Anklage gegen vier Polizisten
Afghane auf Berliner „Alex-Wache“ krankenhausreif misshandelt
Die Polizeiwache am „Alex“ soll helfen, Kriminalität einzudämmen. Polizisten sollen jedoch einen afghanischen Hilfesuchenden misshandelt und die Tat vertuscht haben – mit einem frei erfundenen Tatablauf. Nun gibt es eine Anklage. Rassismus liegt laut Staatsanwaltschaft nicht vor, weil einer der Polizisten auch einen Migrationshintergrund habe.
Sonntag, 18.02.2024, 16:04 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 18.02.2024, 16:07 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Vier Polizisten der Wache am Berliner Alexanderplatz sollen einen Mann misshandelt haben, der einen Diebstahl melden wollte. Der Vorfall liegt rund zweieinhalb Jahre zurück. Wie die Berliner Staatsanwaltschaft auf eine MiGAZIN-Anfrage mitteilte, ist der Geschädigte afghanischer Staatsbürger.
Einen rassistischen Hintergrund der Tat schließt die Staatsanwaltschaft allerdings aus. Begründung: „Der Geschädigte hatte einen erkennbaren Migrationshintergrund, den hat der Hauptbeschuldigte aber auch, weshalb wir bislang nicht von einem ethnisch bedingten Konflikt oder einer rassistischen Motivation ausgehen“, erklärte die Staatsanwaltschaft am Donnerstag gegenüber MiGAZIN. Die Nachfrage, ob eine mögliche rassistische Motivation bei Ermittlungen stets ausgeschlossen wird, wenn die beteiligten Personen einen Migrationshintergrund haben, verneinte der Oberstaatsanwalt.
Polizei vertuscht Tat
Jetzt sollen die Männer vor Gericht kommen. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat Anklage erhoben gegen die damaligen Beamten. Sie sollen den Afghanen am 16. Juli 2021 geschlagen haben, sodass dieser teils bewusstlos war. Um die Geschichte zu vertuschen, sollen die Polizisten später eine Geschichte erfunden haben. Die Anklage wirft ihnen unter anderem Körperverletzung im Amt, Verfolgung Unschuldiger, Nötigung im Amt und Freiheitsberaubung vor.
Hauptbeschuldigter ist laut Staatsanwaltschaft ein 35-Jähriger, der bereits vor Gericht stand und inzwischen freiwillig den Polizeidienst quittiert hat. Mitangeklagt sind drei seiner ehemaligen Kollegen im Alter von 26, 27 und 30 Jahren. Laut Staatsanwaltschaft wurden sie zunächst versetzt.
Drei sichern, einer misshandelt
Nach den Ermittlungen suchte das spätere mutmaßliche Opfer die „Alex-Wache“ in der Tatnacht gegen 2.00 Uhr auf, weil sein Portemonnaie weg war. Der Hauptangeklagte soll dem Mann die Tür geöffnet haben, ihm dann aber den Arm nach unten geschlagen haben – möglicherweise, um dessen Gestikulieren zu unterbinden. Daraufhin soll der Afghane einen anderen Polizisten angesprochen und auf den 35-Jährigen gedeutet haben. Dieser habe ihn mit einem kraftvollen Schlag zu Boden gebracht und dort weiter angegangen. Die drei Kollegen sollen dieses Vorgehen gesichert haben, sodass der 35-Jährigen den Afghanen weiter misshandeln konnte.
Später sollen sich die Polizisten nach den Ermittlungen auf eine frei erfundene Geschichte geeinigt haben: Danach sollte der Mann mit Feuerzeug und Handy nach ihnen geworfen haben. Es wurde deswegen ein Ermittlungsverfahren wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte gegen ihn eingeleitet. Den Ermittlungen zufolge soll das mutmaßliche Opfer festgehalten und gefesselt worden sein. Dann soll die Rufbereitschaft der Staatsanwaltschaft kontaktiert worden sein, um eine Blutentnahme für eine Alkoholmessung anzuregen. Dabei soll der diensthabende Jurist angelogen worden sein, sodass dem mutmaßlichen Opfer letztlich ohne Rechtsgrundlage oder Einwilligung Blut abgenommen wurde.
Ex-Polizist verurteilt
Der Hauptangeklagte steht nicht zum ersten Mal im Fokus der Ermittler. Der Ex-Polizist ist laut Staatsanwaltschaft im August 2022 wegen der Verletzung von Dienstgeheimnissen und Bestechlichkeit zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig, weil der 35-Jährige Berufung eingelegt hat. Über diese muss das Landgericht Berlin entscheiden. Dieses ist auch für die aktuelle Anklage zuständig. Auf diesen Fall ist die Polizei laut Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit früheren Ermittlungen gegen den 35-Jährigen gestoßen. Dabei waren auch Video-Aufnahmen aus der Wache hilfreich, wie es hieß.
Die „Alex-Wache“ wurde im Dezember 2017 eingerichtet. Zuvor war der Alexanderplatz durch eine Reihe von Schlägereien, Messerstechereien und Taschendiebstählen in Verruf geraten. Die Behörden verstärkten deshalb ihre Maßnahmen mit einer eigenen Polizei-Ermittlungsgruppe „Alex“, der „Alex-Wache“ und einem speziell abgestellten Staatsanwalt. Durch diese Maßnahmen wollen Polizei und Justiz die dort aktiven Tätergruppen besser im Auge behalten sowie schneller und effektiver ermitteln. (dpa/mig) Leitartikel Panorama
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Fachkräftemangel vs. Abschiebung Pflegeheim wehrt sich gegen Ausweisung seiner Pfleger
- Nach Budget-Halbierung Regierungsbeauftragter für Reform der Integrationskurse
- „Diskriminierend und rassistisch“ Thüringer Aktion will Bezahlkarte für Geflüchtete aushebeln
- „Hölle“ nach Trump-Sieg Massenabschiebungen in den USA sollen Realität werden
- Verwaltungsgerichtshof Nürnberg muss Allianz gegen rechts verlassen
- Ein Jahr Fachkräftegesetz Bundesregierung sieht Erfolg bei Einwanderung von…