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Miriam Rosenlehner, Migazin, Portrait, Rassismus, Schriftstellerin, Buch
Miriam Rosenlehner © privat, Zeichnung: MiGAZIN

Ansichten & Aussichten

Caren 2 – Die rassistische Infrastruktur

Die Beteiligten vor Gericht: Caren, eine weiße Frau, und Every, ein Schwarzer Mann. Das Motiv, Rassismus, bleibt unbesprechbar. Zweiter Akt.

Von Mittwoch, 05.07.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 06.08.2023, 14:15 Uhr Lesedauer: 9 Minuten  |  

In der letzten Kolumne habe ich berichtet, wie Caren, eine weiße Frau, Every Blackman, einen Schwarzen Mann, rassistisch beleidigte, körperlich angriff und anschließend zu Unrecht bei der Polizei anzeigte. Wie Every deswegen ein Strafbefehl ausgestellt wurde, obwohl die Aktenlage für ihn sprach. Und wie wir beschlossen, dieses Mal gegen die Ungerechtigkeit anzutreten. Wir hofften, dass wir die Justiz dazu bringen konnten, ihren Irrtum zu erkennen.

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Das muss ein Fehler gewesen sein – oder?

Welchen Anwalt nehmen Sie, wenn es um Rassismus geht? Ich riet Every zu meinem Vertrauensanwalt, der mich und Freunde schon Jahre lang begleitet. Gemeinsam mit dem Anwalt sprachen wir Strategien durch und loteten die Rechtslage aus. Den Strafbefehl hielten wir alle für nicht haltbar. Für unseren Anwalt listete ich die Widersprüche und Lügen in den Aussagen von Caren auf. Ich notierte, wo sie sich selbst widersprach, wo andere Zeugen und der Arzt ihren Angaben widersprachen und welche objektiven Fakten gegen Carens Version sprachen.

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Mich verfolgte das Gefühl, wie leicht es möglich gewesen war, Every zu Unrecht zu bestrafen. Ich musste bei den Vorbereitungen daran denken, dass der Anwalt, dem ich immer vertraut hatte, kleine rassistische Bemerkungen gemacht hatte, als ich ihm den Fall vorstellte. Dass er dachte, wir sollten vor Gericht nicht erwähnen, dass Carens Motiv Rassismus war. Das würde nichts zur Sache tun, so dachte er, und die Lage eher verkomplizieren. Es konnte sein, dass er damit einfach Recht hatte. Es konnte aber auch sein, dass sein eigener unaufgearbeiteter Rassismus ihn hinderte, die Bedeutung des Falls zu erkennen. Er schien Every nicht zu glauben. Der Gerichtstermin war so kurzfristig angesetzt, dass wir einfach keine Zeit hatten, einen neuen Anwalt zu finden. Und wie auch? Es gibt kein Rechtsgebiet Rassismus, das ein passender Anwalt ausweisen könnte. Es ist Glücksache, auf jemanden zu treffen, der damit Erfahrung hat oder überhaupt weiß, dass es etwas zum Thema zu wissen gibt.

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Unsere nervliche Anspannung war hoch. Der Gerichtstermin fand zu einem Zeitpunkt statt, an dem ich arbeiten musste. Ich entschuldigte mich für den Termin bei Every. Er würde an dem Tag von seiner Lebensgefährtin und unserem Anwalt begleitet werden. Ich dachte, ich hätte alles getan, damit wir vorbereitet waren.

„Every sagte ihr, dass er hier sei, weil sein Land einmal deutsche Kolonie gewesen war.“

Nach dem Termin rief mich Everys Lebensgefährtin an. Sie war am Boden zerstört und sagte, sie hätte nicht geglaubt, dass so etwas möglich sei. Die erste Frage der Richterin an Every sei gewesen, warum er nach Deutschland gekommen sei. Every sagte ihr, dass er hier sei, weil sein Land einmal deutsche Kolonie gewesen war. Vermutlich verstand sie das als Angriff, während Every es als Erklärung gemeint hatte. Dann fragte sie, warum Every auf das Verfahren bestand, statt einfach die Strafe zu bezahlen, er sei ja schließlich der Angeklagte. Es wurde schnell klar, dass sie nicht vorhatte, der Sache genauer nachzugehen. Das Anliegen, Gerechtigkeit zu bekommen, schien ihr nicht einzuleuchten – sie glaubte nicht an Everys Unschuld und wollte nicht wissen, dass er zu Unrecht angezeigt worden war und deshalb auf sein Recht bestand.

Caren trat als Zeugin auf. Sie wiederholte ihre Verleumdungen völlig entspannt, sagte aus, dass Kolleginnen vor Every Angst hätten, dass er aggressiv sei – alles Vorurteile, die man als weiße Person leicht glaubt. Hätte man sich die Mühe gemacht, Everys Kolleginnen zu befragen, wäre die Sachlage schnell klargewesen. Aber für die Richterin gab es keinen Zweifel. Der Anwalt intervenierte nicht, wir hatten den falschen. Die Stimmung bei Gericht war feindselig gegen Every und folgerichtig war das Ergebnis die Bestätigung des Strafbefehls.

Im Urteil stand später, die Zeugin Caren sei glaubwürdig, ihre Einlassungen schlüssig gewesen. Schlüssig, obwohl Caren ausgesagt hatte, Every sei in die Küche gekommen, habe unverständliches Zeug zu ihr gesagt und sie dann sofort angegriffen und schwer geschlagen. Ein Motiv für den angeblichen Angriff nannte sie nicht. Vor Gericht schien man das auch nicht für nötig zu halten. Die Aussagen aller anderen Zeugen widersprachen sich in verschiedenen Punkten, insbesondere, was die angeblichen Angriffe betraf. Caren hatte der Polizei etwas anderes erzählt als dem Arzt, der unbeteiligte Zeuge hatte etwas anderes gesehen, als Caren angab. Und trotzdem sah das Gericht eine Körperverletzung gegeben, Everys wesentlich schlüssigere Version zum Sachverhalt wurde im Urteil als unglaubwürdig bewertet.

Trotz Ohnmacht und Scham

Über ein Monat war ins Land gegangen, seit wir vor Gericht diese Niederlage erlitten hatten. Die Situation hatte Auswirkungen auf alle Beteiligten. Als nichtweiße Person hat man Ähnliches oft genug erlebt, um das Ohnmachtsgefühl zumindest zu kennen, das auf das Urteil folgte. Aber Everys weiße Lebensgefährtin kannte das Gefühl noch nicht. Sie konnte monatelang nicht mehr schlafen. Ihr machte zu schaffen, dass sie nach all der Zeit so wenig über die Welt gewusst hatte, in der Every lebte. Wie man in ein und derselben Gesellschaft leben konnte, ohne die Dimension der Unterschiede zu kennen. Neben der Ohnmacht und der Gewissheit, dass das vor einem deutschen Gericht möglich war, mussten wir Geld auftreiben. Wir mussten den Anwalt bezahlen. Die ausgesprochene Strafe würde weitere Tausender kosten. Und wenn wir uns weiter wehren wollten, würden wir auch dafür Geld brauchen.

„Es fühlte sich an, wie gegen einen Riesen anzutreten, aber hinter uns lag der Abgrund.“

Wir beschlossen, trotzdem in Berufung zu gehen. Es fühlte sich an, wie gegen einen Riesen anzutreten, aber hinter uns lag der Abgrund. Wir hatten nicht das Gefühl, dass es eine Option war, zurückzuweichen. Wir glaubten auch nicht, den Fall in der Berufung gewinnen zu können. Unser Zutrauen in die Fähigkeiten des Rechtsstaats, Rassismus zu erkennen, war klein und weiter abnehmend. Trotzdem würde es sich anders anfühlen, wenn wir gekämpft hatten, auch wenn wir verloren.

Wir fanden eine Beratungsstelle für Menschen, die rassistische Gewalt erfahren haben. Dort organisierte man einen Anwalt, der solche Fälle schon verhandelt hatte. Wir beratschlagten: Sollten wir Öffentlichkeit herstellen? Sollten wir Beobachter zu Gericht bitten? Uns war klar, dass das bekannte Lokal, in dem die Prominenz sich gerne ablichten ließ, kein Interesse an einem Skandal hatte. Und ein Skandal war das letzte, das wir haben wollten. Sollten wir uns also an den Arbeitgeber wenden, wenn sich unsere Interessenlagen ja deckten?

Wir entschieden uns gegen Gespräche mit den Arbeitgeber. Denn Every würde nach dem Ende des Verfahrens vermutlich einen neuen Job brauchen. Er würde dann ohnehin weniger verdienen, denn die 20 Jahre Betriebszugehörigkeit würde ihm ein neuer Arbeitgeber nicht vergüten. Every würde in jedem Fall weitere finanzielle Schäden aus dem rassistischen Angriff davontragen. Das bedeutete aber auch, dass wir uns weiter vorsichtig bewegen mussten. Der renommierte Arbeitgeber durfte gar nicht erst die Chance erhalten, Every bei potenziellen neuen Arbeitgebern als Problem darzustellen. Der Mann würde nie mehr einen Job in der Stadt finden, wenn wir öffentlich werden würden.

Während wir beratschlagten, bedankte sich Every bei jeder Gelegenheit für meine Unterstützung. Jedes Mal, wenn ich wieder eine solche Whatsapp erhielt, schämte ich mich. Wir kämpften dagegen, dass wir unsere Bilder voneinander nicht verloren. Es war einfach alles falsch.

Wir sind Caren

Eines Morgens saß ich im Morgengrauen auf der Terrasse und fror, als ich es endlich verstand. Every bedankte sich und ich schämte mich, weil wir nicht verstanden hatten, was passierte. Wir alle dachten, dass wir einen Kampf gegen eine kleine, ältliche weiße Frau führten, die log, und von der unser erster Anwalt gesagt hatte: Sie ist keine Rassistin. Dafür ist sie nicht schlau genug. Wir fühlten uns schwach, weil Caren schlicht nicht unser Niveau war und weil sie dennoch mit Leichtigkeit unser aller Leben aufmischen konnte.

„Caren hatte auf ihrer Seite, dass Rassismus in Deutschland nicht strafbar ist und immer noch oft genug als Meinungsäußerung verstanden wird.“

Wir irrten uns. Caren war nicht der Gegner. Als sie zur Polizei ging, hatte sie eine ganze Gesellschaft im Rücken. Sie hatte die Mehrheit der weißen Mannschaft des Lokals im Rücken, wer nicht für sie war, hatte Angst. Für Caren arbeitete auch, dass Every keine Lobby in dieser Gesellschaft hat. Und die Tatsache, dass, selbst wenn es einen Betriebsrat gäbe, dieser weiß wäre und im besten Fall nicht verstehen würde, was eigentlich passiert war – wie unser Anwalt. Dienlich für Carens Zwecke wirkte sich aus, dass Anwälte nicht vorbereitet sind, Rassismus vor Gericht zu verhandeln. Dass man jederzeit auf Richter:innen treffen kann ohne Ahnung und Ausbildung über Rassismus. Oder mit Vorurteilen, die sie für Lebensweisheiten halten. Caren hatte auf ihrer Seite, dass Rassismus in Deutschland nicht strafbar ist und immer noch oft genug als Meinungsäußerung verstanden wird. Für sie arbeitete, dass die rassistischen Stereotype, die sie über Every verbreitete, von weißen Leuten regelmäßig nicht als Rassismus erkannt werden. Dass Leuten wie Every immer Misstrauen entgegenschlägt, dass es einfach ist, weiße Deutsche glauben zu machen, Every verachte Frauen, sei drogenabhängig und aggressiv. Günstig für Caren wirkte sich auch aus, dass Leute wie Every immer zuerst gefragt werden, wo sie herkommen und warum sie eigentlich hier sind. Dass stets bezweifelt wird, dass sie das Recht haben, hier zu sein, dass von ihnen immer Dankbarkeit erwartet wird. Wenn sie also ihr Recht fordern, wird das generell als Aufstand gewertet. Dass sie stets für faul und unzuverlässig gehalten werden. Dass sie häufiger in prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten und deshalb abhängiger sind. Dass sie kein Geld für diese Kämpfe haben.

Kurz: Every Blackman trat nicht gegen den Nobody Caren an. Wir kämpften darum, in einem Rechtssystem durchzudringen, das dafür nicht gemacht ist. Wir kämpften gegen einen Mechanismus, der Carens unterstützt, wenn sie Verbrechen begehen und Everys immer schuldig und schwach aussehen lässt. Wir kämpften gegen die Struktur Rassismus.

Die Erkenntnis hob meine innere Lähmung auf. Unsere Ziele änderten sich. Es ging nicht mehr nur um Every. Diese Sache geht uns alle an. Jetzt erst recht: Wir würden alle unsere Möglichkeiten ausschöpfen. Und daraus fürs nächste Mal lernen.

Fortsetzung in der nächsten Kolumne.

Meinung

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