„Habe das Vertrauen verloren“
Angehörige fordern vor Ende des U-Ausschusses zu Hanau Konsequenzen
Die Arbeit des Hanau-Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag geht zu Ende. Überlebende und Angehörige der Opfer des rassistischen Anschlags haben auf Aufklärung gedrängt und Behördenversagen angeprangert. Nun fordern sie Konsequenzen.
Von Eva Krafczyk Donnerstag, 06.07.2023, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 06.07.2023, 19:07 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Aufklärung sollte der Untersuchungsausschuss zum rassistischen Anschlag von Hanau bringen, Fehler aufdecken und künftig ausschließen. Ist das gelungen? Einen Tag vor der voraussichtlich letzten öffentlichen Sitzung des Ausschusses haben Angehörige und Überlebende Konsequenzen und Verantwortung gefordert. „Wir haben von Anfang an gesagt, dass Hanau eine Zäsur sein soll – und dazu gehört, dass Verantwortung übernommen wird“, sagte Said Etris Hashemi, dessen Bruder Nesar bei dem Anschlag am 19. Februar 2020 getötet wurde, am Donnerstag in Wiesbaden. Er selbst überlebte die Tat schwerverletzt.
„Wir haben alle großes Vertrauen gehabt und gedacht, dass es in Hanau anders sein wird als bei anderen Anschlägen“, sagte Hashemi über die Erfahrungen mit Ermittlern und Behörden. „Wir haben schnell gemerkt, dass wir gegen verschlossene Türen laufen und die Aufklärung nicht so war, wie wir uns das vorgestellt haben.“ Der Staat habe den Opfern gegenüber eine Bringschuld angesichts einer „Kette des Versagens“.
Umgang der Polizei mit Angehörigen
Im Untersuchungsausschuss, der nicht zuletzt aufgrund der Forderungen der Überlebenden und Angehörigen zustande kam, die auch als erste Zeuginnen und Zeugen angehört wurden, sollte es Antworten auf die vielen Fragen der Familien geben, was in der Tatnacht am 19. Februar 2020 geschah, als ein 43-jähriger Deutscher an zwei Tatorten aus rassistischen Motiven neun Menschen erschoss. Dabei sollte es nicht nur um die Tat selbst gehen, sondern auch das Verhalten der Polizei danach.
Nicolescu Paun, dessen Sohn Vili-Viorel in der Tatnacht dreimal vergeblich versucht hatte, den Polizeinotruf zu wählen, ehe er von dem Täter erschossen wurde, prangerte den Umgang mit den Angehörigen nach dem Anschlag an. Er sei erst am Tag danach über den Tod seines Sohnes informiert worden. „Der Notruf ging ins Leere“, klagte er. Er persönlich könne Fehler wie die nicht vorhandene Notrufweiterleitung nicht akzeptieren.
Zu Fuß zum nächsten Polizeirevier
Eine Sprecherin der „Initiative 19. Februar“ erinnerte daran, dass Polizisten Überlebende des Anschlags zu Fuß zum nächsten Polizeirevier geschickt hätten, obwohl der Täter noch in der Stadt unterwegs gewesen sei. Umgekehrt seien es die Angehörigen und Überlebenden gewesen, die mit ihren eigenen Recherchen – etwa zum verschlossenen Notausgang eines Tatorts – zur Aufklärung beigetragen hätten. „Wir haben Beweise geliefert, auch wenn das nicht unser Job war“, sagte sie. „Wieso ist der Innenminister nicht im Stande, Verantwortung zu übernehmen?“
Am Freitag sind im Untersuchungsausschuss nach der Zeugenvernehmung eines Polizisten zum Umgang mit Überlebenden und Angehörigen der Opfer Fragen an Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) vorgesehen. Angehörige der Opfer und die „Initiative 19. Februar“ haben während der Sitzung des Untersuchungsausschusses zu einer Mahnwache vor dem Landtag aufgerufen. Am Abend ist zudem eine Kundgebung und Demonstration vom Landtag zum Innenministerium geplant. „Ich glaube, es wird ein wegweisender Tag für unser Land und für uns sein“, sagte Hashemi über die Erwartungen an den wohl letzten öffentlichen Sitzungstag.
„Ich habe das Vertrauen verloren“
Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses sollen seit dem Sommer 2021 klären, ob es vor, während und nach der Tat zu Behördenversagen gekommen ist. Für die Angehörigen und Überlebenden war die Begleitung – sei es als Zeuge oder als Zuhörende – sowohl Chance als Herausforderung.
„Das war nicht immer leicht“, sagte Hashemi. „Aber das sind wir den Opfern schuldig.“ Ernüchtert zeigte sich Paun. „Ich habe das Vertrauen verloren“, klagte er. Seine Frau und er lebten seit dem gewaltsamen Tod von Vili-Viorel in einem Alptraum, sagte der Mann, dessen braune Augen die Ratlosigkeit, den Schmerz und die Trauer widerspiegeln. Wird der Abschlussbericht des Ausschusses, wenn er einmal vorliegt, seine Fragen beantworten? Paun zeigte sich trotz allem hoffnungsvoll: „Die Wahrheit wird kommen. Wenn nicht heute, dann in 20 oder 50 Jahren. Aber sie wird kommen.“ (dpa/mig) Leitartikel Panorama
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