Bildung-Studie
Jeder dritte Neuntklässler scheitert an Deutsch-Mindeststandards
Wieder bescheinigt eine Bildungsstudie Schülern schlechte Leistungen: Neuntklässler schwächeln zunehmend im Fach Deutsch. Besser werden sie in Englisch. Das liegt wohl am zunehmenden Konsum von Videos in der Originalsprache - oder am höheren Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund?
Von Jörg Ratzsch Dienstag, 17.10.2023, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 17.10.2023, 17:07 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die Deutsch-Leistungen von Neuntklässlern haben sich einer Studie zufolge bedenklich verschlechtert. Etwa jeder Dritte scheiterte im vergangenen Jahr bei deutschlandweiten Tests an Mindeststandards für den mittleren Schulabschluss (MSA) im Bereich Lese- und Hörverständnis, mehr als jeder Fünfte verfehlte diese im Bereich Rechtschreibung. Das geht aus dem IQB-Bildungstrend hervor, der am Freitag zum Abschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) in Berlin vorgelegt wurde.
In der Studie wird einschränkend darauf hingewiesen, dass die getesteten Neuntklässler noch ein Jahr Zeit haben, um die MSA-Standards zu erreichen. Der mittlere Schulabschluss wird in der Regel am Ende der zehnten Klasse erworben. Dennoch stieg im Vergleich zur Vorgängeruntersuchung im Jahr 2015 der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit entsprechend großen Problemen im Bereich Lesen und Rechtschreibung jeweils um rund 9 Prozentpunkte, im Bereich Zuhören/Hörverständnis sogar um 16 Prozentpunkte. Einziger Lichtblick: Im Fach Englisch werden Jugendliche laut der Untersuchung besser.
Ergebnisse „in hohem Maße besorgniserregend“
Die Ergebnisse bestätigen einen schon länger anhaltenden und viel diskutierten Trend: Mit den Leistungen in Kernfächern geht es bergab. Im vergangenen Jahr zeigten das die schlechten Testergebnisse bei Viertklässlern in Mathe- und Deutsch. Nun wird bei den Neuntklässlern deutlich, dass sie zunehmend Probleme mit Textverständnis und Schrift haben.
Die Studienautoren vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) nennen die Entwicklung „in hohem Maße besorgniserregend“. Allerdings stellt die Studie auch erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern fest. Bayern und Sachsen schneiden demnach besser ab, Berlin, Bremen und Nordrhein-Westfalen schwächer.
Mögliche Ursache: Corona-Einschränkungen an Schulen
Eine Ursache könnten die Corona-Schutzmaßnahmen sein, die in großem Stil Schulen betrafen. Es sei davon auszugehen, „dass der Fern- und Wechselunterricht, der bundesweit über längere Zeiträume umgesetzt wurde, die ungünstigen Entwicklungen im Fach Deutsch in nicht unerheblichem Maße mit verursacht hat“, heißt es in der Studie. Die Neuntklässler, die im vergangenen Jahr getestet wurden, waren zum Beginn der Pandemie 2020 in der siebten Klasse. Der Ausnahmezustand mit Schließungen und Wechselunterricht dauerte mit Unterbrechungen mehr als ein Jahr an.
Nach einer Berechnung der OECD war der reguläre Unterricht zwischen Frühjahr 2020 und Frühjahr 2021 im Schnitt an mehr als 180 Tagen gestört. Im darauffolgenden Winter kam es zwar zu keinen flächendeckenden Schließungen mehr, aber zu weiteren Ausfällen wegen vieler Infektionsfälle.
38 Prozent der Neuntklässler mit Zuwanderungshintergrund
Als weitere mögliche Ursache für die Ergebnisse im IQB-Bildungstrend nennen die Forscher den weiter gestiegenen Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund. Dieser habe sich bundesweit seit dem Jahr 2009 um rund 11 Prozentpunkte „signifikant“ erhöht. Demnach haben 38 Prozent der Neuntklässler entweder Eltern, die nicht in Deutschland geboren wurden oder sind selbst im Ausland geboren. Im Fach Deutsch seien zwar alle Jugendlichen, auch die ohne Zuwanderungshintergrund, von negativen Trends betroffen. Neuntklässler mit Zuwanderungshintergrund erreichten aber „signifikant geringere Kompetenzen“.
Besser Englisch mit Tiktok und Youtube?
Im Gegensatz zu den Deutsch-Ergebnissen sind die im Fach Englisch „äußerst erfreulich“, heißt es. Neuntklässler seien im Jahr 2022 deutlich besser in der Lage, schriftliche Texte und gesprochene Sprache in Englisch zu verstehen als 13 Jahre zuvor.
Der Anteil derjenigen, die hier die MSA-Mindeststandards verfehlten sank im Lese- und Hörverstehen um jeweils 3 Prozentpunkte auf 24 und 14 Prozent. Es könnte an Tiktok, Youtube und Streamingdiensten liegen. Die Nutzung digitaler Medien, die während Corona zugenommen habe, finde vermutlich häufig in englischer Sprache statt, schreiben die Autoren und sprechen von „außerschulischen Lerngelegenheiten“.
Weitere Ergebnisse des IQB-Bildungstrends:
- Mädchen schneiden in allen untersuchten Bereichen in Deutsch und Englisch besser ab als Jungen.
- Schüler aus Familien mit einem „höheren sozioökonomischen Status“ erreichen im Schnitt höhere Kompetenzwerte, ebenso Schüler aus Haushalten, in denen es viele Bücher gibt.
- Neuntklässler sind überwiegend sehr zufrieden mit ihrer Schule und fühlen sich mehrheitlich gut in ihrer Klasse integriert.
- Viele Jugendliche haben ein geringes Interesse am Fach Deutsch, Englisch steht auch nicht besonders hoch im Kurs, ist aber beliebter als Deutsch.
Mehr als 30 000 Schüler getestet
Beim IQB-Bildungstrend wird regelmäßig in großflächigen Tests überprüft, inwieweit Schülerinnen und Schüler die Bildungsstandards der KMK erfüllen. In diesen ist festgelegt, was Schüler können sollten, wenn sie eine bestimmte Bildungsetappe abgeschlossen haben.
Mehr als 30.000 Neuntklässler an mehr als 1.500 Schulen im Land mussten in der vorliegenden Testserie Aufgaben in Deutsch und Englisch lösen – in einigen Bundesländern auch Französisch. Sie bekamen schriftliche Texte und Hörtexte und mussten danach inhaltliche Fragen beantworten, um zu prüfen, wie gut sie die Texte verstanden haben. Die Rechtschreibung wurde mit kurzen Diktaten geprüft. Zusätzlich bekamen Schüler, Eltern und Lehrer Fragebögen zur Situation ihrer Familien und zu Lernbedingungen. Es war die dritte Erhebung dieser Art nach 2015 und 2009. Getestet wurde zwischen April und Juli 2022. Schulen und Klassen wurden repräsentativ ausgewählt. (dpa/mig) Aktuell Panorama
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