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Amtliche Wahlbenachrichtigung © MiG

Nicht nur Kreuzchen setzen

Wie Migranten politisch mitmischen können

Mehr als vier Millionen Menschen in Baden-Württemberg haben eine Migrationsgeschichte. Doch in den Gemeinderäten spiegelt sich das kaum wider. Vor den Kommunalwahlen wollen Migrantenvertreter gezielt werben.

Von Donnerstag, 15.02.2024, 14:47 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 05.03.2024, 9:11 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Fehlendes Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger, wenig Mitbestimmung und politische Teilhabe auf kommunaler Ebene: Menschen mit Einwanderungsgeschichte sind in deutschen Rathäusern stark unterrepräsentiert. Mit der Gründung einer Politischen Akademie für Menschen mit (familiärem) Migrationshintergrund möchte man in Heidelberg zu mehr Vielfalt und Partizipation animieren. Tatsächlich kandidieren nun zwei Teilnehmer für die Kommunalwahl im Juni. Und doch ist das Pilotprojekt nur ein erster Schritt.

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Die Quizfrage, die Jaswinder Pal Rath stellt, hat es in sich: „Wie viele Oberbürgermeister mit Migrationshintergrund gibt es?“, möchte der Vorsitzende des Heidelberger Migrationsbeirats wissen. Es sind nur vier, bezogen auf ganz Deutschland. „Das wissen viele nicht, egal ob sie eine Migrationsgeschichte haben oder nicht“, zeigt er auf, und landet schon bei der Intention der Politischen Akademie, die viel Aufklärung, aber noch mehr Aufarbeitung beinhaltet.

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Mehr als jeder dritte Mensch im Südwesten hat Migrationsgeschichte

Auch der Landesverband der kommunalen Migrantenvertretungen Baden-Württemberg hatte beklagt, dass in den Kommunalparlamenten zu wenige Menschen mit Migrationshintergrund säßen. Integrationsbeiräte in Städten und Gemeinden sollten vor den Kommunalwahlen am 9. Juni sichtbarer werden und gezielt andere Menschen mit Migrationshintergrund ansprechen. Laut dem Statistischen Landesamt lebten im Jahr 2022 rund 4,1 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Baden-Württemberg – mehr als ein Drittel der Bevölkerung.

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In Heidelberg kamen bei den ersten Workshops im Herbst 2023 rund 30 Teilnehmer zusammen, um für Politik vor Ort sensibilisiert zu werden. Migranten der ersten, zweiten oder dritten Generation. Es ging etwa um die Fragen: Wie funktioniert das kommunale Wahlrecht, wie sieht Lokalpolitik im Alltag aus? Welche Entscheidungen werden überhaupt in Heidelberg getroffen – und von wem? Sitzungen der Ausschüsse und des Gemeinderats wurden besucht und ein möglichst praxisnahes Demokratieverständnis aufgebaut.

Der Anstoß für das Projekt kam aus den Gemeinderatsfraktionen, die erkannten, dass in ihren Parteien kaum Menschen mit Migrationsgeschichte vertreten sind. „Wir wollen Zugänge schaffen und zur politischen Teilhabe ermutigen“, erläutert der Leiter des Amtes für Chancengleichheit, Danijel Cubelic. „Es gibt nicht nur die Möglichkeit zu wählen, sondern auch gewählt zu werden.“

Aber auch jene, die nicht wählen dürfen, sollen nicht außen vor bleiben. „Wir wollen aufzeigen, wie sie dennoch Entscheidungsprozesse mit beeinflussen können“, sagt Cubelic. Das betreffe vor allem die Politik der kleinen Dinge wie ein Mitspracherecht bei der Gestaltung des Spielplatzes vor der Haustür. Die Verwaltung lerne dabei, dass sie oft Mitursache für eine politische Zurückhaltung ist.

Sozialbürgermeisterin froh über Gespräche mit statt über Migranten

Wenn Sahar Marzieh Beheshti das Wort Ausländerbehörde hört, wird sie emotional: „Das war immer ein schwerer Schritt. Es war ein Ort, an dem ich mich sehr diskriminiert gefühlt habe“, sagt die 39-Jährige. „Alle zwölf Monate musste ich da hin und bin mit Ärger wieder rausgekommen.“ Seit 2009 lebt die Iranerin in Deutschland, inzwischen hat sie die deutsche Staatsbürgerschaft und das Wahlrecht.

Als Teilnehmerin der Akademie lernte sie die Behörden von einer anderen Seite kennen. „Wenn man wie ich als Erwachsene migriert, ist es wichtig, die Grundlagen kennenzulernen, die Strukturen zu verstehen. Viele wissen nicht, an wen sie sich überhaupt wenden sollen, etwa bei Erfahrungen auf dem Wohnungsmarkt. Wie und wo melde ich Diskriminierung?“, betont sie. Das führe zu Frust, aber auch zu Resignation. Die Workshops seien ein geschützter Rahmen gewesen, um auch mal „dumme Fragen“ zu stellen. „Jetzt weiß ich mehr und kann Multiplikator sein. Nicht für alle Migranten, aber jeder hat seine Bubble.“

Sozialbürgermeisterin Stefanie Jansen (SPD) ist dankbar für die Kritik: „Wir, die wir nicht euer Leben haben, glauben die Welt sei in Ordnung. Für uns ist sie das auch, wir sehen bestimmte Probleme – aber nicht unbedingt die, die ihr seht.“ Daher sei es wichtig, „dass möglichst viele Perspektiven und Erlebenshintergründe Eingang in die Politik finden“. Sie sei froh, dass nicht länger über, sondern mit Migranten gesprochen werde.

„Politische Partizipation bedeutet mehr, als alle vier Jahre Kreuzchen machen“

Teilnehmerin Sara Tot wird nun sogar für die Linken kandidieren. Obwohl sie diesen „Erfolg“ nicht unbedingt der Akademie zuschreiben möchte. Die Einführungskurse habe die 29-Jährige eher als von „oben herab“ empfunden. „Nur weil ich einen Migrationshintergrund habe, muss ich nicht erklärt bekommen, was Politik ist“, macht sie klar. So habe man einen Großteil, vor allem Migranten der ersten Generation verloren. Lediglich junge, gebildete Frauen seien geblieben. „Es ging viel um Zahlen und Fakten. Ich dachte, es geht konkret um den Zugang zu Initiativen, darum Engagement zu wecken“, kritisiert sie.

Als Fünfjährige floh sie mit ihrer Großmutter und Tante wegen des Jugoslawienkriegs nach Deutschland. An ihrem Gymnasium im Allgäu gewann sie Politikpreise. Ihre Wahlerlaubnis aber entschied sich erst zu ihrem 18. Geburtstag mit der Einbürgerung. „Ich war so wütend“, blickt sie zurück. „Ich dachte: Was, wenn Bundestagswahlen sind und ich nicht wählen darf, nur weil ich am falschen Ort geboren wurde? Da könnte ich jetzt noch ausrasten.“

Im Migrationsbeirat sitzen immer noch viele Mitglieder ohne Wahlrecht. „Das ist bitter, aber sie sind dennoch kommunalpolitisch aktiver als ich es je war“, sagt Tot. „Sie haben eine Vorbildfunktion, die kaum wahrgenommen wird. Politische Partizipation bedeutet mehr, als alle vier Jahre ein Kreuzchen machen“, hat sie an der Akademie gelernt.

Doch wo das Kreuz gemacht wird, ist für Jaswinder Pal Rath ein markanter Richtungsweiser: „Ich hoffe, nicht nur bei Müller, sondern auch bei Ahmed.“ Politische Partizipation könne nicht einseitig funktionieren, sondern setze gegenseitiges Vertrauen voraus. (dpa/mig) Aktuell Gesellschaft

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