Lob und scharfe Kritik
EU einigt sich auf Asylverschärfungen
Bei einer Marathonverhandlung über die EU-Asylreform haben Staaten, Parlament und Kommission einen „Durchbruch“ erzielt. Die Einigung sieht massive Verschärfungen im Asylrecht vor. Es hagelt Kritik. Experte befürchtet Moria-Verhältnisse.
Mittwoch, 20.12.2023, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 20.12.2023, 16:25 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
EU-Staaten, Parlament und Kommission haben in einem Verhandlungsmarathon eine Einigung bei der europäischen Asylreform erreicht. Das teilten das EU-Parlament und der Rat der EU am Mittwoch in Brüssel mit. Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) soll Migration in die EU begrenzen und steuern. Der Kompromiss gilt als politische Einigung. Rat und Parlament müssen diesem noch formal zustimmen.
Im Kern geht es um einheitliche Verfahren, schnellere Abschiebungen und mehr Solidarität unter den EU-Staaten. Über viele der Vorschläge streitet die EU bereits seit 2016, ausgelöst durch die Migrationskrise 2015.
Baerbock: Konnten uns nicht durchsetzen
„Die Bürger der EU verlangen von ihren Regierungen, mit der Herausforderung der Migration umzugehen, und der heutige Tag markiert einen großen Schritt in diese Richtung“, erklärte der spanische Innenminister Fernando Grande-Marlaska Gómez am Mittwoch stellvertretend für die EU-Staaten. Spanien hält derzeit den Vorsitz im Rat der EU, dem Gremium der Mitgliedsstaaten. Auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begrüßte den Kompromiss.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nannte die Einigung „überfällig“. Zugleich räumte sie ein, dass sich Deutschland in den Verhandlungen zu Ausnahmen von Kindern und Familien aus den Grenzverfahren nicht habe durchsetzen können. „Zur Wahrheit gehört: Jede Einigung in Brüssel ist auch immer ein Kompromiss“, sagte Baerbock in Berlin. Deutschland werde bei der Umsetzung des neuen Asylsystems darauf achten, „dass es fair, geordnet und solidarisch zugeht“.
Grüne und Linke kritisieren scharf
Europaabgeordnete der Grünen und der Linken kritisierten den Kompromiss scharf. Die Einigung sei „die massivste Verschärfung des Europäischen Asyl- und Migrationsrecht seit Gründung der EU“ und ein „Kniefall vor den Rechtspopulisten in der EU“, erklärte Cornelia Ernst (Linke). Das individuelle Recht auf Asyl sei de facto tot. In wesentlichen Punkten habe das Parlament den Mitgliedsstaaten nachgegeben.
Ein zentrales Element der Reform ist, dass ankommende Asylbewerber mit geringer Bleibechance schneller und direkt von der EU-Außengrenze abgeschoben werden sollen. Dahinter stehen die sogenannten Grenzverfahren. Haben Menschen eine Staatsangehörigkeit, deren Anerkennungsquote für Asyl bei unter 20 Prozent liegt, sollen sie an der Grenze festgehalten werden. Ihr Anspruch auf Asyl soll dann in einem Schnellverfahren geprüft werden. Wer keine Aussicht auf Asyl hat, soll direkt abgeschoben werden. „Künftig werden Asylsuchende an der Grenze inhaftiert, auch bei Familien mit Kindern aller Altersstufen soll das möglich sein“, erläuterte Ernst.
Umstrittene Dublin-Regel bleibt
Ein weiterer Baustein ist die Krisenverordnung. Sie regelt, wie EU-Staaten bei einem besonders starken Anstieg der Migration verfahren können. Ankommende dürfen dann zum Beispiel länger an der Grenze festgehalten werden. Deutschland hatte das aufgrund humanitärer Bedenken lange abgelehnt. Die Regelung sei „ein Blankoscheck für die Aussetzung praktisch aller Rechte Schutzsuchender und ein Freibrief für Pushbacks“, kritisierte Ernst.
An dem Grundsatz, dass der EU-Staat für einen Asylbewerber zuständig ist, in dem dieser angekommen ist (Dublin-Regeln), ändert die Reform nichts. Ein Solidaritätsmechanismus soll überlasteten Staaten an der Außengrenze derweil mit Aufnahmeprogrammen oder Ausgleichszahlungen helfen. Laut Ernst können diese Zahlungen aber auch Mittel zur Grenzüberwachung finanzieren, etwa Stacheldraht.
Migrationsforscher fürchtet Verhältnisse wie in Moria
Der Osnabrücker Migrationsforscher Jochen Oltmer beurteilt die Einigung der EU-Staaten auf eine Asylreform skeptisch. Die Grundprobleme, etwa die Überlastung der europäischen Grenzstaaten, blieben bestehen oder verschärften sich sogar noch, sagte Oltmer am Mittwoch dem „Evangelischen Pressedienst“. „Deshalb ist nicht davon auszugehen, dass die nun beschlossenen Grenzverfahren in absehbarer Zeit schnell und reibungslos funktionieren werden.“
Er befürchte, dass es in den geplanten Inhaftierungslagern zu ähnlich katastrophalen Verhältnissen wie im Lager Moria kommen werde, sagte der Historiker am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück. „Es läuft alles darauf hinaus, dass sie schnell hoffnungslos überfüllt sein werden.“ In dem für 2.800 Personen konzipierten Lager auf der griechischen Insel Lesbos lebten zwischen 2015 und 2020 zeitweilig 20.000 Menschen.
Kritik auch von Nichtregierungsorganisationen
Kommission, Mitgliedsstaaten und Parlament wollen die Asylreform noch vor der Europawahl im Juni 2024 verabschieden. Projekte, die nicht bis zur Wahl verabschiedet wurden, könnten in der nächsten Legislaturperiode infrage gestellt werden. Außerdem fürchten viele eine Rechtsruck bei der Wahl. Aufgrund des Zeitdrucks sei der Inhalt dem Ziel einer schnellen Einigung untergeordnet worden, kritisierte Erik Marquardt (Grüne). Die Abschreckungspolitik die aus der Reform spreche, „schwächt den Rechtspopulismus nicht, sondern stärkt ihn“.
Auch Nichtregierungsorganisationen sehen die EU-Asylreform kritisch. So erklärte etwa der europäische Caritas-Verband, die Reform werde die Asylproblematik in der EU nicht lösen, aber den Zugang zu Asyl und die Rechte der Schutzsuchenden einschränken. (epd/mig) Leitartikel Politik
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