NS-Raubkunst
„Viel geredet, aber wenig restituiert“
In den „Washingtoner Prinzipien“ wurde vor 25 Jahren vereinbart, NS-Raubkunst zu identifizieren und faire Lösungen mit den Eigentümern zu finden. Passiert ist zu wenig, sagt Experte Mahlo.
Von Dorothee Baer-Bogenschütz Montag, 11.12.2023, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 11.12.2023, 12:10 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Verlorene Akten, ungeklärte Besitz- und Verwandtschaftsverhältnisse, vertuschte Sachverhalte, verwischte Spuren: Die Liste der Hürden ist lang, die die Rückgabe von NS-Raubkunst an ihre rechtmäßigen jüdischen Eigentümer und deren Erben und Erbinnen behindern können. Provenienzforscher haben eine Schlüsselstellung. Sie arbeiten an einem Puzzle, dessen Teile mitunter über den Erdball verstreut sind.
Rund 600.000 Kunstwerke wurden Schätzungen zufolge ihren zumeist jüdischen Besitzern zur Zeit des Nationalsozialismus entwendet. Sie wurden gestohlen, beschlagnahmt oder mussten von den Verfolgten unter Zwang verkauft werden. Vor 25 Jahren, am 3. Dezember 1998, einigten sich jüdische Opferverbände und mehr als 40 Staaten auf die „Washingtoner Prinzipien“ zum Umgang mit dieser Kunst: Die Werke sollten identifiziert, Museumsbestände überprüft werden. Mit den Eigentümern oder ihren Erben sollten „gerechte und faire“ Lösungen gefunden werden.
Vielen Opfern des Nationalsozialismus oder ihren Nachfahren war es nicht mehr möglich, ihre Ansprüche geltend zu machen oder sie konnten sie nicht durchsetzen. Ab Mitte der 1970er Jahre galten Rechtsansprüche in Deutschland als juristisch verjährt. In dieser Situation standen die „Washingtoner Prinzipien“ für ein neues Bewusstsein für den Diebstahl von jüdischem Besitz und bekräftigten das Ziel der Rückgabe. Doch noch immer kann es Jahre bis Jahrzehnte dauern, die Herkunft zu klären und Ansprüche zweifelsfrei zu ermitteln.
Ernüchterung nach 25 Jahren
Was sagen Experten 25 Jahre danach zur Wirkung der „Washingtoner Prinzipien“? Ernüchtert gibt sich die in Berlin ansässige Claims Conference. Zwar kann deren Repräsentant für Europa, Rüdiger Mahlo, Erfolge im Zuge der Washingtoner Konferenz benennen: In Deutschland wurden die „Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts“ gegründet und das „Deutsche Zentrum Kulturgutverluste“ (DZK) mit der Lost-Art-Datenbank als der bedeutendsten unter mehreren Forschungsdatenbanken. Doch die Anzahl der Projekte zur Erforschung der Provenienz von NS-Raubkunst, die an rund 7.000 Museen in Deutschland „laufen oder gelaufen sind“, sei „erschütternd niedrig“.
Nicht alle Museen führten die systematische Forschung ganz oben auf ihrer Agenda, sagt auch Lena Grundhuber, Sprecherin der DZK mit Sitz in Magdeburg, einer Stiftung bürgerlichen Rechts.
Langer Atem nötig
Provenienzforschung erfordere langen Atem: „Immer noch gibt es Museumsbestände, die nicht systematisch untersucht werden konnten.“ Gleichwohl habe die Provenienzforschung in öffentlichen Museen sowie Bibliotheken in den vergangenen 10 bis 15 Jahren „bemerkenswerte Fortschritte gemacht“, sei in großen Häusern angekommen sowie in technischen Sammlungen oder Heimatmuseen. Positiv sieht Grundhuber, dass einzelne Museen über die „unverzichtbare Förderung“ durch das DZK hinaus selbst entsprechende Untersuchungen finanzierten, während Länder und große Kommunen Koordinierungsstellen einrichteten.
Dagegen liege das Feld des privaten Kunstbesitzes praktisch brach. Grundhuber: „Privatsammler zeigen wenig Bereitschaft, die Herkunft ihrer Werke untersuchen zu lassen.“ Das DZK-Förderangebot werde nur in Einzelfällen angenommen. Dabei schlössen die Washingtoner Prinzipien den privaten Sektor und den Kunsthandel ein, sagt Mahlo.
„Viel geredet, wenig restituiert“
Henrik Hanstein ist Präsident des Europäischen Versteigererverbandes und sieht das anders: „Die Prinzipien richten sich an die Staaten.“ Für Privatleute könnten sie nicht gelten, hier müsse der deutsche Staat einen wirtschaftlichen Ausgleich schaffen. Dieser sei „Verursacher“, ergänzt Wolfgang Henze, Kurator des „Ernst Ludwig Kirchner Archiv zum Gesamtwerk + Archiv Stuttgarter Kunstkabinett Roman Norbert Ketterer“, wo zwischen 1947 und 1962 mehr als 40.000 Werke der besonders betroffenen und heute hochpreisigen Expressionisten versteigert worden seien.
„80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird viel geredet, aber wenig restituiert“, resümiert Mahlo. Nicht nur er fordert daher ein Restitutionsgesetz. In Österreich gibt es ein „Kunstrückgabegesetz“. In Deutschland soll die 2003 gegründete „Beratende Kommission“ bei Differenzen über die Rückgabe vermitteln. Sie kann aber nur rechtlich unverbindliche Empfehlungen geben – bisher waren es 23. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth (Grüne) versprach im Sommer eine Reform des Gremiums und kündigte an, Hürden für die Rückgabe von NS-Raubkunst abzubauen. (epd/mig) Aktuell Feuilleton
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