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Benjamin Schraven © MiGAZIN

Weltsicht

Stadt, Land, Flucht – Abwanderung in die Städte?

Die Bauernproteste zeigen: Der Konflikt zwischen Stadt und Land ist keineswegs eine Sache der Vergangenheit. Aber führt die Urbanisierung dazu, dass die Landbevölkerung schon bald in die Städte abwandert?

Von Mittwoch, 21.02.2024, 11:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 21.02.2024, 11:41 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Die Bauernproteste halten Deutschland schon seit einigen Wochen in Atem. Für Viele sind sie weitaus mehr als eine Auseinandersetzung um die drohende Streichung des sogenannten Agrardiesels oder ein Aufschrei gegen eine schon seit Jahrzehnten fehlgeleitete Agrarpolitik. Einige sehen in den Protesten eine neuerliche Zuspitzung des uralten Konfliktes zwischen Stadt und Land.

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Glaubt man einigen Stimmen der Zukunftsforschung, so wird dieser Gegensatz bald obsolet sein: Mehr und mehr Menschen auf allen Kontinenten leben in Städten, wo zunehmend die Lösungen für unsere globalen Herausforderungen gefunden werden. Urbane Gebiete haben nicht nur wirtschaftliche Strahlkraft, sie werden auch beschrieben als „kreative Zentren der pluralistischen Gesellschaft, Knotenpunkte der globalisierten Wirtschaft und zunehmend mächtige politische Akteure.“ Hier die progressive Stadt, dort das anachronistische Land, welches langsam ausstirbt? Droht der große weltweite Umzug in die Städte und was ist dann eigentlich mit der Landwirtschaft?

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Die Vereinten Nationen gehen in der Tat davon aus, dass bereits seit gut 15 Jahren rund um den gesamten Globus mehr Menschen in Städten als in ländlichen Gegenden leben. Dieser Trend zur Urbanisierung wird sich auch noch länger fortsetzen. Allerdings gehen die Vereinten Nationen davon aus, dass auch im Jahr 2050 um die 3 Milliarden Menschen in ländlichen Räumen leben werden. Dies entspräche dann immer noch etwa einem Drittel der vorhergesagten Weltbevölkerung zur Mitte des 21. Jahrhunderts.

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Der überwiegende Teil der weltweiten ländlichen Bevölkerung wird dann in besonders armen Entwicklungsländern, den Least Developed Countries (LDCs), leben. Im Gegensatz zum Rest der Welt wird in den LDCs die ländliche Bevölkerung zwar nicht prozentual, aber in absoluten Zahlen, dann noch weiterwachsen. Gerade in den afrikanischen Ländern wird das Anwachsen der Landbevölkerung noch lange weitergehen.

„Die Auswirkungen des Klimawandels treffen die globale Agrarproduktion – und vor allem die kleinbäuerliche Produktion im globalen Süden – schon heute spürbar.“

Im globalen Norden werden die Dörfer aber ebenso wenig aussterben: Laut den UN-Prognosen werden auch im Jahr 2050 in Deutschland noch immer etwa 16 Prozent der Bevölkerung auf dem Land leben. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 waren es etwa 22 Prozent.

Die wirtschaftliche und soziale Bedeutung der Landwirtschaft für den ländlichen Raum in den Industrieländern allerdings wird wohl weiter abnehmen und die Agrarproduktion im globalen Norden noch technischer, digitaler und industrieller werden. Der Agrarökonom Alfons Balmann hat die wahrscheinliche Zukunft der deutschen Landwirtschaft wie folgt zusammengefasst: Viel Hightech, wenig Dorf-Romantik und die Bio-Landwirtschaft bleibt auch zukünftig eher in einem Nischenbereich.

Für die Menschen in ländlichen Gegenden in den bereits erwähnten ärmeren Entwicklungsländern wird die Landwirtschaft in den nächsten Jahrzehnten ihre große Bedeutung hingegen nicht so sehr verlieren. Die landwirtschaftliche Produktion steht allerdings auf der ganzen Welt vor großen Herausforderungen.

Die Auswirkungen des Klimawandels treffen die globale Agrarproduktion – und vor allem die kleinbäuerliche Produktion im globalen Süden – schon heute spürbar. Dementsprechend hoch ist der Druck, sich besser an die Klimafolgen anzupassen und die Landwirtschaft „klimaresilienter“ zu machen. Die kleinbäuerlichen Familien und Betriebe stecken schon heute viel Geld in die Klimaanpassung: An die 370 Milliarden US-Dollar werden jährlich von Kleinbauern rund um den Globus in Klimaanpassungsmaßnahmen gesteckt.

Nicht nur die Landbevölkerung in Europa oder Nordamerika ist recht heterogen. Auch in den Ländern des globalen Südens sind die Unterschiede groß: Etliche kleinbäuerliche Familie betreiben ihre Höfe wie Betriebe und sind neben der kommerziellen Landwirtschaft in verschiedenen nichtlandwirtschaftlichen Bereichen aktiv. Sie können von einer Nähe zu den Städten und den dortigen Märkten sowie einer vergleichsweise guten Infrastruktur profitieren. Sie sind auch meist in der Lage, in ihre Betriebe zu investieren, neue Technologien anzuwenden und ihre Produktion neuen Gegebenheiten wie dem Klimawandel anzupassen und zu erweitern.

„Viele Menschen in den ländlichen Gebieten des globalen Südens sind aufgrund ihrer Armut (zwangsweise) immobil.“

Auf der anderen Seite gibt es mehr und mehr kleinbäuerliche Familien, die in viel höherem Maße von Tätigkeiten außerhalb der Landwirtschaft abhängig sind und oftmals nur noch für den Eigenbedarf oder in nur sehr geringem Maße Agrarprodukte für den Markt anbauen können. Für sie ist es deutlich schwieriger „über die Runden zu kommen“. Dies gilt erst recht für die kleinbäuerlichen Familien, die nicht vom Markt, sondern allein vom eigenen Produzierten leben müssen, sowie Landarbeiter oder Landlose. Diese Gruppen sind es dann auch, die in die Städte gehen – wenn sie sich diese Migration leisten können. Viele Menschen in den ländlichen Gebieten des globalen Südens sind aufgrund ihrer Armut (zwangsweise) immobil.

Die Migration in die Städte ist allerdings oft eine zirkuläre. Das bedeutet: Individuen – sehr selten ganze ländliche Familien – gehen zeitlich begrenzt in die Städte, um dort Geld zu verdienen. Viele kehren (immer wieder) zurück, um wieder eine Zeitlang in ihren Heimatdörfern zu leben und zu arbeiten. Oder sie ziehen in andere Städte oder auch andere ländliche Regionen.

Das Migrationsgeschehen zwischen ländlichen und urbanen Gebieten, vor allem in Afrika, Lateinamerika und Asien, ist ein sehr dynamisches. Auch in Deutschland und anderen Industrieländern sehen wir ähnliche Dynamiken, denn viele Landbewohner:innen verbringen als Pendler:innen einen Großteil des Tages in Städten.

Generell ist das Verhältnis zwischen Stadt und Land nicht nur von Gegensätzen und Konflikten geprägt, sondern eines von gegenseitigen Abhängigkeiten. Dies wird sich sicherlich so bald nicht ändern. Politikschaffende in aller Welt täten gut daran, das immer im Hinterkopf zu behalten. Meinung

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