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Eine Demonstration von Neonazis © Tim @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Spuren, die bleiben

Zehn Jahre nach dem Neonazi-Überfall von Ballstädt

Vor zehn Jahren überfielen Rechtsextremisten eine Kirmesfeier in Ballstädt. Die Betroffenen prägt die Attacke bis heute. Aber auch in der Thüringer Justiz hat die Aufarbeitung Spuren hinterlassen – nach einem umstrittenen Deal zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Neonazis.

Von Mittwoch, 07.02.2024, 15:05 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 07.02.2024, 15:05 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Er war einer der ersten, den die rechtsextremen Gewalttäter vor zehn Jahren zu Boden schlugen: Er habe sich damals, sagt Jan Thiel, schützend vor einen seiner Freunde stellen wollen, als der in der Nacht vom 8. auf den 9. Februar 2014 von einem Rechtsextremen attackiert wurde. „Alles ging so schnell.“ Kaum hatte Thiel sich dem Angreifer genähert, wurde aber auch er von diesem geschlagen. „Ich hatte dann ein geschwollenes Jochbein und eine Gehirnerschütterung“, sagt er.

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Der Mann, der Thiel und seinen Freund damals attackierte, war nicht allein gekommen. Mehr als ein Dutzend rechtsextreme Männer und mindestens eine Frau aus dieser Szene griffen damals mitten in der Nacht eine Kirmesgesellschaft an, die im kleinen Dorf Ballstädt im Landkreis Gotha zusammengekommen war. Ausgelassen und friedlich hatten die Männer und Frauen damals in einem Gemeindesaal gesessen, bis die Gewalttäter plötzlich hereinstürmten, auf sie einschlugen und -traten. Insgesamt wurden bei dem Übergriff etwa zehn Menschen verletzt, einige von ihnen schwer.

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Die juristische Aufarbeitung des Überfalls hat die Thüringer Justiz jahrelang beschäftigt. Im sogenannten ersten Ballstädt-Prozess vor dem Landgericht Erfurt wurden 2017 zunächst 11 von insgesamt 15 Angeklagten wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung an dem Angriff schuldig gesprochen. Zwei von ihnen wurden zu Strafen von je drei Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Diese Entscheidung des Gerichts wurde 2020 allerdings vom Bundesgerichtshof aufgehoben. In der Entscheidung des BGH hieß es damals, die Beweiswürdigung des Landgerichts sei „durchgreifend rechtsfehlerhaft“. Daher sei nicht zweifelsfrei erwiesen, dass die Verurteilten an dem Angriff beteiligt gewesen seien.

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Deal mit Neonazis

In einem zweiten Ballstädt-Prozess gegen die elf zunächst Verurteilten fielen die neuerlichen Urteile dann deutlich niedriger aus. Um den Prozess abzukürzen, verhängte eine andere Kammer des Landgerichts Erfurt nach einem umstrittenen Deal zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft Erfurt und Verteidigern im Jahr 2021 dann neun Bewährungsstrafen von deutlich unter zwei Jahren. Im Gegenzug legten die Angeklagten Geständnisse ab. Gegen zwei der im zweiten Ballstädt-Prozess Angeklagten war das Verfahren gegen Geldauflagen schon zuvor eingestellt worden.

Dass im zweiten Ballstädt-Prozess deutlich niedrigere Strafen verhängt wurden als im ersten Verfahrens, stört Thiel bis heute. Umso größer sei bei ihm „die Genugtuung“, dass unter anderem der Hauptangeklagte aus den beiden Ballstädt-Prozessen inzwischen wegen eines anderen Tatvorwurfs im Gefängnis sitzt: Nachdem die für organisierte Kriminalität verantwortliche Staatsanwaltschaft Gera ihn und andere Rechtsextreme ebenfalls vor dem Landgericht Erfurt unter anderem wegen Drogenhandels angeklagt hatte, verhängte das Gericht in dieser Sache eine Haftstrafe in Höhe von elf Jahren gegen ihn. „Hoffentlich wird auch seine Bewährung aus unserem Prozess widerrufen“, sagt Thiel.

„Rechtsextreme Hegemonialtat“

Diese Entscheidung des Gerichts aus dem Drogenprozess sei der zentrale Grund, dass in Ballstädt die Furcht vor einem erneuten Überfall von Rechtsextremen anders als in der Vergangenheit heute nicht mehr omnipräsent sei, sagt Thiel, der noch immer dort wohnt. „Eigentlich ist die Angst weg.“ Das sogenannte „Gelbe Haus“, in dem ein Teil der Angreifer der Attacke von vor zehn Jahren gelebt hatten, gehöre inzwischen einem anderen Bewohner des Dorfs, der dort Wohnungen errichten wolle. Vergessen, sagt Thiel, könne er dennoch nicht, was damals geschehen sei.

Dieses „Gelbe Haus“, mitten im Dorf gelegen, hatte einer der Rechtsextremen 2013 gekauft und es schnell zu einer wichtigen Szene-Immobilie gemacht. Schon kurz nachdem die Gesinnung der Bewohner und Gäste dieses Hauses im Dorf bekannt geworden war, gab es Proteste von Einwohnern gegen die neuen Nachbarn. Unter anderem die Vertreter der Nebenklage hatten deshalb während beider Ballstädt-Prozesse erklärt, aus ihrer Sicht sei der Überfall auf die Kirmesgesellschaft nicht nur einer der schwersten derartigen Angriffe seit der Wiedervereinigung, sondern eindeutig „eine rechtsextreme Hegemonialtat“ gewesen. Die Rechtsextremen hätten klarmachen wollen, wer in Ballstädt das Sagen habe, hieß es. In beiden Prozessen waren die jeweils zuständigen Kammern des Landgerichts Erfurt dieser Argumentation allerdings nicht gefolgt.

Spuren des Überfalls

Damit hinterließen die beiden Prozesse bis heute nicht nur bei den Opfern des Überfalls Spuren, sondern auch in der Thüringer Justiz. Zum einen gilt noch immer als strittig, ob es richtig war, den Angeklagten im zweiten Prozess Deals anzubieten. Der damalige Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann etwa hält diese Verfahrensabsprachen bis heute für falsch. Die Staatsanwaltschaft Erfurt habe diese Deals nur abgeschlossen, weil sie ein aufwendiges Verfahren gescheut habe, sagt er. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Erfurt, Hannes Grünseisen, widerspricht heute ebenso wie in der Vergangenheit: „Sieben Jahre nach der Tat war es angemessen und nach wie vor richtig, einen Deal anzubieten, um das Verfahren mit Verurteilungen zu beenden“, sagt er. Die Staatsanwaltschaft scheue mit Sicherheit keine aufwendigen Prozesse, „sondern versucht konsequente, aber auch für alle Beteiligten faire Strafverfolgung zu betreiben.“

Zum anderen aber haben selbst Nebenklage-Vertreter inzwischen den Eindruck, dass zumindest die Staatsanwaltschaft Erfurt bei der Verfolgung von rechtsmotivierten Straftaten seit dem Ende des zweiten Ballstädt-Verfahrens konsequenter agiert als zuvor. Das sei, sagt die damalige Nebenklage-Anwältin Kristin Pietrzyk, gewiss auch eine Folge der großen öffentlichen Debatten, die es während beider Prozesse gab, wenngleich Grünseisen diesen Zusammenhang bestreitet. „Mir ist seit Ballstädt kein Verfahren mehr bekannt, bei dem die Staatsanwaltschaft Erfurt es unterlassen hätte, eine rechtsextreme Tatmotivation deutlich zu benennen, wenn es die denn gab.“ (dpa/mig) Leitartikel Panorama

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