Umfragehoch, schnitt dann bei der Bundestagswahl 2021 aber mit 10,3 Prozent sogar etwas schlechter ab als vier Jahre zuvor. Als in Sachsen-Anhalt 2021 ein AfD-Sieg drohte, mobilisierte die CDU damit so erfolgreich, dass sie am Ende weit vorne lag.

Bühne für die AfD

Trotzdem könnte dieser AfD-Erfolg ein weiterer Hinweis sein, dass Regierungsmehrheiten immer schwieriger zu finden sein werden. In Thüringen selbst ist dies schon seit Jahren so – Ministerpräsident Ramelow ist mit seiner rot-rot-grünen Minderheitsregierung indirekt von der CDU abhängig.

Die AfD selbst sieht in der Wahl die Chance, ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis zu stellen – wenn auch nur in sehr kleinem Rahmen. Der künftige Landrat Sesselmann wird in dem ländlich und konservativ geprägten Landkreis im südlichsten Zipfel Thüringens eine Bühne haben, zum Beispiel auch für Protest gegen die Unterbringung von Geflüchteten.

Allzu viel Gestaltungsraum hat Sesselmann allerdings nicht. Ein Landrat leitet laut Gesetz das Landratsamt und vollzieht Beschlüsse des Kreistags – das Amt ähnelt oft eher dem eines Geschäftsführers. Der neue Landrat werde nachweisen müssen, dass er bewege, was der Landkreis brauche, sagte Ramelow. „Er führt eine Verwaltung.“ (dpa/mig) Aktuell Politik

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