Experten-Interview
Christian Lebrenz: Ausländische Pflegekräfte brauchen Starthilfen
Der Arbeitsforscher Christian Lebrenz sieht bei der Vermittlung von Pflegekräften aus dem Ausland noch zahlreiche Defizite. Nach der Ankunft in Deutschland bräuchten die Fachkräfte mehr Unterstützung, sowohl am Arbeitsplatz als auch bei Behördengängen oder der Wohnungssuche, sagte der Wissenschaftler im Gespräch.
Von Charlotte Morgenthal Dienstag, 25.07.2023, 21:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 24.07.2023, 16:52 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Was sind die Vorteile von im Ausland angeworbenen Pflegekräften?
Christian Der scheinbare Vorteil ist, dass die Leute schnell verfügbar sind. Wobei „schnell“ relativ zu sehen ist, weil die deutschen bürokratischen Prozesse der Anerkennung alles andere als schnell und auch sehr mühsam sind. Jede Ausländerbehörde und gefühlt jeder Sachbearbeiter hat eigene Anforderungen und das weicht voneinander ab. In einigen Bundesländern haben wir eine Zentralstelle für die Fachkräfte-Einwanderung.
Welche Voraussetzungen bringen die Pflegekräfte mit?
Die Fachkräfte haben im internationalen Vergleich ein unterschiedliches Verständnis von Pflege. In Deutschland gehört das Waschen, Füttern und das Ankleiden von Patienten dazu. In den meisten anderen Ländern der Welt ist die Ausbildung zur Pflegefachkraft ein Studium, bei dem sich die Pfleger eher als Hilfsärztin oder Hilfsarzt sehen. Sie brauchen sehr lange – wenn es überhaupt klappt – um sich an das deutsche Pflegeverständnis zu gewöhnen.
Wie nehmen die Fachkräfte die Arbeit in Deutschland wahr?
In Deutschland ist der Personalmangel noch größer als in anderen Ländern, das heißt, die Arbeitsbelastung ist auch im internationalen Vergleich recht hoch. Das macht Deutschland als Zielland nicht unbedingt attraktiv.
Was für ein Bild wird den Menschen vermittelt, bevor sie hierherkommen?
Wenn man sich die Vermittlung von ausländischen Pflegekräften anschaut, dann ist das sehr unterschiedlich. Wir sehen einige Agenturen, die machen das sehr vorbildlich und intensiv. Wir sehen aber auch eine ganze Reihe von schwarzen Schafen in der Vermittlung, die weder bei der Sprache noch bei der kulturellen Vorbereitung auf die Arbeitssituation in Deutschland die Leute realistisch aufklären.
Was genau muss passieren, um die Vermittlung erfolgreicher zu gestalten?
Bei der Unterstützung bei Behördengängen als auch bei der Wohnungssuche und der Integration in den neuen Arbeitsplatz gibt es oft Defizite. In vielen Kliniken sehen wir, dass die Mitarbeitenden auf der Station gar nicht richtig vorbereitet werden. Da steht jemand unangekündigt auf der Matte und spricht kaum Deutsch. So jemanden soll man bei allem Zeitdruck jetzt auch noch einarbeiten. Dazu kommen die unterschiedliche Kultur, ein unterschiedliches Hierarchieverständnis und eine andere Art der Kommunikation.
Wie hoch ist der Anteil derjenigen, die zurückgehen?
Ich kenne dazu keine Studien, sondern nur Anekdoten. Wenn man mit Pflegedirektionen spricht, hört man immer wieder, dass von zehn angeworbenen Fachkräften nach zwei Jahren noch drei da sind.
Wie bewerten Sie die Vermittlung durch private Agenturen insgesamt?
Der Arbeitsmarkt ist zu wenig organisiert und strukturiert. Es gibt bislang nur freiwillige Gütesiegel. Manche Agenturen versprechen sowohl den Fachkräften als auch den Einrichtungen sehr viel und halten davon wenig. Die Pflegekräfte zahlen für die Vermittlung auf eine Stelle in Deutschland bis zu 5.000 Euro. Dass sich jemand verschuldet, ist kein Einzelfall. Auch die Krankenhäuser und Kliniken zahlen zum Teil bis zu 10.000 Euro für eine Vermittlung.
Was muss passieren, um diese Umstände zu verändern?
Ich glaube, ein ganz entscheidender Punkt ist die Transparenz. Solange bei den Fachkräften und den Einrichtungen keine Klarheit darüber herrscht, was Marktpreise sind und was man erwarten kann, werden immer Menschen der Versuchung erliegen, diese Grauzonen auszunutzen.
Was machen Sie mit ihrem Projekt in Kenia anders?
Mit unserem Forschungsprojekt wollen wir die einzelnen Aktivitäten und Initiativen so standardisieren und strukturieren, dass nicht jedes Krankenhaus und jede Einrichtung oder private Initiative das Rad neu erfinden muss. In Kenia haben wir ein achtmonatiges Ausbildungsprogramm gestartet. Die 15 Teilnehmer bekommen an einer Hochschule Sprachunterricht, dazu kommt die interkulturelle Vorbereitung und eine fachliche Vorbereitung, damit ihnen später der Einstieg in die Ausbildung in Deutschland leichter fällt. Die angehenden Pflegekräfte müssen die zwei Semester in Kenia selbst bezahlen, können dann aber in Deutschland in eine bezahlte Ausbildung starten.
Was bräuchte es, um die Pflegekräfte in Deutschland gut zu integrieren?
Ideal wären drei Leute: Jemand aus der Einrichtung für die administrativen Dinge, Gleichaltrige vor Ort mit deutschem Hintergrund, um sie zum Beispiel im Volleyballverein einzuführen, und jemand aus dem Herkunftsland, um die deutsche Kultur zu interpretieren. In unserem Projekt haben wir ein Netzwerk von 2.500 afrikanischen Pflegern in Deutschland, sodass jeder Teilnehmer einen „Buddy“ bekommt. So kann dieser sogar in der eigenen Muttersprache Hilfe bei Behördengängen oder dem richtigen Handyvertrag geben.
Woran hakt es nach wie vor?
Der politische Wille ist da, und durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz wurde der Prozess grundsätzlich vereinfacht. Der kritische Faktor ist eher die Umsetzung in der Verwaltung aufgrund der dünnen Personaldecke. Grob überschlagen steckt unsere Gesellschaft knapp 150.000 Euro in die Ausbildung eines Jugendlichen. Da wäre zu überlegen, ob der Staat etwa 10.000 Euro in die Hand nehmen kann, damit die Fachkräfte wirklich gerne aus dem Ausland hierherkommen und auch realistische Chancen haben, sich zu entwickeln. (epd/mig) Aktuell Interview Panorama
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