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Flüchtlingspolitik

Diskussion über Asylverfahren in Drittstaaten

Über die Forderung, Asylersuchen in Staaten außerhalb der EU zu prüfen, gab es beim Treffen von Scholz mit den Ministerpräsidenten Streit. Der ist auch jetzt noch nicht verebbt. Nicht nur in der Politik gehen die Meinungen dazu auseinander.

Donnerstag, 09.11.2023, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 09.11.2023, 14:09 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) hält Asylverfahren in sogenannten sicheren Drittstaaten generell für möglich, allerdings nur unter eng gefassten Bedingungen. UNHCR-Botschafterin Cate Blanchett hingegen warnt vor den Folgen. Migrationsforscher Gerald Knaus wiederum sieht in solchen Verfahren außerhalb der Europäischen Union einen gangbaren Weg. Grüne und Pro Asyl halten dagegen.

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Das UNHCR vertrete seit langem den Standpunkt, dass Rückführungen oder Überstellungen in solche Staaten nur dann als angemessen angesehen werden könnten, wenn diese Länder die Rechte aus der Genfer Flüchtlingskonvention und die menschenrechtlichen Verpflichtungen in vollem Umfang respektierten, hieß es in einer Stellungnahme des UNHCR in Deutschland vom Mittwoch. Außerdem müsse eine entsprechende Vereinbarung mit einem solchen Staat dazu beitragen, „die Verantwortung für Flüchtlinge fair unter den Staaten zu teilen, anstatt sie zu verlagern“.

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Die Vertreterin des UNHCR in Deutschland, Katharina Lumpp, betonte, nach dem Flüchtlingsvölkerrecht liege die „primäre Verantwortung“ für die Prüfung von Asylanträgen sowie die Gewährung von internationalem Schutz bei dem Staat, in dem ein Asylsuchender ankommt und um Schutz ersucht. Durch eine Bearbeitung dieses Schutzersuchens außerhalb der eigenen Staatsgrenzen werde diese Verpflichtung nicht berührt.

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Cate Blanchett kritisiert Auslagerung

UNHCR-Botschafterin und Schauspielerin Cate Blanchett hingegen warnte bei einer Rede im Europaparlament von den Folgen einer möglichen Auslagerung von Asylverfahren. Als Australierin wolle sie den EU-Abgeordneten sagen, ihr Land habe die „menschlichen Kosten einer schädlichen Politik wie der Auslagerung auf die harte Tour gelernt“, sagte Blanchett am Mittwoch in Brüssel. Australien verfolgt eine Abschreckungspolitik. Asylbewerber werden teilweise in Lager nach Papua-Neuguinea und Nauru gebracht, wo ihre Asylanträge bearbeitet werden.

Diese Politik habe „verheerende körperliche und seelische Folgen“ nicht nur für die Flüchtlinge, sondern auch für jene, die solche Verfahren organisieren müssten, erklärte die 54-jährige Blanchett. Es seien Milliarden von Steuergeldern für einen inzwischen „diskreditierten und weitgehend aufgegebenen Ansatz verschwendet“ worden. Viele Australier empfänden heute „Scham und Bedauern“ wegen dieser unmenschlichen Politik empfinden.

Blanchett rief die EU dazu auf, im Angesicht von 114 Millionen Vertriebenen weltweit an einer menschlichen Asyl- und Migrationspolitik festzuhalten. 69 Prozent der Menschen blieben ohnehin in ihren Nachbarländern, die oft trotz großer Armut sehr großzügig seien. „Ich möchte hier den verbreiteten Mythos beilegen, dass alle nach Europa wollen“, sagte Blanchett. Sie bat darum, den Schutz von Flüchtlingen und Migranten ins Zentrum zu stellen und nicht die Abschottung.

Bundesregierung prüft Asylverfahren außerhalb Europas

Die Bundesregierung will prüfen, ob Asylverfahren außerhalb Europas möglich sind. Geprüft werden soll konkret, ob die Feststellung des Schutzstatus‘ von Geflüchteten unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention zukünftig auch in Transit- oder Drittstaaten erfolgen kann. Darauf hatten sich die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Regierungschefs der Länder am Montagabend verständigt.

Bremen, Niedersachsen und Thüringen hatten allerdings in einer Protokollerklärung zu dem Beschluss darauf hingewiesen, dass aus ihrer Sicht „für eine Feststellung des Schutzstatus außerhalb des Gebietes der EU nur Länder in Frage kommen, in die sich die Schutzsuchenden freiwillig begeben haben“. Überprüft werden soll die Rechtmäßigkeit von Asylverfahren in Drittstaaten nach Angaben eines Sprechers vom Bundesinnenministerium.

Pro Asyl: Kaum umsetzbar

Die rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, Wiebke Judith, wandte sich dagegen, dass geprüft werden soll, ob Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb Europas ausgelagert werden könnten. „Aus unserer Sicht ist das ein Irrweg, der die konkreten Herausforderungen in den Kommunen nicht lösen wird, dem rechtliche Bedenken entgegenstehen und der realistisch kaum umsetzbar sein wird, insbesondere nicht ohne gravierende Menschenrechtsverletzungen“, sagte Judith dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Diese Staaten könnten auch ihre „Türsteher-Rolle für Europa“ ausnutzen: „Eventuell wird sich also auch von den Regierungen, mit denen verhandelt wird, das Schweigen über Menschenrechtsverletzungen in dem Drittstaat erkauft.“

Migrationsforscher Knaus sieht Asylverfahren außerhalb Europas als einen möglichen wichtigen Baustein zur Begrenzung der sogenannten „irregulärer Migration“ – gemeint sind Geflüchtete, die mangels legaler Fluchtwege Grenzen ohne gültige Einreisedokumente passieren. Es brauche jetzt ein europäisches Pilotprojekt, sagte er der Deutschen Presse-Agentur und fügte hinzu: „Die EU-Kommission könnte vorschlagen: Alle, die in den nächsten zwei Jahren über das zentrale Mittelmeer kommen, kann Italien in einen sicheren Drittstaat schicken.“

Wagenknecht offen für Asylverfahren in Drittstaaten

Offen für Asylverfahren in Drittstaaten zeigte sich auch die frühere Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht. Sie halte es für sinnvoll, „wenn man in Drittstaaten, die als sichere Drittstaaten gelten, Asylverfahren macht“, sagte sie am Dienstagabend in der ARD-Sendung „Maischberger“. Auf die Frage, ob solche Verfahren auch in Afrika möglich sein sollten, sagte sie: „Ja, natürlich auch in Afrika. Wer wirklich Asylanspruch hat, der sollte einen sicheren und legalen Weg nach Europa haben. Wer keinen Asylanspruch hat, der sollte keinen haben.“

Einschränkend sagte Wagenknecht, Afrika werde immer genannt, dabei sei die Wahrheit, dass die meisten Asylbewerber zurzeit aus Syrien kämen. „Da nützt es nichts, wenn man sichere Verfahren in Ruanda macht. Das ist ja auch ein bisschen am Thema vorbei.“ Die Menschen könnten nicht alle nach Deutschland kommen. „Wir sollten auch etwas dafür tun, dass bei ihnen zu Hause auch wieder Perspektiven entstehen.“

Grüne bezweifeln Rechtmäßigkeit

Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang und die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg (Grüne), halten dagegen. Asylverfahren in Transit- und Drittländern außerhalb der EU seien unvereinbar mit internationalen Konventionen. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie das rechtlich mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Genfer Flüchtlingskonvention vereinbar ist“, sagte Lang im RTL/ntv-„Frühstart“ am Mittwoch. Das Grundrecht auf Asyl gelte weiterhin in Deutschland, ergänzte Amtsberg am Donnerstag im Deutschlandfunk, „allen öffentlich geführten, sehr hitzigen und manchmal auch unsachlichen Debatten zum Trotz“.

Lang erteilte vor allem dem sogenannten Ruanda-Modell, bei dem Geflüchtete für ihr Asylverfahren in Drittstaaten ausgeflogen werden, eine Absage: „Was für uns klar ist – eine Form ‚Ruanda-Modell‘, das lehnen wir ganz klar ab.“ Jeder Vorschlag, der geprüft und der am Ende umgesetzt werde, „muss dem europäischen Recht entsprechen – und das tut das Ruanda-Modell klar nicht“. Sie könne sich auch wenig vorstellen, dass man einen Staat finden werde, in dem solche Verfahren praktisch umsetzbar wären.

Asylpakt zwischen Italien und Georgien

Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni und Albaniens Regierungschef Edi Rama hatten am Montag eine Absichtserklärung zur Errichtung von zwei Zentren zur Aufnahme von im Mittelmeer geretteten Migranten in Albanien unterzeichnet. Menschen, die von Schiffen der italienischen Behörden gerettet werden, sollen nach Albanien gebracht werden, um dort ihr Asylverfahren zu durchlaufen. Nur Menschen, deren Asylantrag bewilligt wird, sollen dann nach Italien gebracht werden.

Die Zahl neuer Asylsuchender in Deutschland hat im Oktober mit 31.887 den höchsten Wert seit 2016 erreicht. Im September 2016 war die Zahl der Erstanträge mit mehr als 70.000 letztmals höher als im zurückliegenden Oktober, sagte ein Sprecher des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Nürnberg. Seit Jahresbeginn wurden laut Bamf 267.384 Erstanträge auf Asyl gestellt. Die Zahl liegt weit unter den Werten aus den Jahren 2015 und 2016.(dpa/epd/mig) Aktuell Panorama

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