Studie
Mehrheit verneint NS-Täterschaft der Familie
Rheinland-Pfalz lässt die Auseinandersetzung von Familien mit dem Nationalsozialismus erforschen. Erste Ergebnisse des Forschungsprojekts liegen jetzt vor: Die meisten verneinen eine Täterschaft ihrer Vorfahren, einige möchten nichts dazu wissen.
Mittwoch, 16.08.2023, 19:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 16.08.2023, 13:40 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Knapp 70 Prozent der in einer Online-Studie befragten Rheinland-Pfälzer wissen über die Rolle ihrer Vorfahren im Zweiten Weltkrieg Bescheid. Dieses Zwischenergebnis eines Anfang des Jahres begonnenen Forschungsprojekts teilte der Landtag am Freitag in Mainz mit. Er ist Auftraggeber der Studie von der Universität und Hochschule Koblenz in Kooperation mit der Touro University Berlin.
Rund 60 Prozent der Befragten bestätigen danach, dass ihre Verwandten damals aktiv für die Deutschen kämpften. „Je älter die Befragten, desto größer wird die Wichtigkeit der Shoah für die eigene Familie und für die eigene Zukunft bewertet“, heißt es in der Mitteilung des Landtags.
Dritte und vierte Generation im Fokus
Fast 450 Rheinland-Pfälzer hätten bei der Online-Befragung mitgemacht, etwas mehr als die Zielmarke von rund 400. Die Befragung läuft aber weiter und habe nach Darstellung der Uni Koblenz „weitgehende Repräsentativität“ erreicht.
Der Landtag lässt die Auseinandersetzung von Familien mit und ohne Migrationshintergrund erforschen. Im Fokus stehen dabei die dritte und vierte Generation nach dem Nationalsozialismus. Das Projekt ist Teil des Themenschwerpunkts „Erinnerungskultur“ des Landtags. Die Endergebnisse sollen Anfang 2024 vorgestellt werden.
Mehrheit verneint Täterschaft ihrer Vorfahren
Hintergrund sind unter anderem Ergebnisse einer Studie von 2020 im Auftrag des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld. Darin verneinen fast 68 Prozent, dass ihre Vorfahren unter den Tätern während der NS-Zeit waren. Mehr als die Hälfte der Befragten verneint, dass ihre Vorfahren Mitläufer waren.
„Einige Menschen möchten nichts von der Rolle ihrer Vorfahren im Nationalsozialismus wissen und haben offensichtlich einen Schutzwall des Nicht-Wissens gebildet“, sagte Landtagspräsident Hendrik Hering laut Mitteilung am Freitag. „Ich erachte es jedoch als unsere Verantwortung, Risse in diesen Schutzwall zu bringen und Erzählungen zu hinterfragen.“ Zugleich gebe es aus den nachkommenden Generationen das Bestreben, die Spuren der Vorfahren wieder aufzunehmen. „Dies ist eine Chance, Erinnerungs- und Gedenkkultur in einer heute heterogenen Gesellschaft begreifbar zu machen und nachvollziehbar zu erhalten.“
Bedeutung der Shoah
Bei der Frage nach der Wichtigkeit der Shoah für die eigene Familie und die eigene Zukunft antworteten knapp 60 Prozent der 60- bis 84-jährigen Rheinland-Pfälzer, das Thema sei „wichtig“ oder „sehr wichtig“. In der Altersgruppe der der 36- bis 59-Jährigen waren es nur rund 37 Prozent. Die geringste Zustimmung findet sich bei den 10- bis 35-Jährigen.
Die Forscher erarbeiteten zunächst mit einem Online-Fragebogen ein Stimmungsbild zu dem Thema. Dabei machten von Januar bis Anfang April 446 Rheinland-Pfälzer mit. Darauf aufbauend sollen bis September auch noch Familien im städtischen und ländlichen Raum zu ihren „Familiennarrativen“ befragt werden. „In den bisherigen Erzählungen gibt die interviewte Kriegsgeneration an, dass sie während des Krieges nichts von den Vernichtungslagern und dem Tötungssystem der Nationalsozialisten wusste“, erläutert Peter-Erwin Jansen von der Hochschule Koblenz. (dpa/mig) Aktuell Gesellschaft
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