Arte-Dokuserie
Erschütternde Parallelen: US-Flüchtlingspolitik der 1930er und heute
Wozu eine restriktive Flüchtlingspolitik im schlimmsten Fall führen kann, zeigt eine TV-Dokumentation aus den USA. Sie zeichnet die Abschottung der Vereinigten Staaten in den 1930er Jahren und die Konsequenzen für die europäischen Juden nach. Parallelen zur aktuellen Flüchtlingssituation sind unübersehbar.
Von Christoph Driessen Sonntag, 15.10.2023, 18:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 15.10.2023, 15:28 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
In „Indiana Jones“ und vielen anderen Hollywood-Produktionen werden deutsche Nazis immer noch gerne als ultimative Bösewichte gecastet. Doch von Hitlers Machtübernahme 1933 und bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 fiel in der kalifornischen Traumfabrik kein kritisches Wort über das Hakenkreuz-Regime. Das Deutsche Reich war als Exportmarkt für US-Filme zu lukrativ, und Propagandaminister Joseph Goebbels ließ jeden Film sperren, der sein Missfallen erregte. Eine Zeit lang hatte der deutsche Vize-Konsul in Los Angeles sogar die Vollmacht, Drehbücher noch vor Beginn der Produktion abzulehnen.
Die Dokumentationsreihe „Die USA und der Holocaust“ ist gespickt mit solchen Informationen. In Verbindung mit vielfach unveröffentlichtem oder kaum bekanntem Filmmaterial wird die Miniserie zu einem ebenso fesselnden wie bedrückenden TV-Erlebnis. Co-Regisseur und -Produzent ist der vielfach ausgezeichnete Dokumentarfilmer Ken Burns, der seine Landsleute seit langem mit unangenehmen Aspekten ihrer Geschichte konfrontiert. Am Dienstag und am Mittwoch (17. und 18.10.23, jeweils um 20.15 Uhr) ist die Serie auf Arte zu sehen, wobei die ursprünglich drei Teile in sechs Folgen unterteilt sind.
Es kann nicht genug betont werden, dass es neben der Sowjetunion in erster Linie die USA gewesen sind, die Hitler-Deutschland unter großen Opfern militärisch niedergerungen und damit auch die vollständige Ermordung aller europäischen Juden verhindert haben. Daneben gibt es aber eben auch eine weniger rühmliche Geschichte zu erzählen: Zwar haben die USA vor dem Krieg 225.000 jüdische Flüchtlinge vor dem NS-Terror aufgenommen und damit mehr als jedes andere Land. Für zahllose andere aber blieben die Tore zur Freiheit verschlossen.
„Amerika muss amerikanisch bleiben“
Noch bis Ende des 19. Jahrhunderts hatten die USA eine Politik der offenen Grenzen praktiziert. Diese endete jedoch, als sich der Schwerpunkt der Zuwanderung allmählich von Großbritannien, Irland, Deutschland und Skandinavien auf Süd- und Osteuropa verlagerte. „Amerika muss amerikanisch bleiben“, hieß es nun. Die Einwanderungsgesetze wurden immer restriktiver und begünstigten über ein striktes Quotensystem einseitig Protestanten aus Nordeuropa.
Wie in den meisten Ländern war Antisemitismus auch in den USA weit verbreitet. Dazu kamen in den 30er Jahren infolge der Weltwirtschaftskrise Massenarbeitslosigkeit und Armut. Die vorhandenen Gelder, so hieß es, würden benötigt, um die eigene Bevölkerung zu versorgen. Gegen die Verfolgung der deutschen Juden gab es seit 1933 zwar große Demonstrationen in mehreren amerikanischen Städten, doch die Aufnahmequoten wurden nicht angepasst. Nur wenn amerikanische Staatsbürger mit enormen Geldbeträgen für einen jüdischen Flüchtling bürgten, hatte dieser eine Chance.
Kein US-Hafen für Flüchtlingsschiff „St. Louis“
Im Sommer 1939 wiesen die USA und Kanada sogar die „St. Louis“ der Hamburg-Amerika-Linie mit 900 jüdischen Flüchtlingen an Bord zurück. Eine NS-Zeitschrift höhnte: „Wir sagen offen, dass wir die Juden nicht wollen, während die Demokratien immer wieder behaupten, sie seien bereit, sie aufzunehmen – und dann die Gäste im Regen stehen lassen.“
Einer, der sich vergeblich um eine Ausreise seiner Familie in die USA bemühte, war der aus Frankfurt am Main nach Amsterdam ausgewichene Otto Frank, der Vater von Anne Frank. Insbesondere der Diplomat Breckinridge Long, der im US-Außenministerium die Abteilung für Einwanderungsvisa leitete, torpedierte durch rigorose Ablehnung die Rettung zahlloser Menschen.
Parallelen zur aktuellen Flüchtlingssituation
Eine der bewegendsten Szenen aus der Dokumentation ist eine Schilderung des 1930 in Bad Kreuznach geborenen Joseph Hilsenrath, der das Glück hatte, nach einer jahrelangen Odyssee 1941 in den USA Aufnahme zu finden. Als alter Mann beschreibt er nun vor der Kamera unter Tränen den magischen Moment, in dem sich die Nebel lichteten und die Freiheitsstatue über den Wassern aufstieg. „Es war einfach unfassbar. Und dieses Gefühl hat mich nie verlassen. Ich begriff, dass ich mir keine Sorgen mehr machen musste, getötet zu werden, was ja ein Teil deines Wesens geworden war. Jetzt wusste ich, du wirst leben und alt werden können. Ein Leben haben.“
Trotz aller Unterschiede sind Parallelen zur aktuellen Flüchtlingssituation unübersehbar. So stimmen die Begründungen, mit denen heutige Asylsuchende abgewiesen werden – „Keine Kapazitäten mehr“, „Die Bevölkerung akzeptiert das nicht“ -, zum Teil wörtlich mit jenen aus den 1930er Jahren überein. (dpa/mig) Aktuell Feuilleton
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