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Miriam Rosenlehner, Migazin, Portrait, Rassismus, Schriftstellerin, Buch
Miriam Rosenlehner © privat, Zeichnung: MiGAZIN

Ansichten & Aussichten

Caren 3 – Community

Die Kraft von Gemeinschaft. Wie Widerstand gegen Rassismus im Gerichtsprozess gegen Every Blackman schließlich gelang.

Von Sonntag, 06.08.2023, 21:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 06.08.2023, 14:19 Uhr Lesedauer: 9 Minuten  |  

Im ersten Teil von „Caren“ berichtete ich, wie Caren, eine weiße Frau, Every Blackman, einen Schwarzen Mann an ihrem gemeinsamen Arbeitsplatz rassistisch beschimpfte, ihn angriff und anschließend zu Unrecht bei der Polizei anzeigte. Wie die Justiz Every aufgrund der Anzeige einen Strafbefehl ausstellte und wie er beschloss, den Strafbefehl vor Gericht anzufechten, anstatt ihn zu bezahlen.

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Im zweiten Teil geht es darum, wie Every vor Gericht trotz der Beweise nicht geglaubt wurde und welche Wirkung das Unrecht auf alle Beteiligten hatte. Und wie Every sich trotzdem dafür entschied, weiter Widerstand leisten. Wir gingen in Berufung, die letzte Instanz, die uns rechtlich zur Verfügung stand.

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Im folgenden dritten Teil geht es darum, wie wir die Berufung vorbereiteten, durchstanden und was wir daraus gelernt haben.

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Hindernisse

Es folgten Wochen und Monate, in denen Every und Caren weiter im selben Betrieb arbeiteten. Ihre Dienstpläne wurden getrennt, sie sollten sich nicht mehr begegnen. Kurz vor der Berufungsverhandlung rückte Every heraus, dass er nach dem ersten Urteil von seinem Arbeitgeber wegen des Vorfalls abgemahnt worden war. Ich war wütend. Wenn wir den Arbeitgeber dazu bringen wollten, die ungerechtfertigte Abmahnung zurückzunehmen, würden wir noch mehr Zeit, Geld und Energie investieren müssen. Aber in all diesen Ressourcen waren wir begrenzt.

Es war um Weihnachten, Hochsaison im Lokal und Every arbeitete 10 Tage am Stück. Dienstpläne sind nicht verhandelbar, aber Every musste für die Vorbereitungen zu mehreren Anwaltsterminen erscheinen und Termine mit der Beratungsstelle wahrnehmen. Er musste Entscheidungen treffen: Durfte ich weitere Leute ins Boot holen? Gerechtigkeit ist ein Luxus, für den man Zeit und Geld braucht.

Ich sprach mit Interessenvertretern der Schwarzen Minderheit in Deutschland, schrieb mit einer Beratungsstelle. Allmählich wurde die Befassung mit dem Unheil zu einem Fall. Ich konnte es besser ertragen, auch Every und seine Lebensgefährtin schienen den Kopf über Wasser zu bekommen. Was blieb: Viel Arbeit und die Androhung, viel Geld zu verlieren.

Community

Der Gerichtstermin rückte näher. Diesmal waren wir vorbereitet. Wir hatten in der Community um Unterstützung gebeten, einige PoC (People of Color) und Verbündete hatten zugesagt, als Beobachter bei Gericht zu erscheinen. Wir hatten einen weißen Anwalt mit Vorerfahrung beim Thema Rassismus. Wir hatten eine Beratungsstelle und engagierte Berater, die am Gerichtstag ebenfalls dabei sein würden.

An einem grauen Vormittag trafen wir uns alle vor dem Gericht. Einige der Unterstützer sah ich zum ersten Mal, wir hatten vorher nur geschrieben, telefoniert und getextet. Nun stand eine Handvoll Menschen vor dem Gericht, Schwarze und weiße Leute, die die Verhandlung beobachten wollten. Als wir immer mehr Menschen wurden, schien das riesige, ehrfurchteinflößende Gerichtsgebäude zu schrumpfen. Es hätte ein schwerer Tag sein müssen, aber als wir alle, Every in unserer Mitte, die Stufen zum Amtszimmer hinaufstiegen, fühlte es sich nicht mehr so an.

Wir warteten vor dem Zimmer, als Caren ankam. Sie blieb irritiert stehen, beobachtete stirnrunzelnd den Raum voller Menschen. Dann wurden die Türen des Verhandlungsraums geöffnet. Caren wäre gerne in der Menge untergetaucht, sie wollte mit uns zu den Zuschauerbänken, aber ein Mitarbeiter hielt sie auf. Sie war als Zeugin geladen und als solche würde sie nur aufgerufen werden, falls man ihre Aussage zur Aufklärung des Sachverhalts brauchte. Um sicherzustellen, dass Zeug:innen nicht aussagen, was gut zum Prozess passt, sondern die Wahrheit, dürfen sie den Gerichtssaal nur für ihre Aussage betreten. Wir Beobachtenden nahmen auf den Bänken Platz. Every musste uns in seinem Rücken spüren. Laptops wurden aufgeklappt, Stifte gezückt und Schreibkladden geöffnet. Erwartungsvolle Blicke richteten sich auf die Richterin und die Beisitzer.

Während der Verhandlung notierten die Beobachtenden jedes Wort, das gesprochen wurde. Der Anwalt benutzte tatsächlich, wenn auch verschämt und mit Abmilderungen, das Wort „Rassismus“. Das Gericht stellte fest, dass Unterlagen aus der Akte fehlten – die Akte war also vom ersten Verfahren nicht vollständig beim Landgericht angekommen.

Ein Kollege von Every wurde als Zeuge gehört. Er sagte wichtige Details aus, zum Beispiel, dass er mit Caren bereits länger im Aufenthaltsraum gesessen habe, bevor Every hinzukam. Das ist so ein Detail, das vieles aufklärt. Denn Caren hatte ja behauptet, Every habe sie im Flur direkt vor dem Aufenthaltsraum brutal verprügelt und getreten. Wäre das tatsächlich so gewesen, würde es bedeuten, dass der Zeuge diesen Vorgang direkt vor der offenen Türe des Aufenthaltsraums nicht mitbekommen hatte und auch, dass Caren sich sofort nach diesem Angriff in aller Ruhe in den Aufenthaltsraum gesetzt hätte, um mit dem Zeugen ein entspanntes Schwätzchen zu halten. Das war unwahrscheinlich. Endlich war die Glaubwürdigkeit von Caren erschüttert. Ihre Aussage war nun nicht mehr nötig.

Danach verständigte sich das Gericht schnell mit dem Anwalt. Das Verfahren wurde gegen Auflage eingestellt. Damit erkannte das Gericht an, dass Zweifel an dem zur Last gelegten Sachverhalt bestanden. Ihn aufzuklären hätte weitere Maßnahmen nach sich gezogen und so verlor das Gericht sozusagen das Interesse an der Angelegenheit. Every musste keine Strafe bezahlen, sondern eine Gebühr. Die beträgt etwa ein Drittel dessen, was als Strafe vorgesehen war und wird an eine gemeinwohlorientierte Einrichtung entrichtet.

Caren saß derweil vor der Tür und wartete. Als wir gingen, erklärte ihr der Mitarbeiter gerade, wo sie ihre Zeugenentschädigung beantragen konnte.

Der Anwalt erklärte uns die Rechtsfigur, die das Ergebnis des Verfahrens war, dann verabschiedete er sich. Wir hatten einen mittleren Sieg errungen. Carens Geschichte war als unwahr entlarvt, auch wenn die Einstellung des Verfahrens kein wirklich faires Ergebnis war. Es fühlte sich trotzdem an, als hätten wir etwas zu feiern. In der Nähe gab es ein Kaffee, von dem wir wussten, dass es keine Probleme gab, wenn wir mit 10 Nichtweißen Leuten dort hingehen würden. Wir feierten bei Cappuccino und Nussecken. Schnell war klar, dass Every den Betrag für die Gerichtsgebühr nicht selbst aufbringen würde müssen. Verschiedene Ideen wurden diskutiert, aber bereits 3 Wochen nach dem Termin war die Auflage vollständig bezahlt, jeder, der konnte, steuerte bei.

An diesem Morgen im Café fühlten wir uns alle getragen von Gemeinschaft. Mir wurde klar, dass ich die Kraft von Community völlig unterschätzt hatte. Was wir gemeinsam erreicht hatten, hätten wir alleine nicht gekonnt. Jeder gezückte Stift und jede leise klickende Laptoptastatur in dieser Verhandlung hatten dafür gesorgt, dass alle Entscheider aufmerksam waren. Dass wir das mit diesem Aufwand hatten tun müssen, ist falsch. Es wäre seltener nötig, wenn die Justiz in Rassismuskritik geschult wäre. Aber das heißt eben trotzdem nicht, dass wir völlig ausgeliefert sind. Widerstand ist möglich.

Mehr noch als das Ergebnis war wichtig, was diese Community für Every und für alle Beteiligten bedeutete. Wie wir gemeinsam das Unheil in Heiterkeit bei Kaffee und Süßigkeiten auflösten, wie wir wieder begannen unserer Wahrnehmung zu trauen, weil wir viele waren. Die Selbstverständlichkeit, mit der Unrecht vor Gericht möglich war, bevor wir alle zusammen diesen Weg gegangen waren, sie existierte nicht mehr. Die Selbstverständlichkeit, mit Rassismus durchzukommen war an diesem Morgen für alle Anwesenden erschüttert worden. Sowohl für das Gericht als auch für Caren und insbesondere für uns. Wir sind nicht allein und das verändert alles.

Lessons learnt

Das Ende des Prozesses ist kein gerechtes Ergebnis. Wenn wir nur über Geld reden, bleibt, dass Every Gebühren zahlt, während Caren eine Zeugenentschädigung bekommt. Für etwas, das Gerechtigkeit näherkäme, müssten wir Caren wegen Verleumdung und Falschaussage anzeigen. Wir müssten den Arbeitgeber dazu bringen, die Abmahnung zurückzunehmen. Im Prinzip ist das möglich, gerade nach dem, was im Gericht gesprochen wurde. Aber Every denkt im Moment nicht daran, diese Schritte zu tun. Es würde einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten und, wie das sicher oft der Fall ist, wir haben im Moment keine Lust, noch mehr unserer wertvollen Zeit in die Energievernichtungsmaschine Rassismus zu stecken. Stattdessen haben wir unsere Lektionen überdacht und gelernt. Every hat jetzt eine Rechtsschutzversicherung. Das haben wir außerdem gelernt:

Wir sprechen nicht ohne Anwalt.

„Zum Sachverhalt möchte ich mich nicht äußern“ lautet der Satz, den wir nächstes Mal sagen. Weiter gibt es nichts zu sagen, nicht mal über das Wetter. Keine Angaben bei der Polizei ohne Anwalt, auch keine Unterschrift auf irgendeinem Schriftstück ohne Anwalt. Das Recht zu schweigen ist nicht für Schuldige gemacht, sondern für Angeschuldigte und das aus gutem Grund.

Wir sind vorbereitet.

Wer nicht weiß ist, ist besser auf solche Angriffe wie den von Caren vorbereitet. Aber wie macht man das? Jedenfalls braucht man eine Rechtschutzversicherung, die auch Strafrecht abdeckt und einen Anwalt, der schonmal von Rassismus gehört hat. Da es kein Zertifikat gibt, an dem man einen solchen Anwalt erkennen kann, würden wir nächstes Mal Anwälte recherchieren, die keinen deutschen Namen haben. Wir würden googeln, welche Fälle sie verhandelt haben. Und wir würden gezielt beim ersten Gespräch nachfragen. Vielleicht macht es Sinn, einen solchen Anwalt bereits präventiv zu suchen, damit man weiß, wo man anrufen muss, wenn der Fall eintritt. Gut ist auch, zu wissen, welche Organisationen bei Fällen mit Rassismusbezug helfen. Dabei würde ich eher auf solche zurückgreifen, die nichtstaatlich sind, also freie Initiativen statt einer Antidiskriminierungsstelle.

Wir geben nicht Kleinbei.

In Everys Fall haben wir viel Zeit damit verbracht, zu überlegen, mit wem wir sprechen und bei wem wir alles schweigen müssen, weil diese Leute Macht über uns haben.

Ich schlage für das nächste Mal die genau gegenteilige Strategie vor. Denn Schweigen hat nicht dazu geführt, dass wir friedlich leben konnten. Schweigen führte zu fortgesetztem Stress und ermutigte Angreifer. Wer von Rassismus z.B. am Arbeitsplatz betroffen ist, sollte die Ereignisse deshalb aufschreiben. Was ist wann passiert? Wer war beteiligt? Wer war Zeuge? Wie war der Wortlaut? Genauigkeit ist dabei wichtig. Solche Protokolle sind bei Gericht ein Argument.

Vorgesetzte, die man informiert, wenn man gemobbt oder rassistisch belästigt wird, sind häufig nicht bereit, zu helfen. Sie werden einen vielleicht gaslighten und sagen, dass das nicht schlimm oder nicht so gemeint war. Auch das würde ich im Wortlaut aufschreiben. Man kann den Vorgesetzten bitten, den Sachverhalt und seine Einschätzung darüber zu quittieren. Wenn das nicht gewünscht wird, würde ich das ebenfalls notieren.

Wir sind nicht allein.

Community ist so viel stärker, als wir dachten. Wir lernen deshalb weiter, über Rassismus zu reden. Wir lernen, das Schweigen aufzugeben und dass wir nicht allein sind. Gerade wenn es sich am härtesten anfühlt, ist Gemeinschaft ein Teil der Lösung. Wir brauchen Leute, die in unserem Rücken sitzen, wenn es nötig ist und von denen wir wissen, dass sie uns den Rücken stärken. Und nicht zuletzt: Wir sind die Gemeinschaft. Bleiben wir aufmerksam, wann und wie wir andere unterstützen können.

Zum ersten Teil von „Caren“

Meinung

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