Nebenan
Warum wir nicht in Frieden ertrinken
Sicherheitskonferenz. Warum ist Europa, Russland vielfach überlegen, auf die Hilfe der USA angewiesen? Geht es doch nur ums Geschäft und gar nicht um Sicherheit? Und: Warum ertrinken wir eigentlich nicht längst in Frieden?
Von Sven Bensmann Montag, 19.02.2024, 10:15 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 19.02.2024, 8:58 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Noch befindet sich China zwar in der Aufholphase gegenüber den USA als Handels- und Weltmacht Nummer eins. Und doch hat der frühere und wohl auch zukünftige US-Präsident Trump dieses amerikanische Jahrhundert, das als am 6. April 1917 begonnen erachtet werden könnte, schon jetzt vorzeitig zu Grabe getragen.
Denn es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis selbst europäische Politiker die schwierige Addition 68,5 + 55,8 + 53,6 + 44 + 33,5 + 20,3 + 16,6 + 15,6 lösen und mit einer Summe von etwa 308 bei einem Faktor 3,5 in Relation zu 86,4 landen. Sicher, viel verlangt für Menschen, die sich hauptberuflich in der Politik bewegen – aber doch einfach genug, dass es nur eine Frage der Zeit ist.
Zur Erklärung: Die erstgenannten Zahlen bilden die Militärbudgets (in Milliarden) allein jener acht europäischen Staaten, deren Ausgaben es 2020 in die weltweiten Top20 geschafft hatten – ein Jahr, nach dem viele dieser Staaten ihre Ausgaben noch einmal kräftig erhöht haben, und eine Liste, in der weder die skandinavischen noch die baltischen Frontstaaten auftauchen. Die letzte Zahl entspricht dem Militärbudget Russlands.
Das wirtschaftlich den Russen hochüberlegene Europa pumpt also längst ein Vielfaches des russischen Budgets in die eigenen Armeen. Warum Europa da auf die Militärhilfe der mittlerweile notorisch unzuverlässigen USA, deren Bruch mit der NATO unter Trump oder einem seiner Bündnisgenossen von einem Tag auf den nächsten erfolgen könnte, angewiesen sein sollte oder es gar eine deutliche Erhöhung der Militärausgaben benötigen soll, leuchtet jedenfalls nicht ein. Dass darüber hinaus zwar der panzerverkaufsfördernde Russe aus der Kriegswerbung innerhalb von zwei Wochen vor den Mauern von Lissabon stehen könnte, der reale aber seit zwei Jahren in der Ukraine feststeckt – auch wenn deren Niederlage dieser Tage wieder sehnlicher herbeigeschrieben wird – unterstützt die These, dass Europa auf den Verteidigungsschirm der USA nicht angewiesen sein sollte.
„Es scheint vielmehr darum zu gehen, Geschäfte mit Krieg zu machen – und nichts verkauft halt mehr Waffen als die Angst vorm übermächtigen Russen.“
Dass dem aktuell dennoch so ist, sagt vieles über die Korruption und das Missmanagement in Europas Militärpolitik aus, wenn all diese Milliarden in einem Sumpf aus Beratern und Büchsenmachern versinken, ohne dass dabei etwas entstünde, dass der als so korrupt verschrienen russischen Armee gewachsen wäre. Nur: Was ist hier der größere Skandal? Dass Europas Armeen trotz ihrer Budgets immer noch auf den Schutz des US-Militärs angewiesen sind oder dass, obwohl so viel Geld in korrupten Firmen verschwindet, die Politik das Problem mit noch mehr Geld lösen will – während gleichzeitig denjenigen, die nichts zu Fressen und kein Dach über dem Kopf haben, immer wieder erklärt wird, dass ja kein Geld vorhanden sei.
Auf der Münchener Sicherheitskonferenz heißt das dann so: „Europa muss mehr für seine Sicherheit ausgeben.“ Muss es nicht. Würde Europa auch nur halb so effizient mit seinem Geld umgehen wie das kleptokratische Russland, dann bräuchte es sich keine Sorgen mehr um seine Sicherheit machen, selbst, wenn es gleichzeitig die Ausgaben drastisch reduzierte. Doch offensichtlich geht es genau darum auch gar nicht. Es scheint vielmehr darum zu gehen, Geschäfte mit Krieg zu machen – und nichts verkauft halt mehr Waffen als die Angst vorm übermächtigen Russen.
Wofür Europa viel mehr ausgeben müsste, sind aber eben nicht Shareholder oder Nettogewinne von Kriegsunternehmern, von Menschen, die sich einreden, ein Panzer sei nur eine Verteidigungswaffe, Menschen, die diese Dinger zwar bauen, sich aber offensichtlich nicht erklären können, wie sich die Russen wohl Kilometer um Kilometer in das Staatsgebiet der Ukraine hineinverteidigt haben – oder die uns einfach nur für dumm verkaufen wollen (Empfehlung: „Inside Rheinmetall“, ARD Mediathek)
„Wofür Europa viel mehr ausgeben müsste, ist die Sicherheit der Opfer deutscher und europäischer Rüstungsunternehmen.“
Wofür Europa viel mehr ausgeben müsste, ist die Sicherheit der Opfer deutscher und europäischer Rüstungsunternehmen, sind Leib und Leben der Schwächsten, ist die Sicherheit derer, die selbst innerhalb der Grenzen dieses Landes nicht sicher sind vor Gewalt durch Fundamentalisten, Rassisten, Sexisten, Trans- und Homophoben, vor Treckerfahrern und all den anderen, die da behaupten Deutschland zu lieben und doch alles daran verachten, weil sie lieber wieder von einem Österreicher regiert würden.
Europa muss viel mehr ausgeben für die Sicherheit derer, die eben oft nicht mitgemeint sind, wenn Europa davon redet, dass es mehr für seine Sicherheit ausgeben muss, weil sie zu schwarz, zu schwul oder zu jüdisch sind. Für die, die hierher geflüchtet sind und die, die es sich schlicht nicht leisten können, hierher zu flüchten. Das Geld wäre da, würde es nicht in einem Sumpf von Wehretats versinken, der mehr Korruption und Unfähigkeit produziert, als fliegende Hubschrauber, fahrende Panzer oder geradeaus schießende Gewehre.
Auch deshalb ist es so, dass wir weiterhin nicht gerade in Frieden ertrinken. Dass wir dabei nicht einmal russischen Deserteuren konsequent Asyl anbieten, Menschen, die ansonsten dazu gezwungen werden, Ukrainer zu ermorden – weil das nunmal das ist, was Soldaten tun, dafür werden sie ausgebildet und ausgerüstet – ist ein Armutszeugnis für die Verteidigungsfähigkeit Europas: eine derart potente Wehrkraftzersetzung der russischen Armee ist gar nicht billiger zu haben, moralischer wäre ein Krieg nicht zu führen. Aber damit lassen sich halt keine Panzer und Granaten verkaufen. Meinung
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