Deutschlands China-Strategie
Kimiko Suda: China kratzt am deutschen kolonialen Selbstbild
Im Juli stellte Annalena Baerbock die sogenannte China-Strategie vor, die für Wirtschaft und Politik Leitlinien bestimmt. Betroffen sind davon aber auch Chines:innen, die in Deutschland studieren, forschen oder arbeiten wollen, genauso wie Chinesisch-Deutsche Communitys hier.
Von Rosa Fava Dienstag, 03.10.2023, 19:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 03.10.2023, 12:57 Uhr Lesedauer: 11 Minuten |
Rosa Fava: Was ist die „China-Strategie“ der Bundesregierung?
Dr. Kimiko Suda ist Soziologin/Sinologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Verbundstudie „Institutionen und Rassismus“ am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. Zu ihren Schwerpunkten gehören Migration und soziale Ungleichheit im chinesischen und deutschen Kontext, (antiasiatischer) Rassismus, transnationale (süd)ostasiatische Diaspora und Selbstrepräsentation sowie dekoloniale/antirassistische Erinnerungskultur.
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Kimiko Suda: Die offizielle Benennung politischer Leitlinien im Umgang mit der VR China, orientiert an der China-Strategie der US-Regierung. Es ist ein Versuch, sich als strategisch positioniert, als vorausschauend und auf internationale Entwicklungen gut vorbereitet, und proaktiv darzustellen. Die Themen der „China-Strategie“ sind dabei nicht neu. Es geht an erster Stelle um die Sicherung der Interessen des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Auch wenn Annalena Baerbock immer wieder die Menschenrechtslage in China und die Unterschiede hinsichtlich der „Werte“ der Bundesrepublik und der Volksrepublik erwähnt, geht es primär um den wirtschaftspolitischen Aspekt, nämlich dass deutsche Unternehmen ohne Risiken und Verluste in China einkaufen, investieren, produzieren und ihre Produkte auf dem chinesischen Markt verkaufen können.
Das Verhältnis zu China wird durch drei Schlagworte bestimmt: Partner, Wettbewerber, systemischer Rivale.
„Partner“ bezieht sich eindeutig auf wirtschaftliche Kooperation: China ist ein großer potentiell wachsender Markt, beispielsweise sollen deutsche Autos dort verkauft werden, aber auch andere Produkte. Und chinesische Unternehmen sind wichtige Partner als Lieferanten beispielsweise von spezifischen Mineralien für die Halbleiter-, Telekommunikations- und Elektrofahrzeugindustrie und von Medikamenten-Wirkstoffen. Es hat sich teilweise, wie die Pandemie gezeigt hat, eine eher einseitige Abhängigkeit Deutschlands entwickelt. Auf diese Form der „Partnerschaft“ mit China ist man auch zukünftig weiter angewiesen.
Gleichzeitig stehen China und Deutschland, beispielsweise hinsichtlich der Entwicklung und des transnationalen Verkaufs von Produkten im Bereich Elektromobilität, im starken Wettbewerb. Auch beim Erschließen von neuen Märkten im transnationalen Kontext, beispielsweise im Kontext von Infrastrukturprojekten, sei es in Südostasien oder auch Afrika, ist China Konkurrenz für Deutschland.
„Offiziell gibt sich die Außenministerin mit der „China-Strategie“ menschenrechts- und wertebetont aber wie die politische Praxis aussehen wird, bleibt unklar.“
Der Begriff „systemischer Rivale“ ist komplexer: Da geht es um die postulierte symbolische Überlegenheit der „westlichen Demokratie“ gegenüber dem chinesischen System – in China selbst wird vom „Sozialismus chinesischer Prägung im neuen Zeitalter“ gesprochen – und um die globale Ebene geopolitischer und militärischer Allianzen. Inwiefern wirtschaftspolitische Kooperationen und geopolitische/militärische Kooperationen mit sogenannten „Wertepartnern“ sich zukünftig mehrheitlich überschneiden oder eher parallel verlaufen werden, bleibt offen. Für Deutschland steht an erster Stelle die Partnerschaft mit den USA und deren „Wertepartner“, aber angesichts geopolitischer Veränderungen und neuer Spannungen, wie sie nach dem Beginn von Russlands Krieg offenbar wurden, setzt Deutschland mit der „China-Strategie“ nun offiziell auch stärker auf Europa, um sein Verhältnis zu China zu bestimmen. Die deutsche „China-Strategie“, so wird von Baerbock betont, funktioniere nur als Teil einer europäischen Strategie.
Offiziell gibt sich die Außenministerin mit der „China-Strategie“ menschenrechts- und wertebetont aber wie die politische Praxis aussehen wird, bleibt unklar. Bei dem Panel im Anschluss an die Vorstellung der China-Strategie bei MERICS am 13.Juli, fand die Anwältin und Unternehmensberaterin Dr. Stricker-Kellerer ehrlichere Worte: „Wir wollen China nicht ändern und wir wollen China nicht belehren“, es gehe stattdessen darum, weiterhin wirtschaftlich zusammenzuarbeiten.
Andere Schlagworte sind „De-Risking“ und „kein De-Coupling“.
Beim Ansatz des „De-Risking“, fand auch eine Orientierung an den USA statt. Im deutschen Kontext wird immer wieder auf die Kooperation mit dem chinesischen Konzern Huawei hinsichtlich der Installation von 5G-Internettechnologie und die Übernahme eines Teils des Hamburger Hafens durch Cosco Shipping, im Kontext von sogenannter kritischer Infrastruktur hingewiesen. Der Verdacht der wirtschaftlichen, aber auch militärischen Spionage gegenüber Chines:innen steht bereits seit einigen Jahren im Raum, zwar nicht in dem extremen Ausmaß wie in den USA, aber zunehmend mehr. Trotz dieses Verdachts bleibt die Sicherung des Wirtschaftsstandort Deutschlands Priorität und daher wird „De-risking“ nie ohne die Betonung der Fortsetzung der Kooperation (kein De-Coupling!) im Rahmen der China-Strategie angesprochen. Gleichzeitig wurde betont, dass Deutschland bereits andere globale Partnerschaften und Märkte im Blick habe, beispielsweise Brasilien und den südamerikanischen Markt. China sei jedoch auch wegen der erforderlichen Zusammenarbeit in Sachen Klimakrise ein bleibender Partner.
Welcher Blick auf China spiegelt sich im Strategiepapier?
„Jetzt setzt sich langsam die Einsicht durch, dass China insbesondere hinsichtlich bestimmter technologischer Aspekte am „Überholen“ ist. Das kratzt am deutschen (kolonialen) Selbstbild.“
Vorherrschend ist das Bild einer nicht einschätzbaren und nicht kontrollierbaren wirtschaftlich und geopolitisch bedeutsamen Militärmacht. Hinsichtlich der Bereitschaft, sich global militärisch zu engagieren, galt von China aus bislang das Prinzip der Nichteinmischung. Inwiefern sich das im Kontext der wirtschaftspolitischen und allgemein politischen Spannungen mit den USA und angesichts des Kriegs von Russland gegen die Ukraine graduell verändert haben könnte, kann ich nicht einschätzen. Es gibt aber einen gewissen Bruch in der deutschen Wahrnehmung Chinas. Lange Zeit hat man gedacht: Das Land holt als „Schwellenland“ nach wie vor „westliche Entwicklungen“ in Bezug auf Modernisierung, Technologisierung, Urbanisierung etc. nach und braucht dringend „Know-How“ und „gute Ratschläge“ aus Europa. Jetzt setzt sich langsam die Einsicht durch, dass China insbesondere hinsichtlich bestimmter technologischer Aspekte am „Überholen“ ist. Das kratzt am deutschen (kolonialen) Selbstbild. Und da auf wirtschaftlicher und technischer Ebene keine unhinterfragbare Überlegenheit Deutschlands mehr besteht, ist letztendlich noch das politische System übrig, um undifferenziert Überlegenheit zu suggerieren. Damit meine ich nicht, dass es nicht grundsätzlich wichtig ist, institutionelle Repression und konkrete Menschenrechtsverletzungen anzusprechen, problematisch ist, dass beispielsweise auch bei der Veröffentlichung der China-Strategie so gesprochen wird, als wären Deutschland und auch die USA allgemein völlig frei von Menschenrechtsverletzungen, Korruption etc. und seien auf allen Ebenen moralisch überlegen. Und ob dann konkret Unterstützung für Personen in China erfolgen wird, die von staatlicher Repression betroffen sind, bleibt völlig offen.
Es kursiert bereits seit einigen Jahren auch die Vorstellung „jetzt kommen Massen von Investor:innen aus China und kaufen alles auf“, die einen Vorläufer in den 1980er Jahren hat: Damals galt Japan durch seine Auslandsinvestitionen als Bedrohung, vor der man sich wappnen müsse, es gab Anklänge an das alte kolonialrassistische Schlagwort der „Gelben Gefahr“. Aber Japan ist ein kleines Land mit vergleichsweise wenig Wirtschaftskraft und als Verlierer im Zweiten Weltkrieg galt es als politisch und militärisch abhängig von den USA und somit als deren „Wertepartner“. Und ein großer Unterschied ist natürlich die „Systemfrage“, China als offiziell sozialistisches Land, da ist die Abgrenzung und Stilisierung als Feind leichter. Wenn US-amerikanische oder skandinavische Unternehmen in Deutschland investieren, gibt es keine vergleichbare Konstruktion eines Feindbilds der „fremden Horden“, die alles an sich reißen wollen.
Sie haben die „gelbe Gefahr“ erwähnt, was ist das?
„In der Kolonialzeit entstand das Sprechen über China und Chines:innen als ‚gelbe Gefahr‘, das Bild einer Masse an ‚gelben‘ Körpern, die allein schon aufgrund ihrer großen Anzahl eine Bedrohung für Europa darstellten.“
In der Kolonialzeit entstand das Sprechen über China und Chines:innen als „gelbe Gefahr“, das Bild einer Masse an „gelben“ Körpern, die allein schon aufgrund ihrer großen Anzahl eine Bedrohung für Europa darstellten. Insgesamt steht im Blick auf China oft die Masse an Menschen, die dabei entindividualisiert und nicht als Subjekte gesehen werden, im Zentrum. Es gibt im Bereich der Popkultur die Figur des Fu Manchu, die aus England kommt, und im Grunde die „gelbe Gefahr“ personifiziert: Ein superintelligenter Bösewicht, der mit hinterhältigen Aktionen und barbarischen Methoden versucht, die Welt zu erobern und die Herrschaft auf illegitime Art und Weise an sich zu reißen. Der erste Film über ihn wurde 1929 veröffentlicht. Auch in Deutschland war „Fu Manchu“ durch Bücher und als Fernsehserie erfolgreich. Der Bart von Fu Manchu wurde zum filmischen Stereotyp für asiatische Bösewichte. Diese Narrative bestimmen das Bild von „Chinesen“: Man kann ihnen nicht trauen, sie sind zwar intelligent, dabei aber strategisch auf die eigenen Ziele und die Schädigung anderer bedacht. Da gibt es Überschneidungen zum Antisemitismus. Man kann auch ihre Gesichter nicht lesen, sie lächeln vielleicht, aber hecken etwas Böses aus, so ein häufiger Topos im Film.
Historisch betrachtet gibt es viele und auch ambivalente Bilder von China oder auch Asien. Welche sind heute wieder oder immer noch virulent?
„Im Kontext der Kolonie wurde beispielsweise viel über ‚Hygiene‘ und ‚Ordnung‘ gesprochen und es wurden Narrative entwickelt, die in der Corona-Pandemie aktualisiert wurden.“
Anknüpfend an den real existierenden Kommunismus gab es neben dem Feindbild des „roten China“ in linken Kreisen damals auch positive Bilder und Zuschreibungen: China oder Vietnam als Projektionsflächen für emanzipatorische Utopien. Je nach Kontext gibt es sehr unterschiedliche Bilder. Beispielsweise ist inzwischen mehr bekannt, dass es Juden:Jüdinnen gab, die in der Zeit des Nationalsozialismus nach Shanghai geflohen sind, kaum jemand weiß, dass auch Harbin in Nordchina ein Zufluchtsort war. Noch wenig Sichtbarkeit hat die Geschichte der deutschen Kolonie „Kiautschou“ bisher im Allgemeinwissen über China. Aus dieser Zeit stammen viele kolonialrassistische Ideen und Erzählungen über China. Im Kontext der Kolonie wurde beispielsweise viel über „Hygiene“ und „Ordnung“ gesprochen und es wurden Narrative entwickelt, die in der Corona-Pandemie aktualisiert wurden: Beispielsweise ging es um Essenspraktiken und damit verbunden die Verbreitung von Krankheiten. Dann gab es im 19. Jahrhundert eine gewisse „China-Mode“ und die Anerkennung als „hoher kultureller Zivilisation“ und reiche Europäer:innen haben „Chinaporzellan“ gesammelt, und sich für chinesische Kunst und Kultur interessiert. China galt als Land wichtiger Erfindungen, Papier und Schwarzpulver als Stichworte. Buddhismus war eine Zeit lang in Deutschland in esoterisch-alternativen Kreisen und als Thema für die Dekoration von Spa-Hotels sehr beliebt, und auch in die Popkultur sind Narrative über China eingegangen. Insgesamt ging es aber selten um tatsächliches Wissen und eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den Perspektiven und Diskussionen chinesischer Intellektueller und chinesischer Geschichte, sondern mehr um Exotisierung und Othering. Ein wirkmächtiges Bild ist das von Chines:innen als fleißigen und anspruchslosen Arbeiter:innen, als „Arbeiterameisen“, das bereits kursierte, als in Preußen überlegt wurde, kostensparend Arbeiter aus China anzuwerben, und das heute auch noch unter dem Begriff „Vorzeigemigrant:innen“ oder Model-Minority existiert.
Gibt es hier in chinesisch-deutschen Communities einen Diskurs über die Chinastrategie?
„Es wird für Chines:innen schwieriger, Kontakte und Freundschaften zu knüpfen, weil sie gemieden werden, weil sie ‚eine Gefahr‘ sein könnten, Spion:innen sein könnten. Oder weil sich der Rassismus hinter diesen scheinbar rationalen Gründen verstecken kann.“
Tatsächlich kann ich wenig zu den neusten Entwicklungen nach der Publikation der China-Strategie sagen, aber einige Entwicklungen, die während der Pandemie deutlich wurden, setzen sich vermutlich fort. Die Menschen nehmen ein immer größeres Misstrauen gegen sich wahr, konkret in der Pandemie wurden sie als Überträger:innen des Virus gesehen. In den letzten gut zwanzig Jahren war schon die Industriespionage Thema, jetzt sehen sich Chines:innen dem Verdacht der politischen Spionage ausgesetzt, sie werden quasi als Verkörperungen des ideologischen Systemrivalen angesehen. Das hat ganz konkrete Auswirkungen, zum Beispiel, dass bestimmte Universitäten keine Bewerbungen aus China für Promotionsprogramme mehr annehmen oder Firmen sich zweimal überlegen, ob sie Arbeitskräfte aus China einstellen. Das ist keine gesetzliche Norm wie der Chinese Exclusion Act in den USA im 19. Jahrhundert, sondern eine informelle Praxis, die aber konkret Ausschluss produziert. In der Wissenschaft gibt es die Diskussion, keine Forschungskooperationen mit chinesischen Universitäten mehr einzugehen und nicht mehr in beiden Ländern vor Ort gemeinsam zu arbeiten. Das ist fatal, wenn bereits Kooperationen mit chinesischen Universitäten bestehen, deren Aufbau mehrere Jahre gekostet hat, und man weiß, das sind verlässliche und kritische Personen, und somit wertvolle Kooperationspartner. Wenn man nicht mehr vor Ort sein kann, verliert man auch den Kontakt zur chinesischen Bevölkerung und erfährt nicht mehr, was sich vor Ort abspielt, sondern ist auf die offiziellen Quellen zurückgeworfen. Auch von Menschenrechtsverletzungen erfährt man weniger. So gehen wichtige Beziehungen in den Bereichen Bildung und Forschung verloren, alles begründet mit der Systemrivalität und Gefahr der Spionage.
Wie wird sich die China-Strategie auf die Angehörigen chinesischer und chinesisch-deutscher Communities in Deutschland auswirken?
Es werden weniger Menschen nach Deutschland kommen können, um zu studieren oder zu promovieren. Das ist, neben Arbeitsverträgen, einer der wenigen Wege, nach Deutschland zu kommen. Joint Venture Projekte werden weniger werden. Das sind eher unsichtbare und schleichende Prozesse, nicht wie in der Pandemie, als Menschen auf der Straße bespuckt wurden. Es wird für Chines:innen schwieriger, Kontakte und Freundschaften zu knüpfen, weil sie gemieden werden, weil sie „eine Gefahr“ sein könnten, Spion:innen sein könnten. Oder weil sich der Rassismus hinter diesen scheinbar rationalen Gründen verstecken kann. Aktuell Interview Panorama
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