KI küsst Bildung
Spielt Sprache keine Rolle mehr?
Als Teil von „Team Wow“ bin ich fasziniert davon, wie KI das sprachliche und fachliche Lernen am Arbeitsplatz revolutioniert – ein echter Game-Change. Ende aller sprachlichen Hürden?
Von Christiane Carstensen Mittwoch, 17.01.2024, 11:40 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 17.01.2024, 16:12 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Der „Babelfisch“ aus Douglas Adams‘ Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ ist noch Science-Fiction – ein kleiner Fisch, der Aliens jede Sprache des Universums direkt ins Ohr übersetzt. Aber die Realität holt schnell auf: Innovative Sprachübersetzungstechnologien kommen dem Babelfisch immer näher.
KI-Tools sind nicht mehr nur eine Randerscheinung, sondern ernstzunehmende Konkurrenten für menschliche Übersetzer. Im digitalen Raum übersetzen sie nicht nur Inhalte, sondern imitieren mittlerweile auch die Stimme des Sprechers, inklusive emotionaler Nuancen, Sprachstil und Sprechgeschwindigkeit. Menschliche Sprecher werden in Videos mit synchronen Lippenbewegungen und passender Mimik „übermalt“ und schon wirkt die Übersetzung täuschend echt und nahezu live. Die Zeitverzögerung schrumpft auf wenige Sekunden und wird sich mit dem weiteren technischen Fortschritt noch reduzieren.
Als Sprachlehrerin müssten mir eigentlich die Haare zu Berge stehen, aber ich habe im Selbstversuch erlebt, dass es keine einfachen Antworten gibt. Ich habe einen englischen Freund zum ersten Mal auf Deutsch sprechen hören. Alles Fake und dennoch habe ich eine überraschende Nähe gespürt, von der ich nicht geglaubt hätte, dass sie vorher in unseren Unterhaltungen auf Englisch gefehlt hätte. Sie fehlt mir auch danach nicht in unseren weiteren gänzlich KI-freien Gesprächen – trotzdem war es ein ganz besonderer Moment.
„Es spielt keine Rolle mehr, welche Sprachen ich spreche.“
Mich selbst habe ich nach 35 langen Jahren zum ersten Mal wieder perfekt Chinesisch sprechen hören. Alles Fake, aber ich konnte mich dennoch nicht an mir selbst satthören. Und mit jedem Abspielen des Videos habe ich mehr chinesische Vokabeln aus meinen längst verschütteten Sprachkenntnissen verstehen können. Absurd: Mein Stolz, dass ich so gut sprechen kann, war völlig irrational angesichts der Tatsache, dass alles KI-generiert und gefakt war – aber dennoch war er da. Sprache ist weit mehr als nur eine Kompetenz, sie ist pure Emotion.
Generative KI senkt Sprachbarrieren nicht nur durch Übersetzungstools. Maschinen, Roboter, Excel-Dateien und sogar Autos verfügen über eine Schnittstelle zu Chat GPT & Co., so dass ich unmittelbar mit den Maschinen kommunizieren kann. Da Chat GPT & Co. vielsprachig sind, kann ich mit ihnen in nahezu jeder Sprache sprechen, in der ich möchte. Die KI stellt sich in Sekundenschnelle darauf ein. Es spielt keine Rolle mehr, welche Sprachen ich spreche: Die KI passt sich mir an und nicht umgekehrt. Warum sollte ich dann überhaupt noch Sprachen lernen?
Diese Technologie ist enorm verführerisch. Sie fühlt sich gut an, sie macht mir mein Leben einfacher, ich fühle mich sicher in meiner Kommunikation. Und sie entlastet nicht nur den Einzelnen, sondern auch die vielen Lehrer, Kolleginnen, Nachbarn, die KI nutzen, um das gegenseitige Verstehen leichter zu machen.
„Nicht nur fürs Übersetzen, auch für das Sprachenlernen können wir KI wunderbar nutzen.“
Dabei könnte man es belassen, wenn wir keine Einwanderungsgesellschaft wären und Sprache lediglich der Austausch von Informationen. Doch Sprache ist mehr als das. Sprache ist der Ausdruck unserer selbst; in Resonanz mit uns selbst und unserer Umwelt. Wir sind soziale Wesen und werden das nicht trotz, sondern gerade wegen der KI auch bleiben. Nichts macht uns Menschen menschlicher als ein technologisches Gegenüber.
Nicht nur fürs Übersetzen, auch für das Sprachenlernen können wir KI wunderbar nutzen. Ich habe Ihnen einige Entwicklungen der letzten Monate in den vorangegangenen Beiträgen dieser Kolumne vorgestellt: Man kann sprachliche Hürden mit Hilfe von KI senken, spielerisch Grammatikübungen trainieren, Bots als allzeitbereite und sprachfähige Konversationspartner genießen, Mehrsprachigkeit nutzen, sprachanregende Umgebungen gestalten und vieles mehr.
Wenn das einfache Übersetzen eine so ansprechende und leicht zugängliche Alternative darstellt, dann muss ich das Erlernen der deutschen Sprache noch attraktiver und zugänglicher gestalten. In den vergangenen Jahren waren Deutschkurse in der öffentlichen Wahrnehmung oft mit einer großen Schwere und einem enormen Ressourcenaufwand verbunden. Könnte es vielleicht auch ganz anders sein? Darüber sollten wir zumindest nachdenken.
Bislang war die Arbeitsteilung vermeintlich einfach und alternativlos. Deutsch lerne ich in Sprachkursen von Sprachlehrenden, Fachliches lerne ich in der Ausbildung, der Berufsschule oder in der Weiterbildung. Ich lerne in festen Curricula, die andere für mich erstellen. Ich lerne innerhalb fester Sprachniveaus von A1 bis C2 und beende Kurse mit einem entsprechenden Sprachtest.
Doch die traditionelle Trennung von Sprach- und Fachlernen und auch die tradierte Sprachendidaktik lösen sich zunehmend auf. Während viele DaZ-Lehrende gerade erst beginnen, ihre Arbeitsblätter mit Chat GPT zu generieren, plaudern ihre Lernenden schon längst lieber direkt mit dem Bot oder dem Lernvideo und erhalten im Anschluss ein direktes Feedback.
„Wer Neues in Angriff nehmen möchte, muss sich von der einen oder anderen Gewohnheit oder Überzeugung trennen.“
Und nicht nur die Arbeitsteilung zwischen fachlichem und sprachlichem Lernen löst sich auf. Lernen vollzieht sich zunehmend personalisierter und situativer. Der Lehrende als reiner Vermittler von Wissen tritt in den Hintergrund.
Wer Neues in Angriff nehmen möchte, muss sich von der einen oder anderen Gewohnheit oder Überzeugung trennen. Schriftsteller nennen diesen Prozess „Kill Your Darlings“. Man muss bereit sein, einen Satz, einen Charakter oder eine Lieblingsszene zu opfern. Nicht alles, was wir in der Sprachendidaktik entwickelt haben, werden wir in der Zukunft noch benötigen.
Innerhalb der Sprachendidaktik müssen wir ohne Scheuklappen diskutieren, was wir hinter uns lassen können oder müssen, um uns als Profession weiterzuentwickeln, und was wir für die Zukunft anzubieten haben. Das gilt übrigens auch für EdTech-Angebote, die trotz modernem Flair und Digitalität didaktisch oft überraschend altbacken sind.
Wenn Sie mich fragen: Ich persönlich würde als Erstes die Wortgitter und Lückentexte über Bord werfen.
„Wir benötigen neue Erzählungen, was Sprachen, Sprachenlernen und Kommunikation für uns als Gesellschaft und für den Einzelnen bedeuten.“
Aber genauso müssen wir als Gesellschaft darüber diskutieren, wie wir den öffentlichen Raum gemeinsam so gestalten, dass Menschen sich trotz unterschiedlicher sprachlicher Kompetenzen eingeladen fühlen, ins Gespräch einzusteigen und teilzunehmen. Wir benötigen neue Erzählungen, was Sprachen, Sprachenlernen und Kommunikation für uns als Gesellschaft und für den Einzelnen bedeuten.
Für mich bedeutet künstliche Intelligenz vor allem, dass wir den Wert menschlicher Kommunikation deutlicher wahrnehmen. Die neue Schnittstelle entsteht zwischen Mensch und KI und nicht mehr zwischen Menschen mit verschiedenen Herkunftssprachen.
Digitale Transformation bedeutet für mich als Sprachlehrende und Unternehmensberaterin, dass wir die Möglichkeiten der KI nutzen und die Herausforderungen mitgestalten.
Werde ich Sprachlehrende bleiben oder mich stattdessen zur Kommunikations- oder Lernbegleiterin entwickeln? Ich weiß es nicht, aber ich finde auch nicht, dass unser Bildungssystem so grandios ist, dass wir es genau in dieser Form bewahren müssten.
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